Nahost-Konflikt: Israel riskiert einen Flächenbrand

Der Tod des Hamas-Politbürochefs Hanijeh droht, weitere blutige Reaktionen zu provozieren. Dabei wäre eine Eskalation durchaus zu verhindern.

Foto: Israel Government Pressoffice/Zuma Press/imago

Das israelische Kriegskabinett riskiert einen regionalen Flächenbrand: mit dem Angriff auf den Hisbollah-Berater und ranghohen Kommandanten Fuad Schukr, vor allem aber mit dem mutmaßlich israelischen Luftangriff, der Hamas-Politikbüro-Chef Ismael Hanijeh in Teheran getötet hat. Beides gilt als israelische Vergeltung für den Raketenangriff auf das drusische Dorf Maschdschal­ Schams, bei dem auf den von Israel annektierten Golanhöhen zwölf Minderjährige getötet wurden.

Mit Israels jüngsten Angriffen wächst die Angst, dass sich der Konflikt zu einem offenen Krieg ausweitet. Dabei wäre eine weitere Eskalation vermeidbar. Ein Waffenstillstand in Gaza würde auch die Lage an der libanesisch-israelischen Grenze befrieden. Die Rakete war höchstwahrscheinlich ein Irrläufer. Es konnte ja nicht im Interesse der Hisbollah sein, Verbündete anzugreifen. Die syrischstämmigen Drusen in dem Gebiet wehren sich gegen Israels Besatzung, die Mehrheit von ihnen verweigert die israelische Staatsbürgerschaft.

Bisher bewegte sich der gegenseitige Beschuss in kalkuliertem Rahmen. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wie auch die Führung in Teheran betonen seit Beginn des Krieges am 7. Oktober, keine Ausweitung zu wollen. Sie halten ihre ideologische Unterstützung für die Hamas im Gazastreifen aufrecht, wägten dabei aber bisher genau ab. Dafür sprechen die verhaltenen Reaktionen nach der gezielten Tötung des Hamas-Anführers Saleh al-Aruri im Januar in Beirut und nach dem Luftangriff auf das iranische Konsulat in Damaskus im April, bei dem ranghohe Mitglieder der iranischen Revolutionsgarden zu Tode kamen.

Iran und die Hisbollah schickten Raketen, von denen sie wussten, dass die Abwehrsysteme Israels und der USA sie aufhalten würden. Damit konnten sie eine Vergeltung reklamieren, ohne viele zivile Opfer zu riskieren. Der Sprecher des israelischen Militärs hat die drusischen Kinder diese Woche rhetorisch eingebürgert und als „israelische Staatsbürger“ bezeichnet. Das lieferte das Argument für einen harten Schlag, um eine große Front gegen den Libanon zu eröffnen. Die USA haben darauf gedrängt, mit Bedacht zu reagieren. Das hat womöglich zum gezielten Anschlag in Beirut geführt, und dabei hätte es Israel belassen können.

Solange die Hisbollah den Tod des Nasrallah-Beraters dementiert, braucht sie keinen Grund für einen größeren Vergeltungsschlag. Beide Seiten hätten damit eine Ausweitung verhindert. Doch dann folgte die gezielte Tötung von Hamas-Chef Hanijeh in Teheran. Nun könnte die Tötung des Mannes, der für die Hamas am Verhandlungstisch saß, zu groß sein, als dass Iran, Hisbollah und die Hamas es darauf beruhen lassen.

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Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.

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