Nach dem Fischsterben im Sommer: „Dinosaurier“ für die Oder
Der Naturschutzbund zeichnet den Fluss als „Umweltsaurerei des Jahres“ aus. Warschau unternimmt weiter nichts gegen die Salzeinleitungen.
Dazu kamen Niedrigwasser und eine extreme Sommerhitze, die die Flusstemperatur stellenweise auf rund 27 Grad Celsius steigen ließ – und eine für Fische, Muscheln und andere Flusslebwesen tödliche Blüte der Goldalge auslöste. Diese Alge kommt normalerweise nur in stehendem Brackwasser vor, nicht aber in Fließgewässern. „Wer in diesem Jahr nach der größten Umweltsauerei sucht, hat sofort die Umweltkatastrophe an der Oder vor Augen“, sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger am Dienstag. Besonders ins Gedächtnis gebrannt hätten sich die Bilder der geschätzten 200 bis 400 Tonnen Fischkadaver, die per Hand, aber auch mit Schaufelbaggern aus dem Grenzfluss geholt werden mussten.
Die Oder als „Dinosaurier des Jahres“ stehe stellvertretend für die kritische Situation an vielen anderen Flüssen in Deutschland, so Krüger. Nach wie vor würden Flüsse begradigt, ihre Ufer befestigt und ihre Fahrrinnen vertieft, um eine höhere Fließgeschwindigkeit zu erreichen, heißt es in der Begründung des Preises.
Die Folge dieser Maßnahmen: es gehen wichtige Lebensräume für Pflanzen und Tiere verloren, die Flüsse selbst verlieren an Widerstandsfähigkeit. Der Nabu fordert daher, alle schädlichen Umwelteinflüsse an deutschen Flüssen sofort zu stoppen. Für die Oder speziell solle zudem ein Moratorium ausgerufen werden, das „sowohl für den Ausbau des Flusses als auch für instandsetzende Unterhaltungsmaßnahmen“ gelten solle.
Kurze Freude der Umweltschützer
Da Politiker der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen sich weigern, eine andere als eine „natürliche Ursache“ für das massenhafte Fischsterben anzunehmen, klagten der Nabu, der Deutscher Naturschutzring (DNR), der Bund für Umwelt und Naturschutz sowie das Brandenburger Umweltministerium vor einem Verwaltungsgericht in Warschau.
Ein erster Erfolg war der Stopp der Oder-Ausbauarbeiten am 9. Dezember durch das Gericht, das den Argumenten der Kläger folgte. Doch die Freude der Umweltaktivisten währte nur kurz, denn am 21. Dezember, kurz vor Ende der Widerspruchsfrist legten sowohl die Generaldirektion für Umweltschutz der Republik Polen (GDOŚ) als auch die Behörde für Wasserwirtschaft (Wody Polskie) in Warschau Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein. Erst das Gerichtsurteil nach dem Hauptverfahren im nächsten Jahr wird rechtsverbindlich sein. Polens Umweltbehörde hat den Standpunkt, dass der Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung diese aufhebt und als Ergebnis lediglich bleibt, dass es im konkrten Fall Streit über den Oder-Ausbau gibt.
„Wir werden unsere Investitionen mit Sicherheit nicht unterbrechen“, kündigt Marek Gróbarczyk, der stellvertretende Infrastrukturminister, an. „Denn es geht um die Sicherheit Polens. Zudem haben wir alle erforderlichen Genehmigungen eingeholt.“ Die neuen Buhnen, in den Fluss hineingebaute kleine Dämme, seien Maßnahmen zum Hochwasserschutz.
„Gerade jetzt können wir die Baumaßnahmen nicht unterbrechen, da dies eine Katastrophe nach sich ziehen könnte“, erklärt Gróbarczyk dem PiS-nahen Internet-Portal wPolityce. „Es beginnt die Zeit, in der Eisbrecher gefährliche Eiszusammenballungen lösen mussen“, so der Vizeminister. „Die ersten Eisbrecher sind schließlich schon unterwegs. Wir können von Glück sagen, dass wir zur Zeit ein so mildes Wetter haben, aber die Erfahrung der letzten Jahre hat uns gelehrt, dass wir wahrscheinlich schon bald gegen Eisrückstaus ankämpfen müssen, die Überflutungen auslösen können.“
Fischsterben droht Wiederholung
Mit dem Widerspruch werde die rechtliche Bindung der einstweiligen Verfügung aufgehoben. „Sicherheit ist wichtiger als irgendein richterliches Gutdünken“, so Gróbarczyk. „Dies umso mehr, als wir im Fall des Kohletagebaus Turow schon einmal einen solchen Fall hatten.“ Damals sei es ein europäisches Gericht gewesen, das die Sicherheit Polens so behandelt habe wie jetzt das Verwaltungsgericht in Warschau.
Die Umweltschutzverbände und das Land Brandenburg werfen den polnischen Behörden vor, mit dem Abriss der alten Buhnen Sedimentgestein zu lösen, in dem sich über die Jahrzehnte auch Schwermetalle und andere für Fische und Muscheln gefährliche Stoffe festgesetzt hätten. In gelöstem Zustand verhinderten sie die Erholung der Oder und deren Fischbestände nach der Katastrophe vom Sommer.
Allerdings warnte inzwischen auch die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita vor einer Wiederholung des massenhaften Fischsterbens in der Oder. Die Zeitung bekam Zugang zu einem internen Experten-Bericht, der im Regierungsauftrag erstellt wurde und die bislang vor allem legalen Abwasser-Einleitungen in die Oder als Ursache für die hohe Salzlast im Fluss und den Tod hunderttausender Fische verantwortlich macht. Allerdings haben die zuständigen Behörden bislang keinerlei Gegenmaßnahmen ergriffen. Im Gegenteil: laut Rzeczpospolita gibt es zur Zeit 751 Genehmigungen für Abwassereinleitungen in die Oder, 70 Prozent davon hätten die Kommunalverwaltungen erteilt, 230 das Amt für Wasserwirtschaft.
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