Nach Silvester-Randale in Berlin: Neuköllner Kids
Seit der Gewalt gegen Einsatzkräfte Silvester in Berlin haben Schuldzuweisungen Konjunktur. Aber wie schaut es tatsächlich im Bezirk Neukölln aus?
T evfik Ari ist wütend. Wütend auf die Jugend in Neukölln. Wütend wegen dem, was er an Silvester erlebt hat. Die Scheiben seines Imbisses sind auch zehn Tage später noch zersplittert, Klebeband kittet die Sprünge. Ari, klein, breite Schultern, Bart, fuchtelt mit den Händen beim Reden. „Die Kids hier sind richtig frech“, sagt er. Über diese „Kids“ in Neukölln redet gerade die halbe Republik.
Gemeinsam mit seinem Cousin betreibt Tevfik Ari einen Döner-Laden auf dem Platz vor dem Einkaufszentrum Wutzky-Center. Am 31. Dezember um halb neun Uhr abends schließt er die Rollläden. Er bleibt. Zusammen mit ein paar Freunden passt er auf seinen Imbiss auf, er hat schlechte Erfahrungen mit Silvester gemacht.
Gegen Mitternacht wird sein Laden mit Pyrotechnik beschossen. Auch Ari und seine Freunde werden mit Böllern beworfen, erzählt er, zwei von ihnen müssten jetzt operiert werden. Gemeinsam rufen sie die Polizei. Als die ankommt, werden auch die Beamten beschossen. Ein Polizist wird von einem Böller getroffen, der zwischen Helm und Schutzweste rutscht und dort explodiert. Im Imbiss reißen Ari und seine Kollegen dem Polizisten die Uniform vom Leib, kippen kaltes Wasser über die verbrannte Haut.
38 Personen sind nach den Silvesterkrawallen in Neukölln festgenommen worden, weil ihnen Angriffe auf Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr vorgeworfen wird. Viele von ihnen sind unter 21 Jahre alt. Insgesamt kommt es in Berlin zu 145 Festnahmen. Die Verdächtigen besitzen 18 verschiedenen Nationalitäten. Die Debatte ist da – über Jugendgewalt, Integration, Migration.
Am Mittwoch dieser Woche veranstaltete Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) einen Gipfel. Sie kündigt eine „konzertierte Aktion“ gegen Jugendgewalt an. Dafür wolle der Berliner Senat weitere Ausgaben für Sozialarbeit in Millionenhöhe ermöglichen. „Wir haben nicht nur Redebedarf, sondern wir haben auch Handlungsbedarf“, sagte Giffey. Ist das nur Show für den Wahlkampf oder hat Neukölln wirklich ein Problem mit gewalttätigen Jugendlichen?
Warum machen die das? Kids geben Antworten
Vom Wutzky-Center und Tevfik Aris’ Imbiss sind es nur ein paar Gehminuten bis zur Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg. Hochhäuser ragen in den Himmel, von Wahlplakaten lächelt Franziska Giffey. Im ersten Stock der Schule hat die siebte Klasse von Lehrerin Janina Bähre ihren Klassenraum. Neun Tage nach der Silvesternacht bilden die Schüler:innen einen Stuhlkreis, sie wuseln durch das Klassenzimmer, wollen neben ihren Freund:innen sitzen. Die Mädchen und Jungen tragen Nike-Sneaker mit dicken Sohlen, Gelnägel, Kopftücher. Jasmin führt eine Redner:innenliste – sie schreibt auf, wer sich gemeldet hat. Joel hat die Liste im Blick und ruft auf, wer dran ist. Es gibt eine Strafliste für diejenigen, die zu oft dazwischenrufen.
Frau Bähre schlägt gegen eine Klangschale, dann ist es still im Klassenraum. „Was soll ich noch mal sagen?“, fragt Nina. „Wie es dir an Silvester ergangen ist. Was du gesehen hast. Was du gut fandest, was du schlecht fandest“, sagt Janina Bähre.
Tarik war an Silvester draußen unterwegs, wie er erzählt. Er habe mit Freunden zusammen gezündelt, sein Kumpel habe eine Kugelbombe gezündet und sich dabei schwer verletzt. „Seine Arme sind jetzt so“, sagt Tarik, knickt die Hände ab und streckt sie aus wie ein Zombie.
Marko meldet sich, er will es ganz genau wissen. Aber er muss noch warten – die Redner:innenliste. Erst sind andere dran. Dann fragt Marko: „Es gibt doch auch Kugelbomben, die hochfliegen?“ „Ja, du musst die in ein Rohr packen“, sagt Tarik. „Die fliegt doch dann hoch?“ „Ja, aber wir hatten kein Rohr.“
„Digga.“
Lachen.
Andere Kinder erzählen ähnliche Geschichten. Der Cousin und der Onkel von Efe haben sich durch Zünden einer Batterie im Gesicht verletzt, Joel an der Rippe. Jugendlicher Leichtsinn, ja. Gefährlich, ja. Aber Menschen absichtlich verletzen, das versteht hier niemand. Janina Bähre fragt die Klasse, warum manche mit Böllern und Raketen auf Menschen schießen.
„Einfach so!“
„Aus Spaß!“
„Die fühlen sich cool.“
„Das ist so ehrenlos!“
Amalia war Silvester nicht in Berlin, sie sagt: „Warum zünden die was an? Das ist richtig unnötig!“ So würden Menschen ihren eigenen Kiez abfackeln.
Die Gewalttaten sind rückläufig
Albrecht Lüter ist schon seit 2015 Leiter der Berliner Arbeitsstelle Jugendgewaltprävention. Er hat in den letzten zehn Jahren einen Rückgang der Jugendgewalt beobachtet. „International, in Deutschland und in Berlin“, sagt Lüter. Gemeinsam mit Kolleg:innen hat er 2021 ein Gewaltmonitoring veröffentlicht, in dem auch ganz gezielt die Berliner Bezirke untersucht wurden.
Auch in Neukölln zeigt sich: Die Zahlen sind seit 2010 rückläufig. Weniger Raubtaten, weniger Körperverletzungen und weniger Delikte gegen die persönliche Freiheit wurden von Jugendlichen begangen – auch wenn die Zahl der Delikte zwischenzeitlich wieder gestiegen war. Im Coronajahr 2020 wurden insgesamt 799 solcher Straftaten in Neukölln, begangen von Jugendlichen, von der Polizei erfasst, 2010 waren es noch 1.057.
Menschen Neukölln ist ein südlicher Stadtbezirk des früheren Westberlin. Auf knapp 44 Quadratkilometern leben etwa 327.000 Einwohner:innen. Sie stammen aus 160 Nationen. Knapp 50 Prozent der Einwohner haben einen Migrationshintergrund.
Nord und Süd Im Norden liegt das innerstädtische Neukölln mit sehr verdichteter Wohnbebauung und nur wenigen Parks. Weiter südlich befinden sich drei Stadtteile, die mehr von Reihenhaussiedlungen und Gewerbe geprägt sind.
Großsiedlung Dazu kommt die Gropiusstadt, eine Hochhaussiedlung aus den 1960er und 1970er Jahren. Dort leben allein knapp 38.000 Menschen. (taz)
Trotzdem ist die Jugendgewalt in Neukölln im Vergleich zu gesamt Berlin erhöht. Warum? „Es gibt einen hohen Zusammenhang zwischen Jugenddelinquenz und einer prekären sozialen Lebenslage“, sagt Lüter. Die Jugendlichen in Neukölln seien häufiger von Arbeitslosigkeit und Kinderarmut betroffen als solche in anderen Berliner Bezirken. Sie hätten häufiger Sprachdefizite und schwänzten häufiger die Schule. „Unter ähnlichen prekären Lebensbedingungen finden wir dann auch Jugendliche, die ähnliches Problemverhalten an den Tag legen.“ In Marzahn-Hellersdorf ganz im Osten der Stadt zum Beispiel, einem Bezirk, der viel weniger von Migrant:innen geprägt ist als Neukölln. So viel zur Migrationsdebatte.
Die Lehrerin Janina Bähre kennt das. Sie erzählt von Eltern, die trotz Jobs mit Hartz IV aufstocken müssen. Sie berichtet von Kindern, die Ausflüge verpassen, weil kein Geld dafür da ist. Sie spricht von Hunger, Drogen, Wohnungslosigkeit und Abschiebung. „Das können wir uns gar nicht vorstellen“, sagt Bähre.
Janina Bähre, Lehrerin, über jugendliche Gewalt
Und die Lehrerin berichtet von Eltern, die sich schämen, wenn ihre Kinder „Scheiße bauen“. Sie sagt: „Allen ist klar, dass man Polizisten und Feuerwehrleute nicht angreift.“ Bähre glaubt, dass Gewalt immer einen Grund hat. „Wenn es nicht Langeweile oder pubertierender Leichtsinn ist, ist es Wut, Aggression, Frust.“ Sie wirbt für Verständnis für das, was Kinder und Jugendliche im Kiez erleben. „Wir haben hier wie überall ganz tolle Kinder, die halt einfach nur schlechtere Startchancen haben, weil wir halt ein ungerechtes Bildungssystem haben“, sagt sie.
Diese schlechten Startchancen auszugleichen, kostet Kraft. Bähre, blauer Pulli, Tattoo am Unterarm, ist schon ein bisschen heiser. Die Klasse ist heute unruhig, immer wieder muss sie Kinder hinausschicken und für Ruhe sorgen.
„Lukas, warte jetzt mal fünf Minuten draußen.“
„Hamza, geh auch mal raus.“
„Da stehen jetzt schon drei draußen.“
Seit 2013 ist Bähre an der Gemeinschaftsschule Campus Efeuweg, Sie wollte an diese Schule. „Als ich die Schule das erste Mal gegoogelt habe, wusste ich nicht, ob ich das schaffe. Damals hatte sie noch einen schlechten Ruf“, sagt sie. „Aber ich habe mich dann gefragt, wer sonst? Ich bin gut ausgebildet! Hier muss ja auch wer arbeiten!“
Es mangele an Personal und Stunden in Schulen wie dem Campus Efeuweg, die Schüler*innen hätten unter Corona gelitten, schulisch und sozial, sagt Bähre. Das alles müssten Lehrer*innen und Sozialarbeiter*innen jetzt auffangen, aufarbeiten, aufholen. Janina Bähre fordert eine bessere Aufstellung der Sibuz. Die Abkürzung steht für schulpsychologische und inklusionspädagogische Beratungszentren, wo Lehrkräfte, Schulpsycholog*innen, Sozialarbeiter*innen und Sonderpädagog*innen mit Schüler*innen und Eltern zusammenarbeiten.
Kinder brauchen Grenzen
Janina Bähre wirbt zwar für Verständnis, betont aber auch, dass Kinder Grenzen brauchen. „Wenn Regeln gebrochen werden, versuchen wir schnell mit Konsequenzen zu kommen, die dann aber auch – wie im Strafrecht – ein Bündel sind, aus Grenzsetzung, Strafe, Wiedergutmachung und Unterstützung“, sagt sie. Und auch im Bereich Gewaltprävention unternehme die Schule viel: Klassenrat, Schülermediator*innen, Mobbing-Vereinbarungen, Workshops zu Recht und Gerechtigkeit. Und Workshops mit der Polizei.
Gerade die Zusammenarbeit mit der Polizei scheint wichtig, denn viele Kinder haben schlechte Erfahrungen mit den Beamten gemacht. Jasmin erzählt von einem Video, das sie auf Tiktok gesehen hat, in dem ein Polizist zu einem Mann vor dessen Kindern sagt: „Ihr seid nur zu Besuch in Deutschland.“ Sie sagt: „Würde das jemand zu meinem Vater sagen …“
Das Mädchen mit dem schwarzen Kopftuch und der goldenen Brille, das akribisch die Redner:innenliste führt, wird richtig wütend, wenn sie davon erzählt. „Die respektlosen Polizisten, die brauchen Schläge“, sagt sie. Sie ist nicht die Einzige, die so spricht. Die Schüler:innen haben Respekt vor der Polizei, sie fordern aber auch Respekt ein.
Auch Amalias Vater wurde schon von einem Polizisten beleidigt: „Verpiss dich in dein Asylantenheim“, hätte der gesagt.
Kein Respekt vor dem Staat?
Hat die Jugend keinen Respekt mehr vor dem Staat? Albrecht Lüter sagt: „Wenn wir die Entwicklung von politisch motivierter Kriminalität betrachten, wo es wirklich darum geht, demokratische Strukturen infrage zu stellen, dann ist einer der ganz wichtigen aktuellen empirischen Befunde, dass das kein Jugendphänomen ist. Das sind häufig ältere, rechts motivierte Täter.“ Und er sagt auch: „Die Polizei in Deutschland genießt ein sehr, sehr hohes Ansehen. Das ist ein sozialwissenschaftlich relativ gesicherter Befund.“
Was ist dann in der Silvesternacht am Wutzky-Center und anderswo in der Stadt schiefgelaufen? Was glauben die Schüler:innen? „Die denken, die wären cool, die machen Faxen, die haben keinen Bock“, sagt ein Schüler. „Denen ist langweilig und die wollen was Spannendes machen“, glaubt ein anderer. Ist es am Ende so einfach?
Nach 45 Minuten, die Schüler:innen sind in der Pause, braucht Frau Bähre erst einmal einen Kaffee und eine Selbstgedrehte. Heute arbeitet sie bis halb fünf, eigentlich ist sie in Teilzeit.
Neukölln ist groß, hier leben über 300.000 Menschen. Es gibt Kieze im Bezirk, in denen Jugendgewalt häufiger vorkommt als in anderen. Gropiusstadt zum Beispiel, der Kiez, in dem das Wutzky-Center steht, der Kiez, in dem Jasmin, Tarik und Co. zur Schule gehen.
Von dort fährt man neun Stationen mit der U-Bahn bis zum Rathaus Neukölln. Wenige Gehminuten entfernt steht das Einkaufszentrum Kindl-Boulevard. Über Supermarkt, Friseur und Reisecenter sitzen Abteilungen des Jugendamts Neukölln.
Martina Kirstan ist die Teamleiterin der Jugendgerichtshilfe im Bezirk. Ihr Büro befindet sich im achten Stock – von hier aus kann sie bis zu den Hochhäusern der Gropiusstadt blicken. Ein Stockwerk tiefer sitzt Nabil Aubeidy, er ist Sozialarbeiter bei der AG Kinder- und Jugendkriminalität und arbeitet mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Er kommt etwas später zum Gespräch dazu, er hat nicht viel Zeit, der nächste Termin wartet schon. Kirstan trinkt Tee, Aubeidy Cola Cherry.
Martina Kirstan, Jugendhilfestelle Neukölln
„Wir sind keine, wie sagt man, Kuschelpädagogen“, sagt Kirstan. „Wir konfrontieren die Jugendlichen mit ihren Straftaten und den Folgen. Und das möglichst schnell.“ Aber sie erklärt auch: „Wir kennen die Täterinnen und Täter von Silvester ja noch gar nicht.“ Und: „Würden wir jetzt alle einsperren, was ist dann gewonnen?“
Albrecht Lüter von der Arbeitsstelle Jugendgewaltprävention sagt: „Mit Blick auf Jugendliche hat das Strafrecht einen Erziehungsauftrag. Das ist ein Bereich, wo man mit harten Strafen nicht weiterkommt.“ Das Austesten und Überschreiten von Grenzen gehöre zur Jugend. „In aller Regel sind das Phänomene, die sich auswachsen.“ Schwierig werde es bei Mehrfachtäter:innen, die kriminelle Karrieren einschlagen: „Die muss man dann unterbrechen.“
Das ist die Aufgabe von Aubeidy und seinen Kolleg:innen in der AG Kinder- und Jugendkriminalität. Die Sozialarbeiter*innen sind in Kontakt mit Polizei, Jugendamt und Schulen. Wenn ein Jugendlicher mehrfach auffällig wird, besprechen sich die Sozialarbeiter:innen, schauen, ob der Fall an andere Einrichtungen wie die Drogenhilfe verwiesen werden sollte. Sie klären ab, ob der Jugendliche bereit ist, mit ihnen zu kooperieren. Erst wenn diese Fragen beantwortet sind, beginnt die eigentliche Arbeit mit den Kindern und mit ihren Familien: eine Beziehung aufbauen, das Leben und die Bedürfnisse der Jugendlichen verstehen.
„Was toll ist an diesem Ansatz, ist das Bedarfsorientierte, sehr nah an der einzelnen Person Ausgerichtete“, sagt Albrecht Lüter. „Kinder und Jugendliche müssen Bindungen erleben, in denen sie Wertschätzung, Selbstwert und Selbstwirksamkeit erfahren.“ Beziehungen aufbauen, das sei eine Grundlage von Präventionsarbeit.
Den „Wilden Mustang“ bändigen
Aubeidy erinnert sich an viele Jugendliche, die er begleitet hat, einer ist ihm ganz besonders in Erinnerung geblieben. Ein Intensivtäter, ein „wilder Mustang“, wie Aubeidy sagt. Niemand konnte mit ihm arbeiten, niemand konnte ihn einfangen. Der Fall reizte Aubeidy. „In drei Monaten ging die Kriminalität von hundert auf null.“ Was hat dem Jungen gefehlt? „Ihn ernst nehmen“, sagt Aubeidy. „Er hatte Angst davor, ins Heim zu müssen.“ Die Drohung schwebte über ihm. Aubeidy sagt dem Jungen: „Wir können dafür sorgen, dass du nicht ins Heim musst.“ So entstand ein Deal. „Er hat mit allem aufgehört.“
Vier Sozialarbeiter:innen arbeiten für die AG Kinder- und Jugendgewalt. Eine andere AG kümmert sich um Schulschwänzer:innen. Aubeidy und seine Kolleg:innen betreuen jeweils zehn bis zwölf Jugendliche, das sind etwa vier Stunden pro Woche, die sie für jeden Einzelnen haben. Sie sind ausgelastet, aber nicht überlastet. Die Finanzierung stehe, die AG arbeitet unabhängig von Sonder- oder Projektmitteln. „Natürlich gibt es mehr Anfragen als Kapazitäten. Aber es gibt ja auch noch andere Hilfen“, erklärt Aubeidy. Und dann sagt er einen Satz, den man wohl selten von Sozialarbeiter:innen hört: „Wir sind hier super ausgestattet und super aufgestellt.“ Ein Satz, der zeigt, dass in Neukölln viel passiert ist. Ein Satz, der aber auch zeigt, wie ungewöhnlich eine sichere Finanzierung und gute personelle Ausstattung in der sozialen Arbeit sind.
Deshalb verlangt Martina Kirstan mehr Mittel für Jugendclubs und Schulsozialarbeit, also Orte, wo Jugendliche ihren Alltag verbringen. Notwendig sei eine dauerhafte Finanzierung von erfolgreichen Projekten, die bisher nur temporär erfolgt.
Auch Lüter sagt: „Jeder, der sich mit Jugendarbeit in Berlin auskennt, weiß, dass da massiver Finanzierungsbedarf besteht. Es gibt nicht genug Angebote.“ Aber er fragt sich auch, wo das Personal herkommen soll. Und er betont, dass Prävention auch die Lebensverhältnisse vor Ort in den Blick nehmen muss. Etwa, was bauliche Maßnahmen betrifft, damit Orte entstehen, an denen Jugendliche in engen Städten und kleinen Wohnungen Platz zum Leben haben. Man müsse anders denken über Kinder und Jugendliche in Kiezen wie der Gropiusstadt. „Vielleicht sitzt da der nächste Sido, der nächste Zidane oder die nächste Erfinderin eines Impfstoffs.“
Im Büro von Martina Kirstan im achten Stock ist es spät geworden. Nabil Aubeidy ist schon weg, der nächste Termin. Zuvor hat er gesagt: „Hier hat ein Wandel stattgefunden. Und natürlich gibt es Schattenseiten, aber ich würde gern mehr über die Sonnenseiten sprechen.“
Es ist dunkel, Neukölln funkelt in der Abenddämmerung, irgendwo explodiert ein Böller. Kirstan spricht von den Menschen im Bezirk, von ihren Stärken, sie grinst dabei und sagt: „Neukölln sollte sehen, dass es unglaublich viele Ressourcen hat.“
Alle Namen der Kinder wurden verändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles