Nach der Wahl in Großbritannien: Ab ins politische Zentrum
Die Queen hat das Parlament eröffnet und Johnsons Regierungserklärung verlesen. Der Premier verspricht ein prosperierendes Königreich.
Der erste Satz zielt auf die von Labour zu den Konservativen übergelaufenen Wähler. Der zweite ist Londons Entgegnung auf das Unabhängigkeitsbegehren der Regionalregierung Schottlands, das die dortige Regionalpremierministerin Nicola Sturgeon am gleichen Tag mit einem ausführlichen Begründungsdokument bekräftigt hat.
Den Austritt aus der EU pünktlich zum 31. Januar 2020 erklärt die Regierung zu ihrer Priorität. Noch am Freitag soll das dafür vorgesehene Gesetz im Unterhaus abgestimmt werden. Offen ist bislang, ob dieses Gesetz die Ankündigung vom Montag aufnehmen wird, eine Verlängerung der mit der EU vereinbarten Übergangsfrist ausdrücklich auszuschließen.
Die Frist, in der alle EU-Regeln in Großbritannien erst einmal weiter gelten, läuft gemäß Brexit-Abkommen bis Ende 2020. Sie kann aber verlängert werden, wenn nicht rechtzeitig ein Abkommen über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU steht. Weder in der Thronrede noch im amtlichen Begleitdokument dazu wird das ausdrücklich erwähnt, wohl aber in Johnsons Vorwort.
Höherer Mindestlohn
Ausdrücklich legt sich die Regierung auf eine erstmalige gesetzliche Verankerung der mittelfristigen Finanzplanung für das staatliche Gesundheitswesen NHS fest, außerdem auf eine Anhebung des Mindestlohns, eine Erhöhung der Pro-Kopf-Ausstattung aller Schulen und massive Investitionen in die Infrastruktur. Die Rechte von Arbeitnehmern und Mietern sollen gestärkt, ein Recht auf Freistellung zur Familienpflege eingeführt werden.
Als Reaktion auf das Grenfell-Feuer soll die Bausicherheit verbessert werden. Die von Theresa May betriebene Stärkung von Opferrechten, insbesondere bei häuslicher Gewalt, wird wieder aufgenommen. Zielgrößen für Luftqualität und Klimaneutralität sollen gesetzlich verankert werden, ebenso ein Verbot des Plastikmüllexports und der meisten Lebendtiertransporte.
Mit diesen Ankündigungen, die man früher eher von Labour erwartet hätte, positioniert sich Johnson im politischen Zentrum. Für die konservative Basis gedacht sind Maßnahmen zur Verschärfung des Strafrechts sowie zum Ausbau der Polizei und ihrer Befugnisse sowie zur Stärkung der Streitkräfte.
Am absehbarsten sind die Reaktionen. Während konservative Kommentatoren die ambitioniertesten Reformen seit Jahrzehnten bejubeln, sieht die Labour-Opposition „nichts Neues“ und der Thatcher-treue neoliberale Think Tank „Institute of Economic Affairs“ warnt vor Staatsinterventionismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat
Boris Pistorius wählt Olaf Scholz