Nationalismus in Bosnien-Herzogowina: Angst vor neuem Krieg
Der Chef der serbischen Teilrepublik, Milorad Dodik, rüttelt an den Grundfesten des Staats Bosnien-Herzegowina. Jetzt greift er das Verfassungsgericht an.
Die Teilung Bosnien und Herzegowinas in die beiden Entitäten Republika Srpska und Föderation von Bosnien und Herzegowina geht auf das Abkommen von Dayton vom Dezember 1995 zurück, das den Krieg beendete.
Es ist schon ein einmaliger Vorgang in Europa, dass mit Dodik das Mitglied des höchsten Gremiums eines Staates erklärt, den Staat zerstören zu wollen, den er selbst repräsentiert. Dass er einen wichtigen Verbündeten, den Vorsitzenden der kroatischen Nationalpartei HDZ-BiH in Bosnien, Dragan Čović, gefunden hat, lässt seine Position nicht mehr nur als reine Rhetorik erscheinen.
Dodik und Čović haben sich zusammengeschlossen und am 13. Februar ein Ultimatum gestellt. Dodik fordert, dass innerhalb von 60 Tagen das Verfassungsgericht eine Entscheidung zurücknimmt, die Landflächen in Staatsbesitz betrifft. In dem Urteil wird das Staatsland als Besitz des Gesamtstaates Bosnien und Herzegowina definiert, Dodik will jedoch dieses Land in den Besitz der Republika Srpska überführen.
Nur ein Manöver
Ihn ärgert die Unabhängigkeit des Gerichts und vor allem die Anwesenheit ausländischer Richter. Im Verfassungsgericht wirken neben sechs lokalen Richtern – je zwei aus den drei Volksgruppen – auch drei vom Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg bestellte internationale Juristen mit. Die müssten, laut Dodik, verschwinden.
Es geht aber nicht nur um die Kontrolle über die Justiz. Der in Belgrad lebende Oppositionelle Čedomir Jovanović erklärte in der Bosnia Daily vom 19. Februar, dies sei alles nur ein Manöver, um an das Staatsland zu gelangen, um es profitabel für die herrschende Nationalistenclique privatisieren zu können. Ihm zufolge geht es den serbischen Nationalisten nicht nur um die Nation, sondern auch ums Geld.
Für den Kroatenführer Dragan Čović geht es auch um eine Machterweiterung. Er will das Wahlgesetz in der kroatisch-bosniakischen Föderation, dem zweiten Teilstaat Bosnien und Herzegowinas ändern, weil in der Föderation auch Nichtkroaten das kroatische Mitglied im Staatspräsidium wählen können.
Verbindungen zu Russland
So ist das jetzige kroatische Mitglied im Staatspräsidium, Ivo Komšić, kein Nationalist, sondern ein eher im linken Spektrum agierender kroatischer Politiker mit starken Verbindungen zur Zivilgesellschaft.
Čović will aber die absolute Kontrolle über die Kroaten in Bosnien und Herzegowina. Er strebt zudem die territoriale Teilung der bosniakisch-kroatischen Föderation an, die kroatisch dominierten Kantone der Föderation sollten sich zu einer „Dritten Entität“ zusammenschließen. Schon während des Krieges 1992–1995 hatten die Kroaten den Parastaat „Hereceg-Bosna“ aufgebaut. Dodik sagte Čović im Februar Unterstützung für diesen Plan zu.
Beide Politiker haben starke Verbindungen zu Russland etabliert. Čović besuchte vergangene Woche Moskau, in der serbischen Teilrepublik sind russische Militärberater aktiv. Präsident Wladimir Putin kann, so sind sich diplomatische Beobachter einig, bei Bedarf den Konflikt im Lande anheizen.
Das weckt Widerstand bei den westlichen Mächten. Der US-Botschafter in Bosnien und Herzegowina, Eric Nelson, erklärte am 19. Februar gegenüber Dodik, dass die Grenzen und Integrität des Staates Bosnien und Herzegowina im Friedensvertrag von Dayton 1995 festgeschrieben seien.
Appell an Brüssel
Dodik steht in den USA auf der Liste „unerwünschter Personen“. Die Botschafter des PIC (Peace Implementation Council), an dem alle Garantiemächte für Bosnien und Herzegowina – auch die UNO – beteiligt sind, stützten am 19. Februar in einer Resolution klar die Position des Verfassungsgerichts, nur Russland nicht.
Die Politik der Europäischen Union sei aber zu schwach, beklagt der ehemalige Hohe Repräsentant Christian Schwarz-Schilling und fordert eine klare Postion Brüssels. Am Montag hat die „Quint“ (Großbritannien,Frankreich, Italien, Deutschland und USA), die schon im Krieg aktiv war, auf diese Forderung reagiert und Dodik scharf gewarnt, das Abkommen von Dayton weiter zu unterhöhlen.
Alles dies hat bei der Bevölkerung Bosniens Ängste vor einem neuen Krieg ausgelöst. Haris Silajdžić, der ehemalige Außenminister während des Krieges der 90er Jahre, erinnerte unlängst gegenüber der taz daran, dass die Position Dodiks und Čović' die Kriegsziele der Nationalisten von damals wiederholt.
In Bosnien und Herzegowina ist den meisten Menschen bewusst, dass Dodik einer langfristigen Strategie folgt. Für die Nationalisten Serbiens und auch Kroatiens hat die multinationale Gesellschaft Bosnien und Herzegowinas schon lange keine Existenzberechtigung mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann