Nach Tod von Benedikt XVI.: An der Versöhnung gescheitert
Joseph Ratzinger hatte als Papst die Chance, Deutsche und Polen einander näherzubringen. Christen und Juden. Es gelang ihm nicht.
K urz nachdem Joseph Ratzinger die Nachfolge von Karol Wojtyła auf dem päpstlichen Thron angetreten hatte, unternahm er seine erste Pilgerreise nach Polen, dem Land seines „großen Vorgängers“, wie er es ausdrückte. Als Journalisten beobachteten wir damals, inwieweit die Polen, die daran gewöhnt waren, ihren Landsmann auf dem Heiligen Stuhl zu sehen, einen Deutschen als seinen Nachfolger akzeptieren würden.
ist Vorstandsmitglied der Stiftung Kultura Liberalna in Polen und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sonderforschungsbereich Affective Societies, Freie Universität Berlin. Sie hat zwei Söhne und pendelt zwischen Berlin und Warschau.
Natürlich wurde Ratzinger als Papst in Polen nie so behandelt wie Wojtyła. Zwar mangelte es nicht an Ehrungen, aber man betrachtete ihn nicht als Nachfolger, sondern allenfalls als Stellvertreter. Ratzinger wirkte kein bisschen wie der Showman Wojtyła, der die kollektiven Emotionen der Gläubigen wie ein Berufspolitiker lenkte. Fotos von ihm mit der Brille von Bono von U2 gingen um die Welt.
Ein solcher Moment in der Karriere von Benedikt XVI., dem todernsten Geistlichen aus Marktl, wäre unvorstellbar. Heute ist der Ton, in dem über den einen und den anderen Papst gesprochen wird, in unserem Land hingegen auffallend ähnlich. Polen wird mehr denn je von der Empörung über die Missbrauchsskandale der Kirche erschüttert.
ist Chefredakteur des polnischen Online-Wochenblatts Kultura Liberalna und Pop-Back-Fellow an der Universität Cambridge.
Wenn sich vor nicht allzu langer Zeit mehr als 90 Prozent der Bevölkerung als Katholiken bezeichneten, geben heute nur noch 42 Prozent der Befragten an, ihren Glauben regelmäßig zu praktizieren. Die Unterlassungssünden beider Päpste sind für die Zeitgenossen schwer zu akzeptieren, und so finden sie sich Jahre später an der gleichen Stelle wieder. Viele Tausende von Gläubige aus aller Welt nahmen dennoch an der Beerdigung von Benedikt XVI. teil.
Auf die Frage, was ihnen an seinem Charakter wichtig war, antworten sie oft, dass es sich um theologische Schriften handelt. Ob dies auch aus polnischer Sicht der Fall ist, darf bezweifelt werden, denn die Polen kennen die Schriften Ratzingers kaum. Allerdings ist aus hiesiger Sicht vor allem die Diskussion über die christliche Theologie des Holocaust interessant, der Ratzinger viele Jahre seines Lebens gewidmet hat, noch bevor er Papst wurde.
Umstrittene Holocaust-Interpretation
Während seiner Pilgerreise 2006 gab es nur einen einzigen Ort, an dem Benedikt XVI. nicht in die Fußstapfen von Johannes Paul II. trat: das ehemalige deutsche Nazi-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Viele Menschen erinnern sich noch gut an die Bilder dieses Besuchs und besonders an den Regenbogen, der erschien, als er seine Predigt hielt.
Wichtiger als die Bilder war jedoch die Bedeutung der Predigt. Ratzinger betonte, dass Auschwitz die größte Herausforderung für die zeitgenössische christliche Theologie darstelle, da kein anderes Ereignis eine derartig umwälzende Wirkung auf die moderne Gottesvorstellung gehabt habe. Er interpretierte die Vernichtung der Juden als einen bewussten und organisierten Versuch, nicht nur Millionen von Menschen, sondern auch Gott als solchen zu töten.
Deshalb, so Ratzinger, ist dieses Ereignis weder verjährt noch vergessen und die Welt könne danach nie wieder so aussehen wie vorher. Bezweifeln lässt sich jedoch, dass Ratzingers intellektuelle Bemühungen auf diesem Gebiet erfolgreich waren. Viele jüdische Theologen haben solche christliche Holocaust-Theologie kritisiert. Ein zentrales Argument der Kritiker war, dass die Figur der Tötung Gottes im Christentum mit dem Ereignis des Karfreitags verbunden ist.
Auf den Karfreitag folgt jedoch der Ostersonntag, also die Auferstehung. Nach der Shoah hingegen bleibt nur eine Leere. Die polnisch-deutsche Versöhnung und die christlich-jüdische Versöhnung – beide gehörten zu den Potenzialen des Pontifikats von Benedikt XVI. Wie schade, dass ihm weder das eine noch das andere gelungen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“