Nach Stand-up-Show in Indien: Comedian soll für Witz büßen
Nach seiner Comedy-Show in Mumbai kassiert Kunal Kamra eine Strafanzeige. Das wirft Fragen zur Lage der Meinungsfreiheit in Indien auf.

Denn dort war das Video „Neues Indien“ („Naya Bharat“) des Komikers Kunal Kamra aufgenommen worden. Es sorgt seit seiner Veröffentlichung nicht nur für Lacher und Millionen von Klicks, sondern auch für den Teilabriss des Gebäudes – und für Strafanzeigen.
Kamra hatte in seiner Show die Lage nach Indiens Parlamentswahlen vom letzten Jahr sowie die marode Infrastruktur in der Wirtschaftsmetropole Mumbai auseinandergenommen. Dabei nahm er Politiker:innen auf den Arm, unter anderem Maharashtras Ex-Ministerpräsidenten Eknath Shinde. Der 36-jährige Kamra parodierte Shinde mit einem populären Hindi-Lied und bezeichnete ihn wegen der Spaltung von dessen hindunationalistischen Partei Shiv Sena vor zweieinhalb Jahren als „Verräter“.
Kamra nannte Shinde nicht beim Namen, beschrieb ihn aber treffend als bärtigen Mann mit Brille, der einst Rikscha-Fahrer war. Das brachte Shindes Anhänger:innen auf die Barrikaden. „Du wirst aus Indien fliehen müssen“, drohte ihm ein Shiv Sena-Abgeordneter. Auch Uttar Pradeshs Ministerpräsident Yogi Adityanath von der Regierungspartei BJP wetterte: „Einige betrachten die Meinungsfreiheit als ihr Recht, das Land zu spalten.“
Beistand von der Opposition
Kamra erhielt daraufhin Strafanzeigen wegen Verleumdung und übler Nachrede. Das Musiklabel T-Series, das Rechte an einem Song hält, der in seiner Parodie als Melodie erkennbar ist, versucht, das Video blockieren zu lassen. Die Lokalregierung, an der Shindes Shiv Sena beteiligt ist, fordert eine Entschuldigung. „Es gibt Meinungsfreiheit, wir verstehen Satire – aber es sollte eine Grenze geben“, sagte Shinde, der heute Vize-Ministerpräsident ist.
Teile der Zivilgesellschaft sammeln nun Geld für Kamras Prozesskosten. Auch aus der Politik kommt Unterstützung. Die Oppositionsabgeordnete Priyanka Chaturvedi meint: „Shindes Schläger haben Kamras Witz auf sich selbst übertragen – und ihm damit Recht gegeben.“
In sozialen Medien kursieren zahlreiche Kommentare, die Kamra für seinen Mut feiern. „Wir danken Kunal Kamra, dass er sich für die Meinungs- und Medienfreiheit einsetzt“, sagte etwa die Journalistin Dhanya Rajendran. Die Zeitung The Hindu warnt, der Vorfall sei „nicht nur ein Zeichen für wachsende Intoleranz“, sondern zeige, dass Vandalismus und offene Einschüchterungen zunehmen.
„Soweit ich weiß, verstößt es nicht gegen das Gesetz, sich über Politiker und den Zirkus, den unser politisches System darstellt, lustig zu machen“, sagte Kamra. Er wolle mit den Behörden kooperieren, aber das Recht auf Meinungsfreiheit diene nicht dazu, Mächtigen und Reichen zu schmeicheln.
Gerade in Mumbai ist Kamra für seine Beobachtungen, Wortspiele auf Hindi und pointierten Witze bekannt. Er muss geahnt haben, dass seine Parodie für Aufregung sorgen würde. Denn schon in der Vergangenheit waren seine Comedy-Shows in Nordindien wegen Drohungen abgesagt worden. Vielleicht ist er deshalb nach Südindien gezogen. Nun muss er sich demnächst in Mumbai den Behörden stellen. Angst vor einem Mob habe er nicht, sagt er. Stattdessen stellte er Drohanrufe online und nahm Kritiker:innen wie gewohnt auf die Schippe.
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