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Nahost und FeminismusReißt euch zusammen, Flinta!

Der Krieg in Gaza spaltet die feministische Bewegung. Bei den Demonstrationen zum feministischen Kampftag wird er eine große Rolle spielen.

Gaza war schon auf der Flinta*-Demo am 8. März 2024 ein zentrales Thema Foto: IMAGO / ZUMA Press Wire

Berlin taz | Das lila Graffiti an der Hauswand im Scheunenviertel in Mitte ist nur noch schwer lesbar: „Jeden zweiten Tag ein Femizid in Deutschland – weltweit alle 10 Minuten.“ Es wurde mit roter Sprühfarbe durchgestrichen. Daneben prangt in roten Buchstaben: „Ablenkung von“ – gefolgt von einem Davidstern und: „you cannot hide genocide.“

Der Nahostkonflikt spaltet die feministische Bewegung. „Im Mittelpunkt steht nicht Gaza selbst“, sagt Jannis Grimm, der an der Freien Universität zu Palästina-Solidaritätsbewegungen in Deutschland forscht. „Vielmehr kristallisieren sich entlang des Krieges grundlegende feministische Konfliktlinien heraus: Selbstbestimmung, Ausbeutung, intersektionaler Feminismus, Kolonialisierung von Körpern und Ländern sowie ein zerbröselndes Völkerrecht.“

Zwei feministische Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber: Ein „liberaler, westlicher, oftmals weißer Feminismus, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen Haltung auch exklusiv ist“, und eine jüngere queerfeministische Bewegung, die stark durch dekoloniale Kämpfe des Globalen Südens geprägt wurde, so Grimm.

Das eine Lager beschuldigt das andere, sexualisierte Gewalt durch die Hamas zu verharmlosen, während das andere eine rassistische Auffassung von Feminismus kritisiert, die sich nicht gegen jede Form der Unterdrückung richtet. Gegenseitig – da ist man sich einig – lautet der Vorwurf: Doppelmoral.

Die Spaltung zeigt sich auch in den Aufrufen zum feministischen Kampftag am 8. März. So gibt es vier große Demos, die den Nahostkonflikt zum zentralen Thema machen, sowie eine gewerkschaftliche Demo, die den Fokus auf den Kampf der Arbeiterinnen legt.

Unter dem Motto „Until total Liberation“ ziehen am Samstag De­mons­tran­t*in­nen vom Oranienplatz in Kreuzberg nach Neukölln. Aufgerufen hat die stark propalästinensisch ausgerichtete Gruppe „Alliance of international Feminists“. Ebenfalls beteiligt ist die Gruppe „Young Struggle“, die den Hamas-Terrorangriff auf Israel als „Gefängnisausbruch“ und „Widerstand“ bezeichnete, sowie „Palestine at the Forefront“ und „Zora“.

Fokus auf dem Krieg in Gaza

Die Or­ga­ni­sa­to­r*in­nen lassen keinen Zweifel daran, dass ihr Fokus auf dem Krieg in Gaza und der Kritik an anderen feministischen Strömungen liegt. Ihr Demo-Aufruf beginnt unmissverständlich: „Was sie unter dem Namen des Feminismus zu verkaufen versuchen, rechtfertigt Völkermord, Krieg, militärische Invasionen und die Plünderung von Ressourcen.“ Sie selbst hingegen stellen sich „bedingungslos auf die Seite der unterdrückten und der von ihnen gewählten Wege des Widerstands“.

Auch die queerfeministische Fahrraddemo, die mittags durch Kreuzberg fährt, sowie die kämpferische Abenddemo „Fight by Night“ positionieren sich propalästinensisch. „Wir möchten auf der Demo keine Länderflaggen sehen, etwa von Israel oder Deutschland“, erklärt eine Sprecherin der Abenddemo der taz. Diese Demo habe ein antistaatliches Selbstverständnis.

FU-Forscher Grimm erklärt: „Viele feministische und queerfeministische Gruppen, die ihren Kampf intersektional verstehen, zählen zu den zentralen Ak­teu­r*in­nen der Palästina-Solidarität und mobilisieren überproportional für propalästinensische Demos.“ Die Demo am 8. März 2024 sei mit über 10.000 Teilnehmenden der zweitgrößte Protest in Berlin mit Bezug zu Gaza gewesen. Dass es eine Gegenmobilisierung gibt, sei nicht verwunderlich. Denn: „Es gibt viele, die auf keinen Fall bei einer Demo mitlaufen wollen, die sich mit Gaza solidarisiert und Kritik an Israel übt.“

Im vergangenen Jahr hatte erstmals das Bündnis „Feminism Unlimited“ zu einer Demo am 8. März aufgerufen. Mit ihrer Botschaft, ohne Rassismus, Antisemitismus und Transfeindlichkeit demonstrieren zu wollen, mobilisierten sie 10.000 Menschen. Auch in diesem Jahr rufen sie zu einer Demo „für einen antifaschistischen und universellen Feminismus“ auf.

„Verirrungen unserer Bewegung“

Sie fordern Linke und Fe­mi­nis­t*in­nen dazu auf, „die Verirrungen und Leerstellen unserer Bewegung“ in den Blick zu nehmen. Es wird sowohl das Leid palästinensischer Frauen in Gaza als auch in Israel anerkannt und kritisiert, dass feministische Prinzipien über dem Konflikt über Bord geworfen werden – von beiden Seiten.

Das geschehe, indem „die Taten der rechten Netanjahu-Regierung und des Militärs verharmlost oder idealisiert und das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung ignoriert werden“, aber auch, indem die sexualisierte Gewalt, die am 7. Oktober gegen israelische Flinta* ausgeübt wurde, verharmlost, verleugnet oder sogar als Widerstand glorifiziert werde. Ihr Appell: Flinta* und queere Personen müssen zusammenhalten. „In unserer Vereinigung liegt die Kraft, das Patriarchat zu zerschlagen.“

Der Nahostkonflikt hat die Spaltung verstärkt, allerdings hat es schon immer starke Differenzen zu zentralen ideologischen Überzeugungen wie Sexarbeit, Pornografie oder der Gleichstellung von Transpersonen gegeben. Aufgrund der Verbreitung von transfeindlichen „Feministinnen“ sah sich etwa auch die „Fight by Night“-Demo dazu gezwungen, in ihrem Aufruf klarzustellen, dass TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists) und SWERFs (Sex Worker Exclusionary Radical Feminists) nicht willkommen sind.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde Esther vom Purple Ride wie folgt zitiert: „Eine Ausnahme gibt es jedoch: Palästina-Flaggen sind willkommen, denn diese stünden nicht nur für einen Staat, sondern auch für eine „revolutionäre antiimperialistische Praxis“. Das gelte auch für Kurdistan- oder Rojava-Flaggen.“

Esther erklärt dazu: „Er [der Artikel d. Red.] liest sich so, als ob auch der Purple Ride sich wie im Zitat genannt, also wie die Abenddemo, zu bestimmten Flaggen positioniert habe. Das stimmt jedoch nicht. Wir haben uns zu Flaggen bewusst nicht positioniert und möchten nicht so verstanden werden, dass wir bestimmte Flaggen explizit willkommen heißen.“

Die entsprechende Passage wurde daher aus dem Artikel entfernt.

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17 Kommentare

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  • Vielleicht überdenkt man ja generell sich in einem von Männern geführten Konflikt zu positionieren, bei dem sich von Männern gegründete Religionen bekriegen und bei denen hauptsächlich Frauen und Kinder die Leidtragenden sind?

    • @Platanebanane:

      Den Nahost-Konflikt nur als religiösen Konflikt zu sehen ist schon viel zu eng gefasst. Es geht genauso um Land und Macht.



      Und wenn sich Frauen nicht zu Konflikten auf dieser Welt positionieren sollen, die von Männern geschaffen wurden, dann dürften wir so ziemlich zu keinem Konflikt irgendetwas sagen. Nur wie sie ja richtig festgestellt haben, sind hauptsächlich Frauen und Kinder die leidtragenden und da denke ich schon, das sich dann Frauen sogar dazu positionieren müssen. Nur sollte das am besten universal geschenen indem man jegliche Gewalt, Unterdrückung, Diskriminierung etc. gegen Frauen und Kinder ablehnt. Und wenn die Männer an der Macht, die Konflikte auslösen, mehr an diese Frauen und Kinder denken würden anstatt an Macht, Landgewinn, Ausbeutung natürlicher Resourcen, Unterdrückung, etc. dann hätten wir vielleicht auch weniger Konflikte.

      • @Momo Bar:

        Ich glaube ja, dass auch Männer unter kriegerischer Gewalt leiden, auch wenn sie gleichzeitig die Akteure sind. Aber ohne den "weiblichen Rückhalt" wäre es für "die" Männer wesentlich schwieriger in den Krieg zu ziehen.

  • Genau diese Aufsplitterung/ Ausgrenzung von Anderen/ das tw. Dogmatische in der Frauenbewegung hat mich als Frau oft verärgert. Statt inklusiv zu sein und sich gegenseitig zu unterstützen grenzt man aus und dadurch ändert sich nichts. Und Schuld sind wir dann alleine. Für mich bedeutet Feminismus nicht andere auszugrenzen, sondern zuzuhören und zu schauen wo man Gemeinsamkeiten findet für die man einstehen kann und eventuell auch mal die eigene Ansicht zu überdenken. Vor allem bedeutet es aber Frauenrechte universal zu sehen, aber sie auch in Zusammenhang mit sozialen Gegebenheiten, Geschichte, kulturellen Unterschieden, auch Religion etc. zu sehen- eben allem das das Leben einer Frau beeinflusst!



    „liberaler, westlicher, oftmals weißer Feminismus, der in seiner vermeintlich emanzipatorischen Haltung auch exklusiv ist“- genau das sehe ich eben auch. Man muss sich mal davon verabschieden zu glauben, das der liberale westliche Feminismus das Maß aller Dinge ist (perfekt ist er auch nicht) und zu glauben das jede Frau dieser Erde dies als Ziel hat und das ok ist. Das oberste Ziel sollte doch immer sein das Frau ein selbstbestimmtes Leben führt, egal wie das aussieht.

  • Man vermisst eine undogmatische radikale Linke, die auch ihren eigenen Antisemitismus hinterfragt. Selber reflektieren statt auf andere projizieren ist das Stichwort.

  • Mir ist unklar, warum sich feministische Gruppen auch nur ansatzweise mit der islamistischen Hamas solidarisieren können, die die Frauenrechte mit Füßen tritt. Alle Frauen sind gleich, nur manche sind gleicher?

  • Welche FLINTA* möchte unter der Hamas in Gaza leben? Oder in einem von der Hamas regierten Staat in den jetzigen Grenzen von Israel? Keine.

  • Was ist wohl recht sicher daneben?



    Muslim-/Araberhass unter dem Deckmantel, dass "die" doch alles Frauenfeinde wären (Und Israel dürfte alles).



    Juden-/Israeli-Hass, der der Hamas alles zugestünde, denn die wären ja automatisch die Guten.

    Was ist besser? Differenzieren, auch hier.



    (Universale Maßstäbe, die z.B. Verg#w#tigungen von wem auch immer und in welchem Kontext auch immer von Ehebett bis Krieg als Untat benennen, sind auch hier nicht verkehrt.)

  • Hier in der holsteinischen Provinz interessiert dies Thema außer ein paar studierte Hanseln (mich eingeschlossen) kein A*...



    Wenn sich marginalisierte Bewegungen gegenseitig bekämpfen, dann freut das nur die AFD und Konsorten, löst aber keinen Konflikt sei es in Gaza, Israel oder hier im Land.



    Ernüchterte Grüße vom Dorf (BW 25: AFD 25%)

  • Es besteht kein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen Feminisus und Gaza, ganz im Gegenteil. Betrachtet man die Region unter dem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung müsste man sich für Israel stark machen.

    So wäre es zumindest, wenn man rational denken würde. Es zeigt sich ja aber immer mehr das sich ein Leben im linken Spektrum nur noch machen lässt, wenn man die egalitäre Basismoral auf jeden Lebensbereich anwendet, in dem dies jemand einfordert. Das führt natürlich zu massiven Interessenskonflikten, die lassen sich dann auch nicht mehr einfach mit der Aufforderung "Randgruppen nicht gegeneinander auszuspielen" beseitigen. Die sogenannten Randgruppen haben nämlich ein Eigenleben und unterliegen selbst oft nicht den gleichen, moralischen Restruktionen.

    • @Julius Anderson:

      Der IGH hat erst letztes Jahr festgestellt das Israel gegen das Verbot von Segregation und Apartheid verstößt. Gleichberechtigung? Die EU hat bereits 2010 festgestellt, dass es in Israel Gesetze gibt die diskriminierend gegenüber der arabischen Bevölkerung sind, das betrifft auch Frauen.



      Hier auch ein Report über Frauen in Haft: www.gicj.org/image...n-in-Detention.pdf



      Oder ein Report zur med. Situation für Frauen in Gaza vom letzten Jahr: www.un.org/sexualv...mens-health-en.pdf



      Wenn man keinen Zusammenhang zwischen Gaza und Feminismus sieht, dann nur weil die eigene Definition von Feminismus sehr eng gesteckt ist. Die med. Versorgung von Frauen, Behandlung bei Inhaftierung ev. noch ohne Anklage und Verfahren, keinen Zugang zu Rechtsbeistand etc., Armut, Gewalt etc sind sehr wohl feministische Themen oder sollten es sein, wie alles was das Leben einer Frau beeinflussen kann. Und Feminismus heißt ja wohl auch für Gleichberechtigung zu kämpfen wo es sie nicht gibt.

    • @Julius Anderson:

      Einer gefühlten Gleichberechtigung halber offensichtliches Unrecht nicht sehen, wäre auch nicht das Gelbe vom Ei. Gleichberechtigung denkt an die israelischen Mütter und die palästinensischen Mütter und ...



      Universal denkend bleiben.

  • Antisemitische Pogrome waren und sind keine Widerstandsform gegen Imperialismus oder Klassenherrschaft oder sonst was.



    Wer das als gewählte Widerstandsform rezeptiert, stellt sich in die Tradition von Pseudobefreiung per Antisemitismus.



    Und ja ,ich habe auch reichlich Kritik an Israel bzw. der Regierung Netanjahu und den nationalistischen Siedlern.

  • Wenn es nicht mehr darum geht, konkretes Unrecht anzuprangern, sondern die eigene allumfassende, unfehlbare Ideologie zu verherrlichen, bin ich raus.

    Ich möchte die leidenden Menschen in Palästina unterstützen, aber die schreckliche Hamas muss aufgelöst werden.

    Ich möchte, dass die Menschen in Israel ohne Angst in ihrem Land leben können, aber deren rechtsradikaler Regierung hält sich nicht ans Völkerrecht.

    Da lauf ich doch nicht mit irgendeiner Flagge herum.

  • Diese selbstgerechte Aufsplitterung von Gruppierungen, die angeblich für die Menschenrechteund eine bessere Welt eintreten (allerdings nur selten konkrete Hilfestellungen für konkrete Menschen in Not leisten) habe ich schon Ender 1970er Jahre an der Uni Bonn erlebt. Diese Szenerie wurde im Film "Das Leben des Brian" sehr zutreffend persifliert.

    Zwei, drei Jahre später war das alles verschwunden. So ein selbstbezogener Aktivismus vergeht wie Zuckerwatte im Regen.

  • Antiisraelische Parolen an deutschen Häuserwänden sind so unerträglich wie Hakenkreuze.

    • @Friedel Castrop:

      Je nach Ihrer Definition von "antisraelisch" bin ich bei Ihnen oder nicht.

      Wenn etwas nur die Untaten des Netanyahu-Kabinetts und die völkerrechtswidrige Besatzung anprangert, dann natürlich nicht.

      Wenn es sich an Israel austobt, weil dort Juden wohnen, dann sehr wohl.