Nationalismus zur WM: Deutscher als die Polizei erlaubt
Die Deutschlandparty war nicht nur harmlos, es kam auch zu nationalistischen Ausbrüchen. Auf der Facebook-Seite „Schland-Watch“ wurden sie gesammelt.
BERLIN taz | Autokorsos sind voll 2006. Die meisten Jubelbekundungen finden mittlerweile in den sozialen Netzwerken statt. Keine Timeline, die sich in diesen Tagen nicht, zumindest teilweise, schwarz-rot-gold färbte. Facebook, ein Fahnenmeer. Und mittendrin taucht dieses Bild auf: Eine Deutschlandflagge mit Hakenkreuzschmiererei, drapiert um eine Figur des Freiburger Siegesdenkmals, angeblich aufgenommen nach dem deutschen Gewinn des WM-Titels.
“Dieses Bild wird von uns in kritischer Absicht dargestellt“, steht daneben. Die Betreiber der Facebook-Seite Schland-Watch haben es sich zur Aufgabe gemacht, die gesamte Fußball-WM kritisch zu begleiten. Die über die letzten Wochen entstandene Sammlung erlaubt eine Turnierrückschau der anderen Art. Merkwürdige Fan-Artikel wie die Deutschland-Klobürste, stehen neben einem vor Pathos nur so triefenden Fan-Gedicht aus einer Lokalzeitung, gefolgt von einem Adorno-Zitat.
Das Schland-Watch-Team, das gerne anonym bleiben möchte, steht „deutschen Menschenaufläufen, die Fahnen schwenken und ‚Sieg, Sieg, Sieg‘ rufen, auch historisch betrachtet sehr skeptisch gegenüber“. Während des Turniers wollten sie keiner bestimmten Elf die Daumen drücken. Doch da sie in Deutschland leben und den transportierten Nationalismus innerhalb der deutschen Fan-Kultur als besonders bedrückend wahrnehmen würden, drückten sie dafür die Daumen, dass Deutschland möglichst schnell ausscheidet.
Die „Mission Vorrundenaus“ scheiterte. Dennoch oder gerade deswegen fand die Seite sehr viele Fans: Erst kurz vor der WM ins Leben gerufen, zählt sie heute über 17.000 „Gefällt mir“-Angaben. Doch die Kritiker zogen auch Kritik auf sich. So seien sie teilweise übel beschimpft worden. „Wenn der Ton einigermaßen OK war, haben wir geantwortet und versucht unsere Haltung zu erklären. War es uns zu anmaßend, dann haben wir die Mails ignoriert“, sagen die Betreiber der Seite.
Täglich 50 Mails
Die vielen Nachrichten der Nutzer waren jedoch auch hilfreich. Recherchierte das Team anfangs noch selbst, bekam es im Laufe des Turniers das gesamte Material aus Zuschriften. „Zum Schluss hatten wir an die 50 Mails täglich im Postfach.“ Dazu gehörte zum Beispiel ein Foto aus Bochum, das einen Reichsadler und die Zahl 1945 auf weißem T-Shirt-Grund zeigt. Dazu die Überschrift in Fraktur: Vizeweltmeister.
Während die Nationalmannschaft vielerorts für ihre multikulturellen Wurzeln gefeiert wird und es auch oftmals Menschen mit Migrationshintergrund waren, die besonders laut für die DFB-Elf jubelten, steht das Schland-Watch-Team dem Multikulti-Aspekt kritisch gegenüber.
Gegenüber der taz sagten sie: „Migrant*innen, die sich zum Vorteil des nationalen Kollektivs verwerten lassen (z. B. ökonomisch oder auf dem Weg zum WM-Titel), werden hier toleriert (und mehr auch nicht), während vermeintlich ‚nutzlose‘ Migrant*innen weiter ausgegrenzt werden. Diese auch im deutschen Einwanderungsrecht verankerte und aus unserer Sicht menschenverachtende Sortierung von Personen nach ihrer Nützlichkeit, wird durch das Prinzip Nationalmannschaft nicht nur repräsentiert, sondern in der Gesellschaft verfestigt.“
Eine Leserin der Seite findet „alles so unendlich traurig hier :-( Und zwar von BEIDEN Seiten.“ Zwar sei sie zutiefst angewidert von einigen der geposteten Bilder, doch finde sie es „unter aller Sau, jeden, der zur WM eine Deutschlandflagge hisst, als Nationalist zu verunglimpfen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein