Nachhaltiges Wohnhausmodell: Ein teures Heim für Aussteiger
In Süddeutschland entsteht das erste Ökohaus aus Müll. Hinter dem Projekt steckt eine findige Marketingidee.
Funktioniert so etwas? „Hoffentlich“, sagt Stefanie Raysz von der Initiative Earthship Tempelhof, die den Bau koordiniert. „Wir fanden, wir sollten es ausprobieren, sonst macht es am Ende niemand.“ Die experimentelle Haltung teilen 50 Freiwillige, die aus der ganzen Welt gekommen sind. Sie wuseln im Staub oder waten im Matsch, stapeln Autoreifen, vernageln Balken und puzzeln aus Flaschenböden Buntglasfenster. In zwei Wochen soll das Haus bezugsfertig sein.
Das Hickhack um die Energiewende, die fehlende Schlagkraft der Mietpreisbremse – wer auf Fortschritte in Sachen nachhaltiges und bezahlbares Wohnen wartet, ist schnell frustriert. In diese Kerbe schlagen Aussteigermodelle. Ihre Devise: Raus aus dem System. Ihr Stichwort: „Off the grid“, also abseits der zentralen Wasser-, Strom- und Wärmeversorgung.
Ähnlich wie beim Passivhaus ist beim Earthship die Dämmung zentral. Was es an Wärme aufnimmt – durch seine verglaste Südseite – soll es speichern und so jede Heizung überflüssig machen. Dazu kommen Photovoltaikmodule und ein eigenes Wasserfiltersystem. Das Besondere ist, dass Earthships aus Abfall gebaut werden. Billig ist das nicht: Die TempelhoferInnen rechnen mit 300.000 Euro Gesamtkosten. Sie hoffen, später Betriebskosten zu sparen.
Ein Haus für Hartgesottene
Das Modell ist ein Produkt der US-Firma Earthship Biotecture um den Ökohaus-Guru Mike Reynolds. Der Architekt genießt Popstar-Status in der Off-Grid-Szene. Seine Häuser, optisch zwischen Raumschiff und Hobbithöhle, bilden Siedlungen in der Wüste New Mexicos. Auch in Europa ist der Hype angekommen. Die Ökohäuser stehen unter anderem in Großbritannien, Spanien und Frankreich – das Earthship Tempelhof wird das erste in Deutschland sein.
Reynolds inszeniert sich als Visionär, ist aber vor allem Marketingstratege. Für die Baupläne berechnet Earthship Biotecture 8.000 Dollar. Dazu kommen Kosten für Ortsbegehungen und Workshops. Reynolds‘Firma hat auch einen schicken Onlineshop mit Ratgebern und DVDs.
Aber kann man mit Glasfenstern tatsächlich heizen, wenn wochenlang keine Sonne scheint? „Man muss wahrscheinlich seine Ansprüche runterschrauben“, sagt Kenneth Ip, Leiter des Centre for Sustainability of the Built Environment an der Universität Brighton. In der Stadt steht ein Earthship, das Ip untersucht hat. „Sie müssen hinnehmen, dass es schon mal sehr heiß oder sehr kalt werden kann.“ Damit eignet sich das Earthship mehr für Hartgesottene und weniger für jene, die sich konstante Raumtemperaturen wünschen. Das sieht auch die Initiative Tempelhof ein: „Wir überlegen, doch einen Ofen einzubauen“, sagt Raysz.
taz.ökobiz beschäftigt sich gezielt mit Geschichten aus der nachhaltigen Wirtschaft – mit Analysen, Reportagen, Hintergründen. Regelmäßig auf taz.de und gebündelt auf einer Seite montags in der taz.die tageszeitung. Am Kiosk oder am eKiosk.
Ob dort am Ende ein ganzjährig bewohnbares Haus ohne laufende Kosten stehen wird, ist also zweifelhaft. Forscher Kenneth Ip findet das aber nicht wichtig: „Es kommt darauf an, Materialien und Bauweisen auszuprobieren, die dann vielleicht im konventionellen Bau übernommen werden.“ Fragen sollte man sich aber, ob TüftlerInnen dafür extra ein Patent aus den USA einkaufen müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann