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Nach dem Glyphosat-„Ja“ auf EU-EbeneWenn die AfD helfen muss

Nach der EU-Zulassung des Gifts wächst der Druck, die Anwendung national zu beenden. Dafür könnte es eine Mehrheit geben – mit Hilfe der AfD.

Aktivisten protestieren in Berlin gegen Glyphosat in Deutschland Foto: Mike Schmidt/Greenpeace

BERLIN taz | Nachdem das Pflanzengift Glyphosat in der EU für weitere fünf Jahre genehmigt worden ist, mehren sich parteiübergreifend die Forderungen, seinen Einsatz auf nationaler Ebene zu verbieten oder zumindest zu beschränken. Selbst CSU-Agrarminister Christian Schmidt, der den deutschen Vertreter am Montag in Brüssel gegen den erklärten Willen von SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks für die Verlängerung hatte stimmen lassen, kündigte am Donnerstag in der Passauer Neuen Presse an, „Lösungen zu finden, wie wir den Einsatz von Glyphosat in der Zukunft national restriktiver gestalten können“.

Das Votum auf Weisung von Schmidt hatte für großen Ärger gesorgt – nicht nur bei Hendricks, sondern auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, die das Vorgehen als klaren Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Regierung wertete. Auch in der Bevölkerung kam der Coup des Agrarministers schlecht an: In einer repräsentativen Umfrage sprachen sich 75 Prozent der Befragten für seinen Rücktritt aus. Nach Angaben seines Büros gab es zudem eine „hohe Anzahl von groben Beleidigungen und auch Drohungen“ gegen Schmidt.

Trotz seiner jüngsten Ankündigung ist eine starke Glyphosat-Beschränkung auf nationaler Ebene von Schmidt nicht zu erwarten. Skeptisch geäußert hatte er sich zuvor vor allem zum Einsatz durch Privatpersonen, etwa Kleingärtner. Landwirte hingegen dürften von der Union nichts zu befürchten haben. Auch die FDP sieht keinen Grund, die Glyphosat-Nutzung zu beschränken.

Anders sieht die Sache bei allen übrigen Parteien im Bundestag aus. „Ich möchte, dass wir die Anwendung von Glyphosat in Deutschland beenden“, erklärte Barbara Hendricks (SPD) am Mittwoch. Und das sei – entgegen mancher anderslautender Aussagen – rechtlich auch möglich, erklärte das Umweltministerium. Die EU habe zwar den Wirkstoff Glyphosat EU-weit genehmigt. Für die Zulassung der konkreten Produkte, die bis März erneuert werden muss, sind aber deutsche Behörden zuständig – und zwar neben dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das dem Landwirtschaftsminister untersteht, auch das Umweltbundesamt (UBA), das dem Umweltministerium untersteht.

Die AfD könne nicht tatenlos zusehen

UBA-Präsidentin Maria Krautzberger will diese Möglichkeit offenbar nutzen. „Die nationalen Spielräume müssen ausgeschöpft werden“, sagte sie der Rheinischen Post. Und Ministerin Hendricks glaubt nicht, dass das UBA einer weiteren Nutzung zustimmt: „Ich habe große Zweifel, dass glyphosathaltige Pflanzenschutzmittel in Deutschland erneut zugelassen werden können, wenn man sich ernsthaft anschaut, welche Folgen sie für die biologische Vielfalt und insbesondere für Insekten haben“, erklärte sie.

Auf Zustimmung stoßen dürfte sie mit ihrer kritischen Haltung nicht nur bei den Linken, die den Einsatz von Glyphosat „auf das absolute Minimum reduzieren“ wollen, und bei den Grünen, die nächste Woche im Bundestag einen Antrag für einen möglichst schnellen und möglichst vollständigen Glyphosat-Ausstieg einbringen wollen. Sondern auch bei der AfD.

Will vom Bundestag gehört werden: Greenpeace-Aktivist Foto: Mike Schmidt/Greenpeace

Nach Schmidts umstrittener Zustimmung zum möglicherweise krebserregenden Glyphosat schrieb die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, man könne nicht tatenlos zusehen, „wie auf Kosten der Gesundheit unserer Bürger skrupellos die Interessen von Chemiekonzernen vertreten werden“. Und Bundesvorstandsmitglied André Poggenburg erklärte, solange die Schädlichkeit von Glyphosat nicht abschließend geklärt sei, „muss die Zulassung von Glyphosat ausgesetzt bleiben“.

Dass ihr Antrag möglicherweise nur mit Stimmen der AfD eine Mehrheit bekommen könnte, finden die Grünen zwar unerfreulich, heißt es aus der Fraktion. Im Zweifel lieber auf die Einbringung verzichten wolle man aber nicht.

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