Nach Attacken auf Rechtsextreme: Sieben gesuchte Linke stellen sich
Seit zwei Jahren waren neun deutsche Linke abgetaucht, die in Budapest Neonazis attackiert haben sollen. Nun haben sich sieben der Polizei gestellt.
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Nach taz-Informationen stellten sich je zwei Gesuchte in Kiel, Bremen und Köln, eine weitere in Hamm. Der Schritt erfolge freiwillig, teilten ihre Anwält*innen mit. Gegen die Vorwürfe wollten sich ihre Mandant*innen in Deutschland verteidigen. In Ungarn, wohin ihnen eine Auslieferung droht, stehe dagegen eine „überlange Haftstrafe von bis zu 24 Jahren“ im Raum, in einem Strafverfahren, das „rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht genügt“. Auch die Haftbedingungen in Ungarn seien „menschenunwürdig“.
Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft wollte sich zu dem Vorgang vorerst nicht äußern. Bereits am Montagabend aber sollten erste Haftvorführungen vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe erfolgen.
Die Gesuchten sind junge Linke, die vor dem Abtauchen in Sachsen und Thüringen lebten, 21 bis 27 Jahre alt. Die Behörden rechnen sie der autonomen Szene zu. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Die Ermittler suchten sie mit einigem Aufwand: Angehörige wurden befragt, Familienfeste beschattet, Telefone abgehört.
Eine Auslieferung nach Ungarn steht für die sieben aber weiter im Raum. Eine zehnte gesuchte Person, die nonbinäre Thüringer*in Maja T., die bereits im Dezember 2023 in Berlin gefasst wurde, war nach einer Entscheidung des Berliner Kammergerichts bereits im Juni in einer nächtlichen Blitzaktion nach Ungarn ausgeliefert worden – ohne die Entscheidung über eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht abzuwarten. Das untersagte eine Auslieferung später tatsächlich. Da war Maja T. aber schon in Ungarn.
Bundesanwaltschaft lehnte Gespräche ab
Die anderen Gesuchten hatten sich bereits vor Monaten an die Bundesanwaltschaft gewandt und angeboten, sich zu stellen, sollte ihnen zugesichert werden, nicht nach Ungarn ausgeliefert zu werden. Laut ihren Anwält*innen hatte die Bundesanwaltschaft ein Gespräch darüber wiederholt abgelehnt. Die Behörde mache deutlich, „dass sie die abschreckende Wirkung jahrelanger Untersuchungshaft in Ungarn und maßloser ungarischer Verurteilungen will“, kritisierten sie am Montag. Sie habe „jegliches Augenmaß verloren“. Nun stellen sich die Gesuchten trotzdem. Zwei der Gesuchten bleiben dagegen weiter abgetaucht.
Auf einer Pressekonferenz in Berlin erklärten drei Mütter der bisher Gesuchten, dass sich ihre Kinder stellten, zeige „ihren Willen zur Deeskalation“. Dies widerlege auch Vorwürfe, dass eine „Radikalisierung im Untergrund“ stattfinde – wie es etwa Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) behauptet hatte. Man habe von dem Schritt erst über die Anwält*innen erfahren und sei sowohl erleichtert als auch in Sorge. Sie erwarteten nun, dass es zu keiner Auslieferung nach Ungarn komme und setzten auf faire Verfahren in Deutschland, so die Mütter. Auch eine Untersuchungshaft sei zu unterlassen, da keine Fluchtgefahr bestehe. Dass zwei der Gesuchten sich nicht stellten, sei „angesichts der fehlenden Zusicherung für ein Verfahren in Deutschland nicht verwunderlich“.
Ein Unterstützer*innen-Bündnis der Gesuchten erklärte, der Schritt, sich zu stellen, sei „weder als Schwäche der Beschuldigten noch als Kapitulation vor den Ermittlungsbehörden zu verstehen“. Auch die Entscheidung „in den Knast zu gehen, kann eine politische sein“. Man drücke weiter „vollste Solidarität“ aus.
Der frühere Linksparteichef und Europaabgeordnete Martin Schirdewan forderte, deutsche Behörden müssten nun zusichern, dass es keine Auslieferungen nach Budapest geben wird. Rechtstaatliche Verfahren für deutsche Antifaschisten könnten nicht in Ungarn stattfinden. Es brauche einen europaweiten Auslieferungsstopp in das von Viktor Orbán autoritär geführte Ungarn und eine Rücküberstellung von Maja T. nach Deutschland. Auch der Grünen-Rechtspolitiker Helge Limburg sagte der taz, „das skandalöse Vorgehen um die Auslieferung von Maja darf sich nicht wiederholen“. In Ungarn sei kein faires Verfahren garantiert, wie etwa ein ihm verweigerter Haftbesuch zeige.
Die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuß, aus deren Bundesland einige der Gesuchten kommen, forderte ebenso die deutschen Behörden auf, „alle Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass erneut Antifaschist*innen aus Deutschland nach Ungarn ausgeliefert werden“. Mit der Selbststellung der Gesuchten müsse diesen ein Verfahren in Deutschland ermöglicht werden. In Ungarn seien ein rechtstaatliches Verfahren und menschenwürdige Haftbedingungen nicht gewährleistet.
Im Fall Maja T. hatte zuletzt eine Budapester Staatsanwaltschaft Anklage vorgelegt: Laut den Verteidigern drohen T. bereits im Falle eines Geständnisses 14 Jahre Haft – ansonsten noch weit mehr. Eine erste Anhörung von Maja T. soll nun am 21. Februar in Budapest stattfinden. Danach wird über den weiteren Prozessverlauf entschieden. Die Anwälte von Maja T. hatten die Strafandrohung als völlig überzogen kritisiert und auch von katastrophalen Haftbedingungen berichtet. Hygiene und Verpflegung seien schlecht, bis heute bestehe Isolationshaft.
Bereits vor Ort in Budapest waren im Februar 2023 zwei Berliner*innen gefasst worden, Anna M. und Tobias E., sowie eine Ungarin und die Italienerin Illaria Salis, die inzwischen ins Europaparlament gewählt wurde. Tobias E. hatte ein Geständnis abgelegt, auf eine Beweisaufnahme verzichtet und war zu drei Jahren Haft verurteilt worden, die zuletzt auf ein Jahr und zehn Monate abgesenkt wurden. Er war im Dezember nach Deutschland ausgeliefert worden und wurde hier erneut festgenommen, weil die Bundesanwaltschaft weitere Vorwürfe gegen ihn erhebt. Gegen Anna M. läuft ein Prozess in Budapest. Gegen Illaria Salis ist dieser wegen ihres Mandats im Europaparlament ausgesetzt.
Im Mai 2024 folgte dann die Festnahme der Nürnbergerin Hanna S. – sie gehörte nicht zu den anfangs Gesuchten, war von Ermittler*innen erst später identifiziert worden. Die ungarischen Behörden hatten sie deshalb auch nicht gesucht und auch später keine Auslieferung beantragt. Gegen Hanna S. wird ab Februar in München verhandelt, die Anklage führt die Bundesanwaltschaft – die hier auch den Vorwurf des versuchten Mordes erhebt.
Im November folgte schließlich die Festnahme von Johann G. in Thüringen. Auch er soll in Budapest dabei gewesen sein. Ermittler*innen sehen in ihm aber auch den Anführer einer Gruppe um die Leipzigerin Lina E., die mehrere Angriffe auf Rechtsextreme in Thüringen und Sachsen verübt haben soll. Lina E., die frühere Partnerin von Johann G., und drei Mitangeklagte waren im Mai 2023 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Johann G. war da bereits länger flüchtig. Ob auch ihm eine Auslieferung nach Ungarn droht, ist offen.
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