Ruf nach Verbot von Titandioxid: Unsicherer Farbstoff in Tabletten
Titandioxid steckt in Pillen wie Ibuprofen oder Cetirizin. Umweltschützer fordern, ihn nicht nur in Lebens- sondern auch Arzneimitteln zu verbieten.
Tatsächlich will die Kommission nach eigenen Angaben jetzt die EU-Arzneimittelbehörde (EMA) um eine Untersuchung bitten, ob und wie sich Titandioxid in Medikamenten ersetzen lässt. Mehr als 30.000 Präparate in der EU, so die Brüsseler Behörde, würden die Substanz enthalten. Darunter sind so bekannte Medikamente wie das Schmerzmittel Ibuprofen, das Antiallergikum Cetirizin oder das Potenzmittel Viagra. „Dieser Hilfsstoff ist wirklich weit verbreitet“, sagte eine Sprecherin des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte der taz. Knapp 32 Prozent der in Deutschland zugelassenen „festen oralen Darreichungsformen“ wie Tabletten oder Kapseln enthielten Titandioxid.
Doch nun urteilte die Efsa, es sei „auf der Grundlage der neuen Daten und weiterentwickelten Methoden“ nicht auszuschließen, dass Titandioxid das Erbgut schädigen könne. Zwar nehme der Organismus nur wenige Titandioxidpartikel aus der Nahrung auf, „sie können sich jedoch im Körper ansammeln“. Deshalb lasse sich „keine sichere Menge für die tägliche Aufnahme von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff festlegen“.
Die Umweltorganisation Health Care Without Harm (HCWH) fordert deshalb, den Stoff auch in Medikamenten zu verbieten. „Es ist logisch, ein Verbot von E171 als Farbstoff auch in Arzneimitteln zu verlangen, weil diese ebenfalls durch orale Aufnahme in den menschlichen Körper gelangen“, teilte Dorota Napierska, Chemikalienexpertin des Verbands, der taz mit.
„TiO2 kann nicht mehr als sicher gelten und manche Firmen haben schon freiwillig andere Stoffe verwendet“, schrieb der taz Robert Schiestl, emeritierter Professor für Pathologie und Umweltmedizin und Strahlentherapie der Universität von Kalifornien, Los Angeles (UCLA), der zu dem Stoff geforscht hat.
Der große Generikahersteller Ratiopharm, der Titandioxid häufig verwendet, antwortet erst gar nicht auf Anfragen zum Thema. Der EU-Pharmaindustrieverband EFPIA teilte der taz nur mit, dass man das Gutachten der EU-Lebensmittelbehörde Efsa über Titandioxid zur Kenntnis nehme und nun beobachte, wie die Arzneimittelbehörde reagiere. Vor allem aber betonte eine Sprecherin des Verbands, dass die lichtundurchlässige Substanz Wirkstoffe schütze und so die Haltbarkeit erhöhe.
Der Verband der Titandioxid-Hersteller (TDMA) warnt schon lange, dass nach einem Verbot des Stoffes die Pharmafabriken die Zusammensetzung der „Mehrzahl aller auf dem Markt verfügbaren Produkte“ ändern und neu zulassen müssten. „Der schiere Umfang eines solchen Unterfangens hätte mit ziemlicher Sicherheit zur Folge, dass die Hersteller bestimmte Präparate einfach vom Markt nehmen würden.“
Umweltschützerin Napierska hält das für Panikmache. „Im Fall eines Verbots setzt die Gesetzgebung normalerweise eine genügend lange Übergangsfrist, damit die Industrie ihre Produkte anpassen kann“, sagt sie. Bei kleineren Änderungen, wie es der Ersatz von Titandioxid sein sollte, gebe es ein vereinfachtes und schnelleres Zulassungsverfahren. „Die Industrie will keine neue Zusammensetzung, weil es Geld kostet, aber das darf nicht über der menschlichen Gesundheit stehen.“ Titandioxid sei nun mal kein therapeutischer wirksamer Stoff und ersetzbar.
Tatsächlich bietet zum Beispiel die Firma Biogrund aus dem hessischen Hünstetten Tablettenfilmüberzüge auch ohne Titandioxid an. „Unterschiede zu herkömmlichen Titandioxid-Formulierungen sind für das Auge nicht erkennbar“, schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite. Auch die Lichtundurchlässigkeit sei „nahezu gleich“. „Es ist auch nicht teurer, aber es ist erforderlich, dass man ein bisschen mehr benutzt, weshalb der Produktionsprozess etwas länger dauert“, sagt Marketingchef Rüdiger Dartsch der taz. Es gebe auch andere Anbieter.
Deshalb hat Patient Polte schließlich auch für sein wichtigstes Arzneimittel eine Alternative ohne Titandioxid gefunden. „Wenige Monate nach dem konsequenten Verzicht in Medikamenten und auch zuvor in Lebensmitteln zeigt sich eine nicht erwartete Besserung“ seiner Beschwerden, freut sich Polte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!