Nanopartikel in Lebensmitteln: Unter Verdacht
Zahlreichen Lebensmitteln wird der Nanostoff Titandioxid beigemengt. Doch zunehmend gibt es Hinweise auf gesundheitsschädliche Folgen.
In Titandioxid liegen bis zu 30 Prozent der Körnchen als Nanopartikel vor. Das sind Teilchen, die auf weniger als 100 Nanometer (1 nm = 10–9 Meter) im Durchmesser kommen. Sie sind damit etwa so groß wie Viren. Zwar wird seit Jahren über die möglichen Risiken von Nanopartikeln in Lebensmitteln diskutiert. Um den Weißmacher gibt es jedoch derzeit besonders heftige Diskussionen auf EU-Ebene, da sich Studien mehren, die E171 schädliche Wirkungen nachsagen.
So belegte etwa eine französische Studie im Jahr 2017, dass Ratten bei einer Dosis, die Verbraucher durchschnittlich über Lebensmittel aufnehmen, in 40 Prozent der Fälle an Entzündungen im Darm litten und auch teilweise Tumore entwickelten. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) schätzt, dass jeder EU-Bürger täglich 1,28 Milligramm Titandioxid pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nimmt.
Eine Schweizer Studie fand im selben Jahr heraus, dass auch bei Mäusen Titandioxid-Partikel Entzündungsgeschehen im Verdauungstrakt verstärken und über eine gestörte Darmbarriere ins Blut gelangen, wo sie zur Milz wandern und dort abgelagert werden. Zwar sind beide Versuche nur Tierstudien und nicht so einfach auf den Menschen übertragbar. Dennoch raten etwa die schweizer Forscher Menschen mit entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa von den Zusatzstoffen ab.
Bis dato ist TiO2 ohne Höchstmengenbeschränkung für Lebensmittel zugelassen, da es nicht genügend Daten bezüglich potenzieller Risiken gibt. Es sollte jedoch nur so viel Weißmacher wie nötig in den Produkten stecken, so lautet die gesetzliche Vorgabe an die Lebensmittelhersteller.
Gutachten der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA
Frankreich hat aufgrund der neuen Studien von seiner Lebensmittelbehörde ANSES in einer Analyse alle wissenschaftlichen Daten zusammengeführt. Ihrer Meinung nach sollte Titandioxid als Stoff mit vermutlich krebserregender Wirkung eingestuft werden. Das Land hat darum im Alleingang für 2020 den Einsatz von Titandioxid gemäß dem Vorsorgeprinzip untersagt. Im Frühjahr 2021 will sich die europäische Lebensmittelbehörde EFSA in einem neuen Gutachten äußern. Denn auch das EU-Parlament möchte von der Kommission, dass der Fall Titandioxid neu aufgerollt wird und es eine einheitliche Lösung für alle EU-Länder gibt.
Laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) werden derzeit noch Daten zur Reproduktionstoxizität geprüft, das heißt, wie sich der Zusatzstoff auf die Fortpflanzungsfähigkeit auswirkt und ob er den Nachwuchs im Mutterleib schädigen kann. Theoretisch geht man davon aus, dass die kleinen Partikel stärker toxisch sind, da sie bevorzugt biologische Barrieren wie die Darmwand, die Plazenta oder auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Bislang fehlen aber Daten, auch weil Testsysteme nicht einheitlich sind. Das BfR stuft TiO2 darum weiterhin als unbedenklich ein.
Bereits seit Ende der 1990er Jahre werden Nanozusätze ins Essen gemischt. Seit der Lebensmittelinformations-Verordnung von 2014 müssen Hersteller diese mit „nano“ kennzeichnen. Dennoch trägt laut Verbraucherzentrale derzeit kein Lebensmittel diesen Zusatz. Denn: Zusatzstoffe wie Calciumsilicat (E 552), Talkum (E 553b) oder Siliziumdioxid (E 551) können zwar wie Titandioxid Nano-Anteile haben, diese sind jedoch meist zu gering, als dass sie unter die Kennzeichnungspflicht fallen. Einige Bioverbände wie Demeter oder Naturland untersagen die Verwendung von Nanozusätzen ganz.
Allerdings wären amtliche Überwachungsbehörden kaum in der Lage, Nanopartikel nachzuweisen. Bislang fehlen nämlich die Analysemethoden, Lebensmittel sind hochkomplexe Gemische, in denen die Minipartikel kaum aufzuspüren sind. Denn die Partikel können sich auch zu Agglomeraten zusammenfügen, die dann mehr als 100 Nanometer messen.
Alternativen gibt es
Der Verbraucher hat also derzeit keine Wahl, die Lebensmittel zu meiden, falls er dies möchte. Der BUND fordert darum, auf den Einsatz von Nanopartikeln in Lebensmitteln zu verzichten, bis es eindeutige Fakten gibt. So hätten Lebensmittelhersteller in Frankreich die Zusatzstoffe problemlos durch andere ersetzt.
Das Risikopotenzial der Zwerge ist auch deswegen so schwer einzuschätzen, da die Partikelgröße selber noch nichts über die Gefährlichkeit aussagt. So kommen Nanopartikel auch in natürlichen Lebensmitteln, etwa als Caseinmizellen in der Milch oder als Gerstenfragmente in Bier, vor. In Fleisch findet sich Ferritin, das etwa 12 Nanometer misst. Kopfzerbrechen bereitet den Risikoforschern auch, dass in jüngster Zeit Plastikmikropartikel in Bier und Honig gefunden wurden. Wie sich diese im menschlichen Körper verhalten, ist völlig unklar. Auch im menschlichen Verdauungstrakt können sich durch Enzyme und Säuren Nanosubstanzen bilden.
Nanopartikel werden derzeit auch erforscht, um die Textur von Lebensmitteln zu verbessern und damit Salz und Zucker einzusparen. Einige Hersteller werben sogar damit, dass Nanostrukturen etwa in Vitamintabletten zu einer besonders guten Bioverfügbarkeit beitragen. Laut BfR gibt es jedoch keine Daten, die das belegen, vielmehr könnte die erhöhte Verfügbarkeit sogar eine negative Wirkung zeitigen.
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