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Nach dem Misstrauensvotum in FrankreichFestnahmen bei neuen Protesten

Die beiden Misstrauensanträge sind am Montag gescheitert: Frankreichs Regierung und die umstrittene Rentenreform bleiben. Der Unmut auf der Straße auch.

Nach der Verabschiedung der umstrittenen Rentenreform ist es in Paris am Montag zu gewalttätigen Protesten gekommen Foto: Gerard Cambon/dpa

Paris taz/afp/rtr | Bei neuen Protesten gegen die französische Regierung und die Rentenreform von Präsident Emmanuel Macron sind in der Nacht zu Dienstag Dutzende Menschen festgenommen worden. Zu Polizeieinsätzen kam es unter anderem in Paris. Die Feuerwehr musste in einigen Prachtalleen der Hauptstadt mehrere in Brand gesetzte Müllhaufen löschen, die sich nach tagelangen Streiks der Stadtreinigung angesammelt hatten. Auch in anderen Orten kam es zu Ausschreitungen. Das Fernsehen zeigte Aufnahmen von Beamten, die Tränengas einsetzten, und von Polizisten, die nach Demonstranten schlugen. Am Mittwoch will sich Macron französischen Medien zufolge an die Nation wenden.

Misstrauensvotum am Montag knapp überstanden

Die französische Regierung hat ein Misstrauensvotum in der Nationalversammlung knapp überstanden und damit die umstrittene Rentenreform durchgesetzt. Lediglich neun Stimmen fehlten laut offiziellem Abstimmungsergebnis bis zur absoluten Mehrheit für einen ersten, fraktionsübergreifenden Misstrauensantrag. Ein zweiter Antrag der Rechtspopulisten, über den anschließend abgestimmt wurde, hatte so gut wie keine Aussicht, angenommen zu werden.

Die Regierung kann aufatmen. Sie hatte allen Grund zum Zittern gehabt. Zum ersten Mal seit 1962 bestand eine reelle Möglichkeit, dass eine Mehrheit der Abgeordneten mit ihrem Votum der Regierung das Vertrauen entziehen würde. Dann hätte Elisabeth Borne den Rücktritt ihres Ministerkabinetts einreichen müssen. Diese Schmach wurde ihr erspart. Die Regierung bleibt, aber die Krise, die sie mit der Rentenreform ausgelöst und mit ihrem autoritären Vorgehen noch geschürt hat, geht ebenfalls weiter.

Die Regierung ist zu weit gegangen, weil sie den Sinn und Notwendigkeit ihrer Reform zu keinem Zeitpunkt erklären oder rechtfertigen konnte, weil sie stattdessen stur an einem Vorhaben festgehalten hat, das von drei Vierteln der Bürger und Bürgerinnen abgelehnt wird, und auch, weil sie offenbar nicht verstanden hat, dass man in einer Demokratie auf die Dauer nicht mit Affronts gegen das Volk regieren kann. Indem Präsident Emmanuel Macron und seine Premierministerin sich selbstsicher gaben, um der eindrucksvollen gewerkschaftlichen Mobilisierung die Stirn zu bieten, haben sie bloß ihre eigentliche Schwäche enthüllt: Diese Staatsführung hat keine Mehrheit für und hinter sich!

Premierministerin Elisabeth Borne umringt von Kollegen am Montag in der Nationalversammlung Foto: Gonzalo Fuentes/reuters

Wie weiter?

Nach der Ablehnung der beiden Misstrauensanträge am Montag gilt die Vorlage der Rentenreform auch ohne Abstimmung in der Nationalversammlung für verabschiedet – das ist die Regel aufgrund des Verfassungsartikels 49.3. Die Regierung hatte am Donnerstag diese Prozedur verwendet, weil sie eine Niederlage im Fall einer Abstimmung über ihre Reform in der Nationalversammlung befürchten musste. Der Staatspräsident, Emmanuel Macron, hat nun zwei Wochen, um einen entsprechenden Erlass zu veröffentlichen, damit das Gesetz in Kraft treten kann. Aber es wäre nicht das erste Mal in der französischen Geschichte der letzten 20 Jahre, dass ein sehr umstrittenes Gesetz zum Schluss nie zur Anwendung käme.

Zunächst muss diese durchgeboxte Rentenreform ohnehin noch die Hürde des Verfassungsrats schaffen. Mehrere Fraktionen der Opposition haben bereits eine Reihe von Verfassungsklagen angekündigt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Richter, die „neun Weisen“ des Conseil constitutionnel, Einspruch erheben, sei es gegen Teile oder den gesamten Text oder auch gegen die Art und Weise, wie die Regierung die Parlamentsdebatte mit allen Mitteln aufs Minimum reduziert und die Abgeordneten zum Schluss am Abstimmen gehindert hat.

Mindestens bis zum Entscheid des Verfassungsrats wird die Mobilisierung weitergehen. Überall im Land finden spontane Aktionen, Blockaden und neue Streiks statt. Statt über die Behinderungen oder Staus zu schimpfen, solidarisieren sich die betroffenen Leute. Zweifellos hat die Staatsführung die Entschlossenheit der Gewerkschaften und mehr noch die große Wut in der Bevölkerung unterschätzt.

Auch wenn Borne durch den Misstrauensantrag nicht zu Fall gekommen ist, sitzt sie als Premierministerin heute auf einem angesägten Ast. Sie hatte vor wenigen Tagen gesagt, sie sei bereit, dem Präsidenten notfalls als „Sicherung“ zu dienen, die durchbrennt, damit beim Kurzschluss nicht ein Brand ausbricht. In der Fünften Republik ist der Premierminister für den Präsidenten immer ein designierter Sündenbock – auch wenn der Regierungschef in diesem Ausnahmefall eine Frau ist.

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10 Kommentare

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  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Es gibt leider immer mehr Staaten, in denen Demonstranten bei Protesten gegen autokratisches Regierungshandeln inhaftiert werden.



    Und Frankreich gehört jetzt auch dazu.



    Ob das Lad es wohl schafft, sich von dem populistischen Autokraten zu befreien?



    Möglich.



    Hoffentlich.

  • Die Wut wird zunehmen. Die Regierung Macron hat dieser Rentenreform eine derartige Priorität eingeräumt, dass es einen überrascht. Und in Frankreich müssen die Leute per Zwang jetzt ein Jahr länger arbeiten als in Deutschland, hier gibt es die 63, nicht die 64, weil es ja um die entsprechenden Anwartschaften geht, das ist ein wichtiger Aspekt. Es geht nicht um eine Rente mit 64, sondern um den frühesten Termin in Rente zu gehen. Mitterand hat das mal auf 60 Jahre gesenkt, dann wurde es auf 62 angehoben, jetzt kommt die 64 und das macht viele Menschen sehr sehr aggessiv in Frankreich. Und es ist härter als in Deutschland.



    Für mich ist es fragwürdig, warum Macron das so hart betreibt. Ich gehen davon aus, dass es in den nächsten Jahren sehr zäh und hart werden wird, wenn Themen strittig sind. Irgendwann wird auch der Druck auf die Macron-Anhänger stark zunehmen. Kaum einer von denen wird gute Chancen haben, weiter Politik zu machen, wenn es so zugespitzt bleibt. Außerdem kommt noch die Frage, ob das Schnellverfahren zulässig war oder nicht.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @Andreas_2020:

      64 und(!) 43 Beitragsjahre, also bei einem Arbeitsbeginn nach dem 21. Lebensjahr also 65, 66, 67...



      Und es gibt keine Anrechnung von Studienjahren!

  • Wie wir sehen können, hat der Arbeitgeberverband eine leichte Mehrheit hier im Forum.

  • Wäre zu hoffen, dass die Französ*innen aus dieser neoliberalen Falle herausfinden.

    Hier wieder sieht mensch sehr schön: die besten Verbündeten der Neolibs sind die Rechtspopulisten.

  • Die Rentenreform ist zeitgemäß.



    Dass Macron hier eine unpopuläre Entscheidung trifft ehrt Ihn, da er weniger sein eigenes Prestige, als die Volkswirtschaft und eben den Erhalt des Rentensystems im Blick hat.



    Die DemonstrantInnen stehen für sich selbst ein.



    Meine Solidarität hält sich da in Grenzen.



    Schließlich haben wir die Rente mit 67.



    Die Erhöhung in Frankreich ist somit noch weit von unseren Realitäten entfernt.



    Dass in Frankreich ein großer Teil der Demonstranten aus dem rechten Spektrum kommen, macht sie mir nicht eben sympathischer.

    • @Philippo1000:

      An der Stelle Mal ein paar Fakten:



      In Frankreich gehen nicht alle pauschal mit 62 in Rente, sondern nach 41,5 Jahren Beiträge zahlen. Wer nicht auf die 41,5 Jahre kommt, muss jetzt schon bis 67 buckeln, um ohne Abschläge in Rente gehen zu können.



      So wie in Deutschland.

      • @Piratenpunk:

        Und jetzt geht es von 62 auf 64 hoch, was dann fast der (absurden) abschlagsfreien Rente in Deutschland nach 45 Beitragsjahren entspricht.

        Wird in beiden Ländern nicht reichen, aber im wesentlich jüngeren Frankreich noch eher als in Deutschland.

  • Mutiger und richtiger Weg der Regierung die damit ihre eigenes überleben gefährdet und dies zum Wohle des Landes tut.

    • 6G
      659554 (Profil gelöscht)
      @Wombat:

      Seit wann ist der Profit der Wirtschaft und der Finanzwelt identisch mit dem Wohl des Landes?



      www.latribune.fr/o...naires-948770.html