Nachruf auf taz-Setzer Georg Schmitz: Über einen, der buchstäblich neue Standards säzzte
War er der Erfinder des Binnen-I? Selbst wenn nicht, war taz-Urgestein und -Setzer Georg Schmitz für diese Zeitung, nun ja: unersäzzlich.
Die feministischen Erörterungen zur Kritik des generischen Maskulinum wurden hier überhaupt ernst genommen. Einer hat es dann, so geht die Legende, ins Werk gesetzt: „Der Säzzer“ Georg. Er fand es einleuchtend, künftig so zu schreiben: AbonnentIn, GenossIn, RedakteurIn … Und so weiter, und so fort … Luise Pusch, die legendäre Linguistin, lobt uns dafür bis heute – und dieses Kompliment gebührt eben ihm, Georg Schmitz, der Säzzer. [Ruhm ist vergänglich, d. säzzer]
Nun fragen sich alle, die noch nicht das 60. Lebensjahr vollendet haben: What the hell ist – ein Säzzer? Schwierige Antwort, weil unterkomplex: ein Mensch, der die auf Papier verfassten journalistischen Texte abtippte und layoutfertig setzte, also säzzte. Georg Schmitz war in dem Start-up, das die taz ja war, zugleich viel mehr. Der gute Geist, das Urgestein des Hauses in nuce, der Mann, der von sich sagte: „Ich bin kein Freak, aber freaklich“, ein Kollege mit wirklich opulentem Vollbart, grau später, doch immer markant.
Dieser Mann, seit vielen Jahren im Ruhestand und seither immer auch weiterhin am Kosmos der taz dran, kam im Jahr 1952 in Aachen zur Welt, Bruder zweier jüngerer Schwestern, die er, so geht die Phantasie, gewiss wie ein Löwe beschützte, ein Wesen, das nach der Schule eine Lehre als Musikalienhändler machte. In Schleswig-Holstein, wohin es ihn zunächst zog, hörte er von einer Zeitungsinitiative neuester Art, der der taz natürlich. Und dort machte er mit, zog nach Westberlin – und war somit ein „tazzler der nullten Stunde“, wie Bernd Thalhammer, sein späterer Schwager und taz-Kollege aus der Vertriebsabteilung sagt.
Zu den Fakten der taz & Georg Schmitz zählt auch, dass er alles Mögliche im technischen Bereich machte, KollegInnen an den neuartigen Satzgeräten schulte und dies mit einer Geduld, die obendrein mit Freundlichkeit getränkt war, eine, die Autorität, Kompetenz auch emotionaler Art, verströmte: Georg, das war die Coolness selbst, das menschliche Antihysterikum, unerschütterlich Seitenschlüsse anmahnend, ohne je die Contencance zu verlieren.
Er war der Mann der Säzzerbemerkungen, der Notizen in den Texten, nie herablassend, oft leicht spöttelnd, jede Wichtigtuerei, gerade im Kommentarwesen, erstickend. Schrieb einer: „Die Lage in der bedrohlichen Weltsituation …“ fügte er in eckigen Klammern ein „Meine Lage auf dem Sofa ist bequem, d. Säzz.“ hinzu. Fehlten die (ja nicht allein von ihm hingegroovten) Kommentare, gab es LeserInnenbriefe: „Was ist denn mit euch los, wo sind die SäzzerInnen?“ Irgendwann sollten sie nicht mehr sein, warum muss hier ungeklärt bleiben. Etwas zu verlieren, erwähnte Georg einmal, ist nicht schön, aber auch das Leben hält nicht ewig.
Vor allem war Georg ein Pragmatiker sondergleichen: Er nahm, das war lange vor der Einführung des Internets und der digitalen Texttransformation, auch Korrespondentenberichte per Telefon auf – und rief man ihn dann „Herr Georg beim Diktat“, lachte er ansteckend laut.
Noch eine ikonische Tat, es gibt so viele Anekdoten mit ihm in einer Rolle: 1999 erschien diese Zeitung als sogenannte „Titten-taz“, als Projekt ausgeheckt von zwei Kolleginnen, eine davon die von keinem Shitstorm (LeserInnenbriefmecker- und -empörflut war es wohl damals) einschüchterbare Heide Oestreich – eine ganze Ausgabe gegen Sexismus und Misogynie. Als Pin-up-Boy dabei: Georg, der Säzzer. Und das mit Hingabe, ja Freude. [und splitterfasernackt auf einer Doppelseite!, d. säzzer]
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Einen Menschen wie ihn, der nach seiner Zeit bei der taz akribisch Berlin von den Außenbezirken bis in alle Zentren wandernd und radelnd erkundete, so zu beschreiben, heißt auch, im Kern einen lebenslustorientierten Exzentriker sich vorzustellen: Georg war eigen, machte nicht schnell einen auf Freundschaft, ließ, so sagen es frühere KollegInnen, ganz nah so recht nicht an sich ran.
Gut so: Er hatte den Takt und den Ton, die gewisse Distanz als ein Mittel des Miteinanderauskommens zu wahren. Er nahm, wie mir bei meinem ersten Besuch in der taz-Zentrale Ende der achtziger Jahre, jede Furcht vor den Großkopferten des Hauses, überhaupt vor dem alternativen Gewusel in der Zentrale, damals noch in der Weddinger Wattstraße. Liest man das Büchlein, das ihm zu Ehren zum Ruhestand gefertigt wurde, erliest man sich durch alle Einträge diesen Eindruck: Georg war den Menschen angenehm.
Im Übrigen hatte er bis in die frühen Neunziger kein Bankkonto, vielmehr holte er einmal im Quartal, sonst lohnt es ja nicht, seinen Lohn von Geschäftsführer Kalle Ruch ab. Und der sagte dann nur: Jetzt gehst du wieder zu „Bote & Bock“. Ja, zu einem Musikalienhändler in der Hardenbergstraße, denn Georg liebte die Musik, war in ihr, so sagte er mir, „eingesponnen wie in ein Netz, das mir meinen Kopp hält“.
Georg rauchte nicht, trank nie und ernährte sich bio. 1987 lernte er in der taz seine spätere Frau Regina kennen, mit ihr kaufte er am Rand Berlins ein Haus, was die Gründung eines Bankkontos quasi erzwang. Voriges Jahr erkrankte er schwer. Nach der Chemo schien alles wieder gut, aber der Krebs kam zurück. Nun erfuhren wir, dass unser Kollege, den wir voriges Jahr noch beim taz lab im Besselpark sahen, verstorben ist, um 24 Uhr des 12. Februar. Bei ihm waren seine Lebenspartnerin Maria und sein Schwager Bernd. Wir, die ihn kannten und beinah liebten, trauern mit seiner Familie.
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