Nach der Aufhebung des Gefahrengebiets: Gelöste Stimmung, unvermummt
Weitere Zeugen des Überfalls auf die Davidwache Ende Dezember in Hamburg haben sich gemeldet. Sie widersprechen der Darstellung der Polizei.
HAMBURG taz | Das Gefahrengebiet ist weg, die Debatte darum bleibt. Weitere Zeugenaussagen säen neue Zweifel an der Polizeiversion des Überfalls auf die Davidwache am 28. Dezember, den die Polizei als Begründung für Ausweisung des Gefahrengebietes angeführt hatte.
Danach soll das Kiez-Revier am Abend des 28. Dezember von 30 bis 40 vermummten Autonomen angriffen und herausstürmende Polizisten „unvermittelt“ mit Flaschen und Steinwürfen attackiert worden sein. Dass in dieser Situation einem Beamten aus unmittelbarer Nähe ein Stein ins Gesicht geschlagen und der Kiefer gebrochen worden sei, musste die Polizei bereits korrigieren – die Tat habe sich später 200 Meter von der Wache entfernt abgespielt, heißt es inzwischen.
Nun hat sich ein Paar aus Bremen gemeldet, das an jenem Tag einen Kiezbesuch machte. Die Gruppe von 20 bis 25 St. Pauli-Fans sei weder vermummt noch schwarz gekleidet gewesen, berichten beide der Internet-Plattform Publikative.org. Es habe „gelöste Stimmung“ geherrscht.
Polizisten seien aus der Wache gelaufen gekommen und zu der lockeren Formation von Personen gerannt, die sich zum Teil schon in der Hein-Hoyer-Straße befunden hätten.
Obwohl die Polizei die Gefahrengebiete um drei Polizeireviere aufgehoben hat, haben am Montag noch einmal rund 800 Menschen gegen diesen Eingriff in die Bürgerrechte demonstriert.
Die sozialpolitischen Brennpunkte, die der Senat zu ignorieren und auszusitzen versuche, bestünden fort, so eine Rednerin.
Die Klobürste war wieder allgegenwärtig bei der Demonstration, die von der Moorweide durch das Gefahrengebiet über die Hafenstraße zu Esso-Häusern zog. Sie war zum Protestsymbol avanciert, nachdem Polizisten ein Exemplar konfisziert hatten.
„Kapitalismus gefährden“ stand auf einem Transparent, auf dem der Lokus-Schrubber der „Scheiße in der Gesellschaft“ den Kampf ansagte. (taz)
Ein Nachzügler mit blauer Jacke sei auf der Verkehrsinsel auf der Reeperbahn von einem Beamten „nach hinten gerissen und zu Boden gebracht“ worden. „Der junge Mann, der den Beamten den Rücken zukehrte, war – ebenso wie wir – überrascht von der Aktion“, berichten die beiden.
Einige Personen der Fangruppe seien daraufhin zurückgekommen und hätten die Beamten mit den Worten „Was soll das?“ zur Rede gestellt. Es sei nicht zu körperlichen übergriffen gekommen, der „Festgesetze“ sei wieder freigelassen worden. In diesem Moment hätten die beiden Bremer gesehen, wie ein verletzter Polizist mit blutender Nase aus der Hein-Hoyer-Straße gekommen sei.
Die Zeugenaussagen decken sich mit den Angaben weiterer Zeugen und einer Stellungnahme von Rechtsanwalt Andreas Beuth, der der Polizei eine „bewusst falsche Darstellung“ der Ereignisse aus „politischem Interessen“ vorwirft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen