Nach Stammzellbehandlung frei von HIV: Kein Wunder
In London ist wohl gerade der zweite Mensch vom HI-Virus befreit worden. Ein weiterer Einzelfall, der nicht von den Realitäten ablenken sollte.
Wäre ja manchmal zu schön, wenn man einfach nur auf einen Knopf drücken müsste und weg ist die Plage: Erderwärmung, Erosion, HIV und Aids. In Bezug auf das HI-Virus und die Immunschwächekrankheit, die dadurch ausgelöst werden kann, macht gerade ein spektakulärer Einzelfall Hoffnung auf eine solche „Erlösung“: der sogenannte Londoner Patient. ÄrztInnen aus London ist es gemäß eines am Dienstag in Nature veröffentlichten Artikels allem Anschein nach gelungen, das Virus komplett aus dem Körper eines Mannes zu entfernen.
Dem zuvor an Lymphdrüsenkrebs erkrankten Patienten waren Stammzellen eines Knochenmarkspenders transplantiert worden, der aufgrund einer genetische Veränderung resistent gegen eine Infektion mit dem HI-Virus ist. Eine Eigenschaft, die er nun offenbar weitergegeben hat, auch wenn eine Heilung noch nicht endgültig erwiesen ist – zu oft war es in vergleichbaren Fällen zu einem Comeback des Virus gekommen. Und doch ähnelt der Fall dem des sogenannten Berliner Patienten aus dem Jahr 2009: Damals war der Amerikaner Timothy Ray Brown in der Charité Berlin von HIV befreit worden, ebenfalls auf dem Weg einer Stammzellentransplantation.
Der Londoner Patient wäre also bereits der zweite Geheilte – und doch eben nur die zweite Schwalbe, die noch keinen Sommer macht: Viel zu hoch sind die Risiken einer Stammzellentransplantation für den Einzelnen und ethisch zu rechtfertigen nur vor dem Hintergrund der Alternativlosigkeit.
Alternativen der Behandlung gibt es aber ja, auch wenn diese das Virus nicht komplett zum Verschwinden bringen. Die seit dem Jahr 1996 zur Verfügung stehende antiretrovirale Therapie vermag es erfolgreich, das Virus an seiner Vermehrung zu hindern. Auch wenn es im Körper verbleibt (und sich etwa in das Rückenmark zurückzieht), können die Betroffenen ein weitgehend normales Leben führen und sind, und das ist von Bedeutung, nicht mehr ansteckend für andere Mitmenschen. Sie können daher auch weiterhin angstfrei sexuell aktiv sein.
Nicht nur Kondome schützen
Das HI-Virus wird meist sexuell übertragen, häufig aber auch im Rahmen von intravenösem Drogengebrauch, und hier liegt auch der Grund für die außerordentliche Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen. Über eine Krebserkrankung kann man an der Kaffeetafel sprechen, Positive sehen sich aber meistens gezwungen, zu schweigen. Aids wird daher in den westlichen Ländern mittlerweile als soziale Katastrophe bezeichnet, medizinisch gesehen handelt es sich eher um eine chronische Erkrankung, vergleichbar mit Diabetes.
Aids? Tatsächlich geht es in der Regel um HIV-Positive. Aids, das Vollbild der Krankheit, ist dank der Behandlungsmöglichkeiten äußerst selten geworden in den westlichen Ländern. Auch in Afrika hat sich die Situation verbessert – während die Lage auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion immer schlimmer wird.
Noch ist Aids nicht vom Antlitz der Erde verschwunden. Die Vereinten Nationen aber haben sich das zur Aufgabe gemacht, das „End of Aids“ soll im Jahr 2030 erfolgen, und das meint keineswegs eine Wunderheilung. Vielmehr sollen bis dahin 90 Prozent aller Betroffenen Bescheid wissen über ihre Infektion und medikamentös behandelt werden – auch, um eine weitere Verbreitung zu verhindern.
Möglichst flächendeckende Tests also und eine erweiterte Prophylaxe bilden die Instrumente. Denn nicht nur Kondome schützen, sondern auch die PrEP, die „Präexpositonsprophylaxe“, die auf Betreiben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nun auch in Deutschland von den Krankenkassen finanziert werden kann. Im Prinzip geht es darum, dass Menschen, die einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind, HIV-Medikamente prophylaktisch einnehmen und so nicht infiziert werden können.
Kein Knopfdruck also und auch keine aufwändige, problematische Gentechnik à la Crispr/Cas. Zum Ziel führt wohl am Ende eher eine Reihe von Anstrengungen auf Basis der Vernunft.
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