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Nach dem Urteil im Syrien-FolterprozessDie Täter sind noch an der Macht

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Es war mutig, den Koblenzer Folterprozess zu führen – anderswo ist das keineswegs selbstverständlich. Doch wo bleiben die politischen Konsequenzen?

Der wahre Täter: Baschar al-Assad, verantwortlich für die Gräueltaten in Syriens Folterknästen Foto: Youssef Badawi/epa

D ie Verurteilung des syrischen Geheimdienstoffiziers Anwar R. im Koblenzer Folterprozess war unumgänglich. Syrien ist ein Folterstaat. Umso deutlicher wird damit auch, wie wichtig und mutig es war, diesen Prozess zu führen. Der Schuldspruch war zu erwarten – und ist dennoch historisch.

Das Gericht wertete vor einem Jahr die Staatsfolter in Syrien als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und sprach von einem „systematischen Angriff auf die Bevölkerung“. Nun hat es den Hauptangeklagten entsprechend verurteilt.

Zugleich ist es beschämend, dass es bis zum Jahr 2022 dauert, die internationale Straffreiheit für Syriens staatlichen Mordapparat zu brechen. Das Urteil fällt fast auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem ein algerischer Gesandter der Arabischen Liga Syriens Regime „eine Serie von Verbrechen gegen sein Volk“ zum Vorwurf machte.

Damals, im Januar 2012, demonstrierten jeden Freitag Zehntausende immer noch friedlich gegen Assad, und Armeedeserteure begannen gerade damit, „befreite Zonen“ einzurichten, die Keimzellen des späteren Bürgerkriegs. Über das Vorgehen des Staats berichtete der Algerier damals: „Überall sind Scharfschützen, die auf Zivilisten schießen. Menschen werden gekidnappt. Gefangene werden gefoltert, und niemand kommt frei.“ Seitdem sind Hunderttausende getötet worden, Millionen geflohen, Syrien ist zerstört – und dennoch regt sich weltweit kaum ein Finger gegen die in Damaskus herrschenden Mörder.

All das verleiht dem Koblenzer Urteil politische Relevanz, ähnlich wie schon beim Berliner Tiergartenmord-Prozess, als die Richter russischen Staatsterrorismus konstatierten. Es geht um vergangene Taten, aber nicht um Vergangenheitsbewältigung. Die Täter sind noch an der Macht.

Politische Schlüsse ziehen

Sich mit ihnen anzulegen ist mutig. Einerseits ist dies selbstverständlich; Deutschland kann nicht Millionen Flüchtlinge aufnehmen und zugleich ignorieren, wovor die Menschen fliehen. Sobald Assads Opfer in Deutschland Zuflucht finden, werden Assads Gräueltaten zu einer deutschen Angelegenheit. Und zugleich ist dies keine Selbstverständlichkeit. In vielen Ländern verzichten Justizapparate aus politischen Gründen darauf. Die deutsche Politik muss aus solchen Urteilen politische Schlüsse ziehen und die gebrandmarkten Machthaber ächten, auf allen Ebenen.

Nicht zuletzt: Den Überlebenden und Hinterbliebenen, die den Mut hatten, vor Gericht als Zeugen und Nebenkläger auszusagen, gebührt Ehre – und Schutz. Ebenso allen, die Prozesse gegen Folterer und Mörder im Staatsauftrag ermöglichen und führen. Eine konsequente Völkerstrafjustiz kennt keine Grenzen. Verbrecher an der Macht auch nicht.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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5 Kommentare

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  • "Die Täter sind noch an der Macht".



    Da brauchen wir gar nicht in die Ferne zu schweifen:



    www.ndr.de/geschic...rechmittel100.html

  • Man glaubt es kaum, aber es gibt ein Medium, das sich zum Verteidiger dieses Herrn Anwar R. aufschwingt. Es ist die „Junge Welt“ (jw):



    Im Artikel: „Lebenslang für Folterer - Syrischer Oppositionspolitiker und Exgeheimdienstler im Koblenz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt“ wird z. B. gemeldet: „Nach seiner Flucht spielte er über zwei Jahre eine prominente Rolle in der Exilopposition, für die er nach Istanbul reiste und 2014 als Delegationsmitglied an den Syrien-Verhandlungen der Vereinten Nationen in Genf teilnahm.“



    Es gipfelt in der (dem Spiegel unterstellten) Behauptung: „Anwar Raslan wurde nirgends aufgespürt, von niemanden bezichtigt, sondern stolperte über den Irrtum, dass sein Seitenwechsel die vorherigen Taten ungeschehen gemacht habe“. Und weiter: „Demgegenüber verbreiteten mehrere Nachrichtenagenturen zur Urteilsverkündigung am Donnerstag weiterhin die Legende, das Verfahren sei ins Rollen gekommen, weil nach Deutschland geflüchtete frühere Opfer ihren mutmaßlichen Peiniger wiedererkannt hätten“!



    Und weil es ohne Kritik an der BRD-Justiz nun mal nicht geht: „Eine 2016 von Abgeordneten der Fraktion Die Linke, Juristen und Menschenrechtsaktivisten eingebrachte Anzeige gegen den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan, mehrere Minister und Militärs wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . wurde von der deutschen Justiz dagegen nicht weiter verfolgt.



    Alles nachzulesen in: www.jungewelt.de/a...%BCr-folterer.html



    Wünsche heftiges Kopfschütteln!

  • @KIELERSPROTTE

    Ein süffisantes "mal gucken, was die machen" ist ja auch ein wertvoller Beitrag.

    Ich denke, der Satz im Artikel:

    "Sich mit ihnen anzulegen ist mutig. Einerseits ist dies selbstverständlich; Deutschland kann nicht Millionen Flüchtlinge aufnehmen und zugleich ignorieren, wovor die Menschen fliehen."

    ist zentral, und hat eine enorme Tragweite. Denn er gilt für politische Flüchtlinge (wie soll sich deutsche Politik zu den brutalen Autokratien positionieren?) wie auch zu Klimaflüchtlinge.

    Angesichts der derzeitigen Performance der EU ein sehr dickes Brett.

    Bohren wir mal.

  • Es wäre wichtig die "politischen Schlüsse,,,auf allen Ebenen" genauer zu definieren und diese dann von der Regierung zu fordern. Leider wird ein Kriegsverbrechertribunal zu Syrien von Russland und China verhindert, was die Verfolgung der Kriegsverbrecher Asad und Putin unmöglich macht. Welche Hebel bleiben dann aber, um die "Verbrecher an der Macht" zur Verantwortung zu ziehen?

  • Da bin ich jetzt mal gespannt, wie die deutsche Regierung jetzt reagiert...



    und die Außenministerin....