Nachruf auf Willi Lemke: Er stand für das Soziale im Sport
Für den Studentenfunktionär, Werder-Bremen-Manager, SPD-Politiker und UN-Berater Willi Lemke sollte Sport stets Chancen öffnen und Entwicklung fördern.
Anfang Juli hatte Willi Lemke wieder einmal Besuch aus Nairobi. Doreen Nabwire Omondi war für zwei Tage mit ihrer Schwester in Bremen vorbeigekommen. Sie wohnten wie immer bei Lemke, der sein Haus gern und oft für internationale Gäste öffnete. „Die Arbeit, die er in den wenigen Jahren in der UN geleistet hat, hat das Leben von so vielen von uns verändert“, sagte Omondi wenige Tage später vor einem Bildschirm in Nairobi, als der Autor dieses Textes sie für eine Biografie über Willi Lemke interviewte. „Jeder Schritt, den ich nachher gemacht habe, geht auf den Weg zurück, den er mir eröffnet hat. Seine Freundschaft bedeutet mir sehr viel.“
Lemke war die junge Fußballerin 2009 in seiner Funktion als UN-Sonderberater für Sport im Dienst von Frieden und Entwicklung auf einem Kongress in Nairobi von Auma Obama, der Schwester des damaligen US-Präsidenten, vorgestellt worden. Auf dem Kongress berichtete Omondi über ein Fußballprojekt in Mathare, einem der größten Slums Nairobis, bei dem sie mitarbeitete. Lemke vermittelte ihr noch im selben Jahr ein Praktikum in Werder Bremens Sozialmanagementabteilung. Auf dem Platz führte sie das Frauenteam des SV Werder in der ersten Saison der 2. Fußball-Bundesliga mit sieben Treffern zum Klassenerhalt.
2012 nahm Omondi am ersten von Lemke und seinem Team organisierten Youth Leadership Camp in Katar teil, bei dem sozial engagierte Jugendliche aus prekären Verhältnissen dafür qualifiziert wurden, in ihren Ländern oder internationalen Organisationen Führungsaufgaben wahrzunehmen. „Die Tatsache, dass es einige Vorbilder wie mich gibt, die es durch den Fußball geschafft haben, ist Inspiration genug für andere Mädchen aus der Gemeinschaft“, sagte Omondi, die heute mit ihrem eigenen Projekt Girls Unlimited und als Managerin im kenianischen Fußballverband weiter Mädchen und Frauen dazu ermutigt, gegen kulturelle Widerstände Fußball zu spielen und dabei „grundlegende Lebenskompetenzen zu erlernen, die ihnen helfen, ein positives Leben zu führen“, wie sie sagt.
Die Youth Leadership Camps auf vier Kontinenten mit insgesamt 720 Teilnehmer:innen in vier Jahren, immer zur Hälfte Mädchen und Jungen, waren ein Kernprojekt in Lemkes zweiter Amtszeit als UN-Sonderberater. Er hatte 2008 nur zu gern die Gelegenheit ergriffen, als ihm dieses Amt wie einige andere zuvor eher zufällig vor die Füße gefallen war. Nach ermüdenden Jahren als Bildungs- und Innensenator in Bremen sowie der SPD-internen Abstimmungsniederlage gegen Jens Böhrnsen um die Nachfolge Henning Scherfs als Bremer Bürgermeister konnte Lemke zu seiner eigentlichen Passion zurückzukehren.
Europapokal und Notstandsproteste
Für die breite Öffentlichkeit war er zwar immer der Werder-Willi, der gemeinsam mit Otto Rehhagel Werder Bremen in seiner Manager-Zeit von 1981 bis 1999 zu drei Pokalsiegen, zwei deutschen Meisterschaften und einem Europapokalsieg geführt hatte. Der sich epische Wort-Gefechte mit Uli Hoeneß lieferte und als erster Fußballmanager VIP-Logen einführte. Aber im Grunde war Lemke immer Sportpolitiker und -organisator.
Schon als Schüler organisierte der 1946 in Pönitz (Ostholstein) geborene Lemke ein Handballturnier an seiner Schule, als Sport-Student in Hamburg war er 1968 Mitinitiator der „Notstandsolympiade“ und protestierte mit Sackhüpfen und Eierlaufen gegen die Notstandsgesetze und für eine bessere Ausgestaltung des Sportstudienganges. In seiner Examensarbeit beschäftigte er sich mit den deutsch-deutschen Sportbeziehungen, und in Bremen baute er bei der Gründung der „roten Kaderschmiede“, wie die junge Uni damals genannt wurde, als Planer den Sportstudiengang mit auf.
In seiner UN-Zeit knüpfte er später ein internationales Netzwerk aus Aktivistinnen und wohlhabenden Spendern, das er auch nach seiner Amtszeit aktivieren konnte, um Projekte oder Einzelpersonen zu unterstützen – etwa um es Mädchen zu ermöglichen, weiter zur Schule gehen zu können. Bis zuletzt war Lemke im Vorstand der „Auma Obama Foundation Sauti Kuu“ („Starke Stimmen!“) tätig. „Seine Unterstützung über die Jahre hat mir geholfen, meine Stiftung aufzubauen und zu stärken“, sagt Obama.
Am vergangenen Freitag gab Lemke den beiden Autoren seiner Biografie, die im Oktober erscheint, gutgelaunt ein letztes Interview – eine Art Resümee seines Lebenswerkes. Wie immer sprach er zuerst nicht über den großen Fußball, sondern über die vielen kleinen Erfolge als Fundraiser für Bildung und soziale Entwicklung. Am Montag starb Willi Lemke an den Folgen einer Hirnblutung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung