Nach Nazi-Chats bei Spezialeinheit: Frankfurter SEK wird aufgelöst
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) löst die Frankfurter Spezialeinheit auf. Die Linke fordert Aufklärung.
Hintergrund sind Ermittlungen gegen 20 SEK-Polizisten, die volksverhetzende Inhalte in Chatgruppen geteilt haben sollen – die eine „abgestumpfte, diskriminierende Haltung und teils rechtsextreme Gesinnung“ offenbaren würden, so der Innenminister.
Beuth sprach von „inakzeptablem Fehlverhalten“ der Beamten und der „Verrohung einer Dienstgruppe“, die eine Auflösung des SEK „unumgänglich“ gemacht hätte. „Wer einen Fehler macht, muss dafür geradestehen – im Leben wie auch bei der Polizei“, so der Innenminister.
Am Mittwoch erst fanden Hausdurchsuchungen bei sechs SEK-Beamten wegen der Chatnachrichten statt. Ermittelt wird jedoch seit April 2021 gegen insgesamt 20 Polizisten, von denen 19 noch im Dienst sind, von der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main. In der Chatgruppe waren demnach auch drei Vorgesetzte, gegen die wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt wird.
„Verrohung einer Dienstgruppe“
Im Zentrum der Ermittlungen steht offenbar ein Polizist des Frankfurter SEK, der mittlerweile in Rheinland-Pfalz wohnt. Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen den 38-Jähringen seit August 2020 wegen Besitzes und Verbreitung sogenannter kinderpornographischer Schriften. Dieser juristische Begriff schließt Fotos und Videos mit ein. Bei einer Hausdurchsuchung am 15. Dezember 2020 beschlagnahmten die Beamten offenbar unter anderem ein Mobiltelefon des Beschuldigten.
Dort sei man dann auf entsprechende Chatgruppen mit „strafrechtlich relevanten Inhalten“ gestoßen, vor allem aus den Jahren 2016 und 2017. Nach taz-Informationen geht es etwa um rassistische Beleidigungen und Hakenkreuz-Abbildungen.
Entsprechend kündigte Beuth weitere Maßnahmen für das SEK an: „Es kann dort nichts bleiben, wie es bislang war“. Unabhängig vom Ausgang der Strafverfahren gegen die noch aktiven 19 Polizisten werde er dafür Sorge tragen, dass „keine dieser Personen mehr für eine hessische Spezialeinheit tätig“ werde. Beuth wolle sie bestenfalls „aus der hessischen Polizei entfernen“.
Darüber hinaus versprach Innenminister Beuth weitere Maßnahmen gegen rechtsextreme Tendenzen in der Polizei und beim Nachwuchs. Es solle eine ausgeprägtere „Fehlerkultur“ geben, die im Falle der SEK-Vorgesetzten „völlig versagt“ habe. Es müsse zudem mehr Durchlässigkeit zwischen den Einheiten geben, trotz Spezialisierung einzelner dürfe kein „falsch verstandener Korpsgeist“ entstehen.
Linken-Chefin: „Der Fisch stinkt vom Kopf“
Zum angekündigten „grundlegenden Neustart“ gehört laut Beuth auch eine neue Stabsstelle unter der Leitung des Präsidenten des Polizeipräsidiums Westhessen, Stefan Müller. Er ist ehemaliger Leiter einer Direktion Spezialeinheiten. Die neue Stabsstelle soll die Umstrukturierung des SEK in Abstimmung mit dem Innenministerium einleiten.
Janine Wissler reicht das nicht. „Wir fordern Peter Beuths Rücktritt“, sagte die Linken-Bundesvorsitzende und hessische Fraktionschefin der taz, „Der Fisch stinkt vom Kopf.“
In der Frankfurter Polizei häuften sich rechtsextreme Fälle in der jüngeren Vergangenheit, wie Wissler betont. So wurden etwa Waffen und Munition aus Asservatenkammern entwendet. Die Anwältin Seda Başay-Yıldız und auch Wissler bekamen Drohschreiben mit dem Kürzel „NSU 2.0“ – ihre Daten wurden zuvor von Polizeicomputern abgefragt. „Das ist offensichtlich ein strukturelles Problem, keine Einzelfälle“, so die Linkenpolitikerin.
Wisslers Daten wurden im Februar 2020 von einem Polizei-Computer in Wiesbaden abgerufen. Die Wiesbadener Polizei gehört zum Polizeipräsidium Westhessen – und deren Leiter ist der mit der neuen Stabstelle beauftragte Stefan Müller.
Für Wissler zeigt sich darin, wie problematisch interne Ermittlungen bei der Polizei sind. „Wenn man Sachen auf den Prüfstand stellen will, braucht man Leute von extern, aus anderen Bundesländern oder anderen Behörden“, sagte sie der taz. „Es gibt jede Menge Fragen, die geklärt werden müssen – auch parlamentarisch“, forderte Wissler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite