Nach der Freilassung von Assange: Hack, Leak, Knast – eine Odyssee
Mit dem Veröffentlichen von US-Kriegsverbrechen machte sich Julian Assange Mächtige zu Feinden. Und zweifelhafte Freunde.
![Julian Assange steht auf dem Balkon der ecuadorianischen Botschaft, umringt von unzähligen Medienvertretern Julian Assange steht auf dem Balkon der ecuadorianischen Botschaft, umringt von unzähligen Medienvertretern](https://taz.de/picture/7083767/14/35656480-1-2.jpeg)
Der Deal von Julian Assange mit der US-Staatsanwaltschaft, der jetzt zu seiner Freilassung führen wird, ist der vorerst letzte Teil einer Saga wie aus einer anderen Welt.
Als der damals 35-jährige australische Hacker Julian Assange 2006 Wikileaks mitbegründete, war das die Zeit des von der US-Regierung George W. Bush ausgerufenen „Kriegs gegen den Terror“. Die Al-Qaida-Angriffe vom 11. September 2001 waren fünf Jahre her, fast genauso lang tobte der Krieg in Afghanistan, der Krieg in Irak seit drei Jahren.
Die republikanisch geführte US-Regierung mit Dick Cheney als Vizepräsident, Donald Rumsfeld als Verteidigungsminister und John Bolton als UN-Botschafter war zutiefst von den Neocons geprägt, die per militärischer Stärke und Regime-Change-Interventionen ein „neues amerikanisches Jahrhundert“ einleiten wollten.
Schon 2004 war der Skandal um Folter und Demütigungen irakischer Gefangener durch US-Soldaten im Gefängnis Abu Ghraib bekannt geworden, Ende 2005 hatte die Washington Post erstmals über die geheimen Foltergefängnisse der CIA in verschiedenen Ländern berichtet, einer Praxis, die dann 2006 von der US-Regierung anerkannt wurde.
2010: Das große Jahr von Wikileaks
Im selben Jahr verloren die Republikaner krachend die Kongresswahlen, Rumsfeld trat zurück und der frisch gewählte junge Senator Barack Obama schickte sich an, trotz der Aspirationen der ehemaligen First Lady Hillary Clinton demokratischer Präsidentschaftskandidat zu werden.
Obama kritisierte im Wahlkampf die Folterpraxis – im Sprech der Bush-Regierung „verschärfte Verhörmethoden“ genannt – und versprach, sie umgehend abzuschaffen. Dass es für Whistleblower und solche, die bereit sind, deren Informationen zu veröffentlichen, viel zu tun gab, war offensichtlich.
![Julian Assange mit langem Vollbart sitzt in einem Auto Julian Assange mit langem Vollbart sitzt in einem Auto](https://taz.de/picture/7083767/14/35655014-1-3-1.jpeg)
Wikileaks’ großes Jahr war 2010. Im April veröffentlichte die Organisation unter dem Titel „Kollateralmord“ das inzwischen berühmt gewordene Video aus einem US-Kampfhubschrauber vom Juli 2007, in dem die Erschießung von Zivilisten und Reuters-Journalisten gefilmt wird. Drei Monaten später folgten die Dokumente zum Irakkrieg, im Oktober die Akten aus Afghanistan und im November eine Viertelmillion geheimer diplomatischer Depeschen zwischen den US-Botschaften weltweit und Washington.
Die Daten aus Irak und Afghanistan dokumentierten Verbrechen und deren Verschleierung im Zeitraum von 2004 bis 2009. Damit schlossen sie auch das erste Jahr der Obama-Regierung ein und erweckten nicht den Eindruck, als habe sich durch den Regierungswechsel furchtbar viel geändert.
Die Causa Hillary Clinton
Wikileaks als Organisation und Julian Assange persönlich wurden zur Zielscheibe der gesamten US-Politik. Allerdings: Während die Obama-Regierung zwar massiv gegen Whistleblower wie Chelsea Manning vorging – die Obama dann kurz vor Ende seiner zweiten Präsidentschaft 2017 begnadigte –, klagte sie Assange nicht an. Wohl auch unter dem Druck der linksliberalen Presse in den USA, die, wie etwa die New York Times, an der Veröffentlichung der Wikileaks-Daten mitgewirkt hatte.
Politische Alliierte allerdings fand Assange nunmehr neu und woanders: Im russischen Staatsmedium RT moderierte er 2012 insgesamt zwölfmal seine Sendung „The World Tomorrow“. Einer seiner Gäste: der damalige linkspopulistische ecuadorianische Präsident Rafael Correa. Die beiden verstanden sich augenscheinlich bestens.
Es folgten die Anzeige wegen mutmaßlicher sexueller Belästigung bis Vergewaltigung gegen Assange in Schweden, seine kurzzeitige Festnahme in Großbritannien, seine Freilassung unter bestimmten Konditionen, schließlich seine Flucht in die ecuadorianische Botschaft in London. Es war diese Flucht, die ihm wegen Verletzung seiner Kautionsbestimmungen eine Verurteilung in Großbritannien samt Haftbefehl einbrachte und den Ärger etlicher Unterstützer*innen, die für die Kaution aufgekommen waren.
Gut sieben Jahre brachte Assange in der Botschaft in London zu, während sich draußen die Welt weiter änderte – auch unter seiner Mitwirkung. 2016, mitten im US-Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump, veröffentlichte Wikileaks Tausende von russischen Hackern erbeutete E-Mails der demokratischen Wahlkampfzentrale.
Dann ließ Ecuador ihn fallen
Daraus ging nicht zuletzt das schmutzige Spiel hervor, das die Parteiführung mit Clintons innerparteilichem Konkurrenten Bernie Sanders gespielt hatte, um ihm eine Niederlage bei den demokratischen Vorwahlen beizubringen. Die Veröffentlichungen schadeten Clinton massiv – Assange kommentierte es aus der Botschaft heraus über seinen Twitter-Account sehr fröhlich.
Aber kurz nachdem Donald Trump Anfang 2017 ins Amt eingeführt wurde, veröffentlichte Wikileaks Daten über Überwachungsmethoden des US-Geheimdienstes CIA – und Trumps neuer CIA-Direktor Mike Pompeo tobte vor Wut. Die offizielle Anklage gegen Assange aus den USA stammt aus dieser Zeit.
Sie wurde aber erst öffentlich, als Ecuador, nach einem dortigen Regierungswechsel und dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Lenín Moreno, Assange das Botschaftsasyl und die zuvor gewährte Staatsbürgerschaft entzog.
![Assange steht an der Tür eines Flugzeuges und blinzelt in die Sonne Assange steht an der Tür eines Flugzeuges und blinzelt in die Sonne](https://taz.de/picture/7083767/14/35656492-3-1-3.jpeg)
Daraufhin wurde Assange von der britischen Polizei aus der Botschaft gezerrt. Schweden wiederum hatte die Ermittlungen wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffigkeiten inzwischen als haltlos eingestellt.
Verschwörer feiern die Freilassung
Statt Assange für die Wahlkampfhilfe dankbar zu sein, erweiterte Trumps Justizministerium die Anklage bis hin zum Vorwurf der Spionage – wofür Assange bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft gedroht hätten.
Der Rest des juristischen Tauziehens um die Auslieferung ist bekannt.
Was sich allerdings vollkommen geändert hat, seit Assange seinen journalistisch-aufklärerischen Kampf gegen die US-Sicherheitsbehörden begonnen hat: Die unter Bush regierenden Neocons sind von der Bildfläche verschwunden und gehören heute innerhalb der republikanischen Partei zu den wenigen verbliebenen erbitterten Gegnern Trumps.
Trump- und Putin-Apologeten wie der frühere Fox-News-Moderator Tucker Carlson feiern Assanges Freilassung, genauso wie der verschwörungsideologische Drittkandidat Robert F. Kennedy.
Und US-Präsident Joe Biden? Hat vermutlich alles getan, um den Deal mit zu ermöglichen, weil ein Assange-Verfahren im Wahlkampf nur schaden kann. Und weil der Druck eines wichtigen Verbündeten – der australischen Regierung, die schon lange Assanges Freilassung fordert – denn doch zu groß wurde.
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