Nach Ende des Getreidedeals: Mopeds fliegen auf Odessa zu

Nach dem Ende des Getreidedeals hat Russland die Hafenstadt Odessa angegriffen. Mit knatternden iranischen Drohnen, die „Mopeds“ genannt werden.

Frachtschiff

Bis Montag konnten Getreideschiffe noch ungehindert den Hafen von Odessa verlassen Foto: Serhii Smolientsev/reuters

Nachts, wenn bei den führenden ukrainischen Internetportalen Funkstille herrscht, ist bei Telegram Hochbetrieb. Hier erfährt man fast in Realtime, was passiert und, was noch wichtiger ist, was passieren wird. „Mopeds fliegen Richtung Odessa. Es wird ein bisschen laut werden. – Achtung, auch Richtung Charkiw gesichtet“, meldet der in Mykolajew angesiedelte Telegram-Kanal Nikolajewski Wanjok. Mopeds, das wissen inzwischen alle in der Ukraine, sind die iranischen Drohnen, die sich wie Mopeds anhören, wenn sie angreifen.

Wenig später meldet der Kanal eine Entwarnung: „Odessa, ihr könnt jetzt pissen und schlafen gehen. Der Angriff ist abgewehrt.“ Doch das war zu früh. Kurz darauf meldet der Kanal: „Odessa, vier Raketen kommen vom Meer. Ihr habt noch Zeit für den Weg zum Schutzraum.“ Und dann um 4 Uhr schon leicht panisch: „Odessa, Tschernomorsk, ab in die Bunker! Es wird laut werden.“ Wenige Minuten wieder die Entwarnung: „Odessa, alles fit? Jetzt ist nur noch Charkiw in Gefahr – durch Mopeds. Alle anderen können schlafen und ins Kissen weinen. Euch allen vielen Dank, vor allem aber Danke an die Flugabwehr.“ Wieder ist eine Nacht vorbei, wieder verabschiedet sich der namentlich nicht genannte Moderator eines Telegram-Kanals von seinen LeserInnen.

Am Dienstagmorgen berichtet die ukrainische Luftwaffe auf Telegram von russischen Angriffen auf die Südukraine mit sechs Kalibr-Marschflugkörpern und 36 Shahed-Angriffsdrohnen. Die Kalibr-Raketen wurden angeblich von einem russischen Schiff gestartet, die Shahed-Raketen aus dem Gebiet des Truppenübungsplatzes Chauda auf der Krim. Alle sechs „Kalibr“ habe man zerstört, genauso wie 31 Shahed-136/131-Drohnen und eine Aufklärungsdrohne, so das ukrainische Militär.

Nachts waren Stadt und Hafen in Odessa Ziel

Auffallend an den nächtlichen Angriffen ist, dass Odessa und sein Hafen Ziel war. Dabei habe es sich um einen „massiven Vergeltungsschlag“ gehandelt, teilt das Verteidigungsministerium in Moskau mit. Alle Ziele seien getroffen worden. Am Montag hatte Russland die Ukraine für einen Angriff auf die Krim-Brücke verantwortlich gemacht. Weiter heißt es aus Russland, man habe Odessa mit „Präzisionswaffen“ angegriffen, weil dort unbemannte Boote für den Angriff auf die Krim-Brücke vorbereitet worden seien.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen den starken Angriffen auf Odessa in der Nacht und dem Ende des Getreidedeals am Montagabend, bei dem der Hafen von Odessa eine zentrale Rolle spielt. Im Frühjahr 2022 hatte Russland den Schiffsverkehr der Ukraine zum Erliegen gebracht, was zu weltweiten Lebensmittelengpässen geführt hatte. Im Juli 2022 einigten sich die beiden Länder unter Vermittlung der Türkei auf einen sicheren Getreideexport aus ukrainischen Häfen. Am Montag kündigte Russland den Deal auf.

Die Ukraine will sich mit einem Ende des Getreidedeals nicht abfinden, plant auch ohne russische Mitwirkung, Getreide weiter über seine Schwarzmeerhäfen zu exportieren, sagte Präsident Wolodimir Selenski in seiner abendlichen Videoansprache. Man habe schon zuvor kein Abkommen mit Russland geschlossen. Wohl aber mit der Türkei und den UN. Er habe in einem offiziellen Schreiben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und UN-Generalsekretär António Guterres vorgeschlagen, die Schwarzmeer-Getreide-Initiative oder ein Äquivalent in einem trilateralen Format fortzusetzen.

Russland bezeichnet einen Export von Getreide aus ukrai­ni­schen Schwarzmeerhäfen ohne Sicherheitsgarantien der Führung in Moskau als riskant. Denn die Ukraine nutze diese Gewässer für militärische Aktivitäten, erklärt Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Er reagierte damit auf Vorschläge, dass die Türkei Frachter mit ukrainischem Getreide schützen könnte.

Der in Odessa lebende Blogger Wjatscheslaw Asarow glaubt nicht, dass Russland auf Getreideschiffe schießen würde. Das würde international zu viel Unmut auslösen. Gleichzeitig schließt er auf seinem Telegram-Kanal nicht aus, dass die Russen die Getreideterminals in den Häfen von Odessa zerstören. Für Odessa, so Asarow, sei es nun wichtig, ausreichend Luftabwehrsysteme einsatzbereit zu haben.

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