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Festnahme eines NSU-2.0-VerdächtigenInnenminister Beuth atmet auf

Nach dem Fahndungserfolg im NSU-2.0-Komplex verbreitet Hessens Innenminister Zuversicht. Doch zentrale Fragen bleiben offen.

Nach der Festnahme eines Tatverdächtigen erleichtert: Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) Foto: Karina Hessland/imago

Frankfurt am Main taz | Nach dem Fahndungserfolg im NSU-2.0-Komplex gibt sich Hessens Innenminister Peter Beuth erleichtert: „Sollte sich der Verdacht erhärten, könnten Dutzende unschuldige Opfer sowie die gesamte hessische Polizei aufatmen. Die Drohschreiben hatten einen sehr schwerwiegenden Verdacht auf die Polizei gelenkt“, erklärte der CDU-Politiker am Morgen nach der Verhaftung eines 53-jährigen Tatverdächtigen in Berlin.

Seit im Jahr 2018 die ersten Drohschreiben an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız publik wurden, steht Beuth und mit ihm die hessische Polizei unter Druck. Denn die Ermittlungen zu den teils rassistischen und menschenverachtenden Morddrohungen gegen insgesamt 32 Personen und 60 Institutionen brachten erhebliche Missstände in der hessischen Polizei ans Tageslicht. Die Fahnder mussten feststellen, dass wiederholt sensible persönliche Daten der Opfer rechtswidrig von Polizeicomputern in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen worden waren. Sie stießen auf rechte Chatgruppen, in denen Polizeibeamte Nazisymbole und rassistische Parolen ausgetauscht hatten.

Von Anfang an stand der Umgang mit Betroffenen und Öffentlichkeit in der Kritik. Die Adressaten der Drohschreiben sowie Abgeordnete des Innenausschusses erfuhren mehrfach wichtige Informationen nicht vom Minister, sondern aus den Medien. Der Landespolizeipräsident musste gehen, weil er Beuth angeblich nicht über Ermittlungsdetails informierte.

Beuth feuerte ihn, ernannte im Anschluss einen Sonderermittler und veranlasste eine umfangreiche Untersuchung rechter Umtriebe in der hessischen Polizei. Mehrere Beamte wurden entlassen, noch immer sind zahlreiche Straf- und Disziplinarverfahren gegen ehemalige oder suspendierte Polizisten anhängig.

Nicht nur Betroffene äußern Zweifel

Wie sehr der Imageschaden der Polizeiarbeit in Hessen zugesetzt hat, beklagte zuletzt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jens Mohrherr, in der Frankfurter Rundschau: „Es belastet die Kolleginnen und Kollegen. Einer hat mir mal gesagt: Das ist, als ob man mir eine Bleiweste umhängt, wenn ich jeden Tag in den Dienst komme. Es wiegt auch schwer, wenn sich Kolleginnen und Kollegen in Frankfurt beschimpfen lassen müssen, sie kämen vom,Nazirevier'“, so der Gewerkschafter gegenüber der FR.

Innenminister Beuth verbreitete nach der Festnahme des Tatverdächtigen Zuversicht: „Die jahrelangen widerlichen Drohungen und Einschüchterungen gegen Personen des öffentlichen Lebens können nun in einem rechtsstaatlichen Verfahren geahndet werden“, sagte Beuth am Dienstagmorgen. Doch nicht nur die Betroffenen äußern Zweifel. „Wie soll der Berliner Tatverdächtige ohne Bezug zur Polizei an sensible Daten gekommen sein, die aus Polizeicomputern abgefragt wurden“, fragte etwa die Linken-Politikerin Janine Wissler in einer ersten Reaktion gegenüber der taz.

Für die SPD-Landtagsfraktion erklärte Günter Rudolph: „Solange mögliche Verbindungen zwischen dem mutmaßlichen Täter und potenziellen Helfern innerhalb von Polizeibehörden nicht ausermittelt sind, ist der Komplex ‚NSU 2.0‘ nicht abgeschlossen. Zur vollständigen Aufklärung gehört eine Antwort auf die Frage, wie ein Rechtsextremist aus Berlin an Daten aus dem hessischen Polizeiinformationssystem kommen konnte“, so Rudolph.

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7 Kommentare

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  • Dass sich ein wegen vieler Vorstrafen im rechtsradikalen Milieu vernetzter Typ angeblich durch, sagen wir mal, einschleimende Kollegialität am Telefon von Dienststellen der Polizei Informationen geholt haben soll, die hochsensibel sind, macht schon fassungslos und ist absolut haarsträubend als Story. Wahrscheinlich werden bei den Verfassungsschutzämtern gerade noch ganz zufällig die passenden Akten geschreddert, damit die Verbindungen des Typen in dieses VS-Milieu, ebenso wie beim NSU 1, nicht auffallen sollen. Die Rechtsradikalen bei der Frankfurter Polizei (und anderswo) hat man z.T. schon identifiziert. Und was kam dabei raus? Und dass die Herkunft von Faxen angeblich nicht zu klären sein soll, dürfte auch nur Komasäufer überzeugen.

  • Puh. Schon wieder ein Einzelfall. Ein Glück.

    Hier ein Einzelfall, dort [1] einer (oder sechs) -- alles Einzelfälle.

    Hallelujah.

    Wenn die Polizei nur halb so viel Energie darin aufwendete, ihre strukturellen Probleme anzugehen wie sie in den "Schutz" ihres Images, dann ginge es uns allen besser. Den Polizist*innen zuallererst.

    [1] taz.de/Rechtsextre...-Polizei/!5769258/

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Janine Wissler (Hardliner Fraktion, Partei "Die Linke"): „Wie soll der Berliner Tatverdächtige ohne Bezug zur Polizei an sensible Daten gekommen sein, die aus Polizeicomputern abgefragt wurden.“

    ==

    ""Die Zeit"" zu dieser Frage:



    ""Sie (meint die polizeilichen Ermittler) halten auch eine dritte Variante für denkbar: dass es sich bei dem Täter um jemanden mit außergewöhnlichen Manipulationsfähigkeiten handele. Jemand, der sich auf geschickte Art und Weise sensible Informationen erschleichen könne. Ein Beispiel für einen solchen Versuch hatte es im Zusammenhang mit dem NSU 2.0 bereits ganz am Anfang der Drohserie gegeben. ""

    www.zeit.de/gesell...ohbriefe-rassismus

    Bitte jetzt nicht die gleiche allzu häufig schiefen Diskussionen wie am Beispiel der Pandemie, wo die Nichtbeachtung/Ignoranz sachdienlicher Fakteninfos oder schlichtweg Unkenntnis immer häufiger zu im Ergebnis schiefen Diskussionen führen.

    Die Meinung in der TAZ gerade in dieser Angelegenheit ist mir wichtig -



    da in der Analyse dieser Ereignisse sicherlich zukünfig auch abzuleiten ist wie derartige menschenverachtende Bedrohungs - Hass-Postings & Mails mit rassistischen Ansagen verhindert werden können.

    Derzeit bekommen rund 70% der politischen Amts - und Würdenträger



    solche Hass-Postings - eine Tatsache welche die Dringlichkeit in der Aufklärung dieses Falles dick unterstreicht.

    Es kann nicht sein das einige Subjekte mit schiefgewickelkten kackbraunen Gehirnwindungen (der Schoss ist fruchtbar noch) die Atomsphäre durch die Möglichkeiten des Internets



    innerhalb ganzer Staatswesen beeinflussen.

  • Ruhig Blut. Die haben den ja gerade erst festgenommen. Vielleicht war er ein IT'ler und hatte Zugriff oder ein Hacker. Deutsche Behörden sind nicht grade für Datensicherheit bekannt.

  • Der Fakt, dass jemand Datensätze zu Personen abfragen konnte IN einer Polizeibehörde und derjenige entweder nicht ermittelt werden kann, bzw. ohne Konsequenz abstreiten kann, dass er das war ist die größte Farce hier.

    • @Henrik WM:

      Hausmeister, externer IT'ler, Putzkraft, Handwerker, falscher Polizist, Techniker... Hacker, Kabel angezapft...

      So wie ich es verstanden habe, stand der Rechner entsperrt in einem Raum. Es gilt die hier viel beschworene Unschuldsvermutung. Zudem der Erwischte wohl kein Polizist war und das ist erstmal das wichtigste.

      • @Wonneproppen:

        Kennen Sie viele Putzfrauen in Hessen, die Ausländer hassen? Haben Sie aber dagegen nicht gelesen, dass Polizisten in Hessen Nazi Nachrichten per Chat sich schicken? Übrigens nicht nur in Hessen. Ihr Kommentar und Ihr Versucht, die Problemen der hessische Polizei zu verharmlosen sind sehr gefährlich.