Nach der Landtagswahl in Brandenburg: Im Alltag gegen 30 Prozent AfD
Wissenschaftler-Vereine fordern nach der Wahl die Sicherung demokratischer Initiativen. Rechte Normalisierung äußere sich in Gewalt, sagen sie.
Die Sprecherin der Opferperspektive berichtet am Dienstag im Brandenburg Museum unweit des Potsdamer Landtags über ausufernde rechte Gewalt, wie Hass und Hetze schon jetzt den Alltag im Bundesland bestimmen und dass die AfD ihren Verein, der sich um Opfer rechter Gewalt kümmert, am liebsten „zerschlagen“ will. Bei der Landtagswahl letzten Sonntag hat die SPD nur knapp vor der AfD gewonnen. Die Rechtsextremen haben sogar eine Sperrminorität inne und wollen damit Zugeständnisse erpressen.
Angesichts dessen haben Porath und andere Expert*innen am Dienstag bessere Konzepte gegen das Erstarken des Rechtsextremismus und eine feste Zusage zur Sicherung zivilgesellschaftlicher Vereine durch die neue Landesregierung gefordert. Schutz vor Diskriminierung und rechter Gewalt müsse jetzt erst recht höchste Priorität haben, so der Tenor.
Judith Porath, Opferperspektive
„Hohe Zustimmungswerte zur AfD bei Kommunal- und Landtagswahlen haben zur Normalisierung von Rassismus, Antisemitismus und Minderheitenfeindlichkeit im öffentlichen Diskurs geführt und die Hemmschwelle für Gewalt gesenkt“, sagt Porath, „rechte Schläger fühlen sich bestärkt, die menschenverachtende Hetze der AfD in die Tat umzusetzen“.
„Nach Machtübernahme hängen“
Bedrohte Menschen berichteten gar von Gedanken, Brandenburg oder Deutschland gleich ganz zu verlassen. Im Wahlkampf seien auch viele Helfer*innen von CDU bis Linke von immer jüngeren und selbstbewusster auftretenden Tätern attackiert worden: „Die meisten gaben sich als AfD-Unterstützer zu erkennen und drohten, dass die Attackierten nach Machtübernahme am nächsten Laternenpfahl hängen oder wie Zecken zertreten würden“, berichtet Porath.
Demgegenüber habe die Zivilgesellschaft in den vergangenen Monaten und Wochen in Brandenburg mit einer Vielzahl von Festen, Veranstaltungen und Demos gezeigt, wie lebendig sie sei, sagt Maica Vierkant vom „Aktionsbündnis Brandenburg“, die insgesamt 100 Organisationen und Verbände gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus vertritt.
„Wir sind füreinander da und werden das auch in Zukunft sein“, sagt Vierkant. Man brauche dabei aber einen langen Atem, verlässliche Partner und eine Stärkung der Zivilgesellschaft. Sie forderte, dass Hass und Hetze in den Parlamenten niemals den Ton angeben dürften und dass es „keine Zusammenarbeit, keine Ämter und keine Stimme für Rechtsextreme“ geben dürfe.
Axel Drecoll, der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, will nun die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Initiativen stärken und institutionalisieren. Die Gedenkstätten seien schon qua ihrer Satzung verpflichtet, mit Opferverbänden und Initiativen zusammenzuarbeiten, die derzeit akut bedroht würden.
Auch Drecoll blicke mit Sorge auf die Wahlergebnisse der AfD, deren revisionistischer Blick auf Geschichte dem „diametral entgegenlaufe, was wir als gegenwartsbezogene Geschichtsaufarbeitung bezeichnen“, so Drecoll. Auch deswegen wolle man nun stärker in Aktion treten und selbstkritisch nach geeigneten Formaten suchen, um mehr Menschen in der Fläche besser zu erreichen.
Die Verantwortung der demokratischen Parteien
Der Rechtsextremismus-Forscher Gideon Botsch kritisierte in seiner Wahlanalyse vor allem die demokratischen Parteien: Die AfD habe derartige Zugewinne nur erreichen können, weil ihre Themen diese Wahl bestimmt haben. Die demokratischen Parteien hätten dies zugelassen. Ebenfalls ging er auf die Wählerwanderung ein: Nach aktivierten Nichtwähler*innen habe die AfD am zweitmeisten Stimmen von der CDU gewonnen. „Die Strategie der Union, die AfD mit einem scharfen, rechtspopulistischen Wahlkampf zu überflügeln und sich aus der Regierungsverantwortung heraus als Opposition zu inszenieren, ist nicht aufgegangen.“
Wohl mit Blick auf die insgesamt positive wirtschaftliche Lage Brandenburgs sagt Botsch, dass sich die bisherige Empirie bestätige: Es gebe keinen kausalen Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Gesamtlage und Rechtswahltrend. „Eine politische Strategie, die hofft, der AfD mit Verbesserung der wirtschaftlichen Kennziffern zu begegnen, wird nicht ausreichen.“ Die demokratischen Parteien in Berlin, aber auch in Potsdam hätten sich zu wenig klargemacht, dass sich eine „fundamentale Bedrohung der Demokratie“ anbahne und sich nicht ausreichend vorbereitet. Botsch forderte: „Es bedarf einer strategischen Neuorientierung demokratischer Politik, und zwar jetzt.“
Die Aufgabe demokratischer Parteien sei nun, die Zivilgesellschaft als eine Ressource einzubinden. Das seien aber nicht nur Vereine und Initiativen, sondern auch zahlreiche kommunale Wahlbündnisse. Diese müssten in die Politik überführt werden.
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