Nach dem Misstrauensvotum in Frankreich: Festnahmen bei neuen Protesten
Die beiden Misstrauensanträge sind am Montag gescheitert: Frankreichs Regierung und die umstrittene Rentenreform bleiben. Der Unmut auf der Straße auch.
Misstrauensvotum am Montag knapp überstanden
Die französische Regierung hat ein Misstrauensvotum in der Nationalversammlung knapp überstanden und damit die umstrittene Rentenreform durchgesetzt. Lediglich neun Stimmen fehlten laut offiziellem Abstimmungsergebnis bis zur absoluten Mehrheit für einen ersten, fraktionsübergreifenden Misstrauensantrag. Ein zweiter Antrag der Rechtspopulisten, über den anschließend abgestimmt wurde, hatte so gut wie keine Aussicht, angenommen zu werden.
Die Regierung kann aufatmen. Sie hatte allen Grund zum Zittern gehabt. Zum ersten Mal seit 1962 bestand eine reelle Möglichkeit, dass eine Mehrheit der Abgeordneten mit ihrem Votum der Regierung das Vertrauen entziehen würde. Dann hätte Elisabeth Borne den Rücktritt ihres Ministerkabinetts einreichen müssen. Diese Schmach wurde ihr erspart. Die Regierung bleibt, aber die Krise, die sie mit der Rentenreform ausgelöst und mit ihrem autoritären Vorgehen noch geschürt hat, geht ebenfalls weiter.
Die Regierung ist zu weit gegangen, weil sie den Sinn und Notwendigkeit ihrer Reform zu keinem Zeitpunkt erklären oder rechtfertigen konnte, weil sie stattdessen stur an einem Vorhaben festgehalten hat, das von drei Vierteln der Bürger und Bürgerinnen abgelehnt wird, und auch, weil sie offenbar nicht verstanden hat, dass man in einer Demokratie auf die Dauer nicht mit Affronts gegen das Volk regieren kann. Indem Präsident Emmanuel Macron und seine Premierministerin sich selbstsicher gaben, um der eindrucksvollen gewerkschaftlichen Mobilisierung die Stirn zu bieten, haben sie bloß ihre eigentliche Schwäche enthüllt: Diese Staatsführung hat keine Mehrheit für und hinter sich!
Wie weiter?
Nach der Ablehnung der beiden Misstrauensanträge am Montag gilt die Vorlage der Rentenreform auch ohne Abstimmung in der Nationalversammlung für verabschiedet – das ist die Regel aufgrund des Verfassungsartikels 49.3. Die Regierung hatte am Donnerstag diese Prozedur verwendet, weil sie eine Niederlage im Fall einer Abstimmung über ihre Reform in der Nationalversammlung befürchten musste. Der Staatspräsident, Emmanuel Macron, hat nun zwei Wochen, um einen entsprechenden Erlass zu veröffentlichen, damit das Gesetz in Kraft treten kann. Aber es wäre nicht das erste Mal in der französischen Geschichte der letzten 20 Jahre, dass ein sehr umstrittenes Gesetz zum Schluss nie zur Anwendung käme.
Zunächst muss diese durchgeboxte Rentenreform ohnehin noch die Hürde des Verfassungsrats schaffen. Mehrere Fraktionen der Opposition haben bereits eine Reihe von Verfassungsklagen angekündigt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Richter, die „neun Weisen“ des Conseil constitutionnel, Einspruch erheben, sei es gegen Teile oder den gesamten Text oder auch gegen die Art und Weise, wie die Regierung die Parlamentsdebatte mit allen Mitteln aufs Minimum reduziert und die Abgeordneten zum Schluss am Abstimmen gehindert hat.
Mindestens bis zum Entscheid des Verfassungsrats wird die Mobilisierung weitergehen. Überall im Land finden spontane Aktionen, Blockaden und neue Streiks statt. Statt über die Behinderungen oder Staus zu schimpfen, solidarisieren sich die betroffenen Leute. Zweifellos hat die Staatsführung die Entschlossenheit der Gewerkschaften und mehr noch die große Wut in der Bevölkerung unterschätzt.
Auch wenn Borne durch den Misstrauensantrag nicht zu Fall gekommen ist, sitzt sie als Premierministerin heute auf einem angesägten Ast. Sie hatte vor wenigen Tagen gesagt, sie sei bereit, dem Präsidenten notfalls als „Sicherung“ zu dienen, die durchbrennt, damit beim Kurzschluss nicht ein Brand ausbricht. In der Fünften Republik ist der Premierminister für den Präsidenten immer ein designierter Sündenbock – auch wenn der Regierungschef in diesem Ausnahmefall eine Frau ist.
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