Nach dem Mord in London: Mit dem Fleischermesser für Allah
Ein „angenehmer, ruhiger Typ“ sei der Attentäter Michael Adebolajo, sagt sein früherer Imam. Die Briten und ihr Premier suchen nach Erklärungen.
DUBLIN taz | Es sei ein Angriff auf Großbritannien und auf die britische Lebensart gewesen, sagte David Cameron am Donnerstag nach der Sitzung seines Krisenstabs „Cobra“. Der britische Premierminister hatte am Tag zuvor seinen Besuch bei Frankreichs Präsident François Hollande wegen des Mords an einem Soldaten im Londoner Stadtteil Woolwich abgebrochen.
Zwei Männer nigerianischer Abstammung waren dem Soldaten am Mittwochnachmittag von der Artillerie-Kaserne in Woolwich mit einem Auto gefolgt und hatten zunächst versucht, ihn zu überfahren. Als das misslang, stiegen sie aus und töteten ihn mit Beil und Fleischermesser. Danach ließen die Attentäter sich von Passanten filmen und fotografieren, bis die Polizei kam und sie anschoss.
Die Täter wurden in verschiedene Krankenhäuser gebracht, einer der beiden schwebt in Lebensgefahr. Sie hatten es offenbar darauf angelegt, als islamische „Märtyrer“ zu sterben. „Wir schwören bei Allah dem Allmächtigen, wir werden niemals aufhören, euch zu bekämpfen“, sollen sie laut Tatzeugen gerufen haben.
Eine Zeugin, Ingrid Loyau-Kennett, verwickelte einen der Täter in ein Gespräch, um ihn von anderen potenziellen Opfern abzulenken. „Besser ich als irgendwelche Kinder“, habe sie in dem Augenblick gedacht, berichtete die 47-Jährige später. Sie habe aber keine Angst gehabt, weil er nicht betrunken oder auf Drogen gewesen sei. „Er war normal. Ich konnte mit ihm reden, und er wollte reden, und das taten wir auch“, sagte sie.
Täter sollen den Behörden bekannt gewesen sein
Er habe den Soldaten getötet, weil der Muslime tötet, habe der Mann gesagt – Auge um Auge, Zahn um Zahn. Er habe es satt, dass Muslime im Irak und in Afghanistan getötet werden. „Ihr werdet verlieren“, antwortete Loyau-Kennett, „ihr seid zwei gegen viele.“ Damit habe sie „für uns alle“ gesprochen, sagte Premier Cameron am Donnerstag vor seinem Amtssitz in Downing Street 10. Er deutete an, dass die Männer den Sicherheitsbehörden bekannt seien.
Bei einem der mutmaßlichen Täter handelt es sich um Michael Olumide Adebolajo. Er wurde von Anjem Choudary, dem früheren Chef der Organisation Al Muhajiroun, anhand eines Amateurvideos identifiziert. Die Organisation rechtfertigte die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. Choudary sagte am Donnerstag, der in Großbritannien geborene Adebolajo sei 2003 zum Islam konvertiert und habe mehrmals Veranstaltungen und Vorträge von Al Muhajiroun besucht, sei aber kein Mitglied gewesen.
„Er war ein angenehmer, ruhiger Typ“, sagte Choudary. „Ich kannte ihn als Mujahid. Er war am Islam interessiert. Vor zwei Jahren ist er verschwunden. Ich weiß nicht, unter wessen Einfluss er seitdem geraten ist.“ Choudary verurteilte die Tat. Es gebe eine Übereinkunft, sagte er: „Weil Muslime in Großbritannien friedlich leben und ihre Religion ausüben dürfen, ist es verboten, britische Soldaten in Großbritannien anzugreifen.“ Begeben sie sich jedoch ins Ausland, sehe die Sache anders aus.
Das Opfer war der 25-jährige Lee Rigby, gab das britische Verteidigungsministerium am Donnerstagabend bekannt. Der getötete Soldat soll einige Zeit in Afghanistan stationiert gewesen sein. Ob er gezielt als Opfer ausgewählt wurde, ist bis jetzt unklar. Er trug keine Uniform, als er die Kaserne in Woolwich verließ, sondern ein T-Shirt mit Werbung für die militärische Wohlfahrtseinrichtung „Help for Heroes“. Woolwich war früher ein überwiegend von Weißen bewohntes Arbeiterviertel, bekannt für Hafenanlagen und Kasernen. Nach dem Niedergang des Hafens kamen viele Immigranten, mittlerweile kosten allerdings Luxuswohnungen in früheren Fabriken eine Million Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?