NSU-Archiv der Ampel verzögert sich: Verschleppte Akteneinsicht
Die Ampel versprach ein NSU-Dokumentationszentrum und Rechtsterror-Archiv. Dafür aber fehlt bis heute Geld. Grüne und Initiativen machen nun Druck.
Es war ein festes Versprechen der Ampel: Man werde die weitere Aufarbeitung des NSU-Komplexes „energisch vorantreiben“, schrieben SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag im Dezember 2021. Dafür werde man ein Archiv zu Rechtsterrorismus sowie einen Erinnerungsort und ein Dokumentationszentrum für die Opfer des NSU auf den Weg bringen. Nur: Finanzmittel fehlen für die Projekte auch anderthalb Jahre später.
Der „Nationalsozialistische Untergrund“ hatte von 2000 bis 2007 zehn Menschen ermordet und drei Anschläge verübt. Das Motiv blieb lange ungeklärt, erst 2011 enttarnten sich die Rechtsterroristen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach einem gescheiterten Bankraub. Trotz mehrerer Untersuchungsausschüsse, zuletzt in Bayern, sind zu der Terrorserie bis heute zentrale Fragen ungeklärt. Gleiches gilt auch für andere rechtsextreme Anschläge vom Oktoberfestattentat bis Hanau.
Mit dem Archiv, dem Dokumentationszentrum und dem Erinnerungsort will die Ampel die Aufarbeitung fortsetzen. Für das Archiv ist Bundeskulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) zuständig. Im November und April berief sie dafür je ein Treffen verschiedener Ministerien und Länder ein, am ersten nahm auch Jürgen Bacia für das Afas teil. Das Ergebnis der Beratungen: Statt eines analogen Archivs wolle man ein virtuelles Archiv aufbauen, angesiedelt beim „Archivportal-D“, einem Angebot der Deutschen Digitalen Bibliothek. Dort sollen alle staatlichen, zivilgesellschaftlichen und journalistischen Unterlagen zum NSU und anderen rechtsterroristischen Gruppen digital eingestellt werden.
Fehlende Gelder, gesperrte Akten
Das Portal soll laut Roths Sprecherin im November 2024 „eröffnet“ und „laienverständlich kontextualisiert“ werden. Die Akten sollen dann „sukzessive“ in das Archiv aufgenommen werden. Für ein analoges Archiv seien die gesetzlichen Hürden zu hoch, da amtliche Akten in den Landes- oder Bundesarchiven aufbewahrt werden müssten, so die Sprecherin. Zudem lasse sich ein virtuelles Archiv „wesentlich schneller und kostengünstiger umsetzen“. Mittelfristig sei mit Kosten von bis zu 2 Millionen Euro jährlich zu rechnen.
Allerdings sind im Haushalt für 2024 keinerlei Gelder für das Archiv eingestellt. „Der Stand der Konzeptionierung hat noch keine Veranschlagung im Bundeshaushalt ermöglicht“, heißt es dazu aus dem Haus von Claudia Roth.
Jürgen Bacia hält das für ein Unding. „Wenn das Rechtsterror-Archiv wirklich 2024 starten soll, braucht es dafür endlich Gelder. Bisher ist es eine Luftnummer. Mir ist langsam schleierhaft, wie der Zeitplan zu schaffen sein soll. “
In einer internen Projektskizze des Bundesarchivs zu dem Archiv wird noch ein anderes Problem eingeräumt: Gerade im Fall des NSU seien Akten, die von Behörden oder Nachrichtendiensten erstellt wurden, „zu einem großen Teil“ nicht Archiven übergeben worden. Einige würde noch bis zu 30-jährigen Sperrfristen unterliegen. „Eine bedingungslose, allgemeine Zugänglichkeit wird in absehbarer Zeit nicht erreicht werden“, wird eingeräumt. Auch deshalb sei die Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Perspektiven „zwingend erforderlich“ – etwa über Projekte wie das Afas, das als „Auffangarchiv“ fungieren könne.
Jürgen Bacia hätte nichts dagegen. Das 1985 gegründete Archiv sei das größte seiner Art. Inhaltlich seien die Antifa-Archive bestens aufgestellt, man könne gerne vermitteln, so Bacia. Bereits im Oktober wolle man ein Treffen mit einigen Antifa-Archiven veranstalten, um zu schauen, was man für ein Bundesarchiv beisteuern könne.
Antifa-Archive sind skeptisch
Von dort kommt jedoch auch Kritik. So beklagt etwa das Berliner apabiz, dass das Bundesarchiv erst kürzlich Kontakt zu ihnen aufnahm. Das Recherchenetzwerk NSU Watch erklärt, es sei bisher gänzlich außen vor. „Das stärkt unsere Zweifel, ob es in dem geplanten Bundesarchiv auch um Fragen von institutionellem Rassismus und staatlicher Verantwortung für rechten Terror gehen soll“, so Sprecherin Caro Keller zur taz. „Das aber wäre zwingend notwendig.“ Unklar sei auch, wie die Betroffenen des Terrors einbezogen werden sollen. „Eine rein staatliche Sicht auf rechten Terror ist mit uns nicht zu haben“, stellt Keller klar.
Und auch die anderen Projekte kommen nur schleppend voran. Für das NSU-Dokumentationszentrum wiederum ist das Bundesinnenministerium von Nancy Faeser (SPD) verantwortlich. Dort gab es bisher zumindest Geld für drei Gutachten, die zuletzt bei der Bundeszentrale für politische Bildung in Auftrag gegeben wurden: eine Bestandsaufnahme zur bisherigen NSU-Aufarbeitung und Einbindung der Betroffenen, eines zu möglichen Trägermodellen für das Zentrum und eines zu seiner konkreten Ausgestaltung. Die Gutachten liegen inzwischen vor und werden im Innenministerium ausgewertet.
Ein Ort für das Zentrum sei noch offen, sagte ein Sprecher des Innenministeriums der taz. Bei den Trägern hielten die Gutachten vier Modelle für möglich, in privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Form. Darüber entschieden werde voraussichtlich im Herbst. Gelder im kommenden Haushalt sind aber auch für das Dokumentationszentrum bisher nicht eingeplant. Auch hier heißt es aus dem Innenministerium: Da die konkrete Ausgestaltung noch offen sei, „können noch keine Haushaltsmittel beziffert“ werden.
Die mitregierenden Grünen kritisieren das. „Die Aufarbeitung von rechter Gewalt wird unserer historischen Verantwortung bislang nicht gerecht“, sagt Grünen-Innenpolitikerin Misbah Khan zur taz. Die Ampel sei mit dem Ziel angetreten, „sich kritischer als bisher mit rechten Gewalttaten auseinandersetzen und den Schutz von Betroffenen rechter Gewalt klar zu priorisieren“. Gerade die Aufarbeitung des NSU-Terrors sei „eine offene Wunde“. Auch Khan fordert deshalb Haushaltsgelder ein: Mit dem Archiv und dem Dokumentationszentrum stünden zwei Projekte in den Startlöchern, „die es nun zeitnah und mit ausreichenden finanziellen Mitteln umzusetzen gilt“.
Projekte auch in Thüringen und Sachsen
Parallel wird auch in den Ländern an NSU-Archiven oder Dokumentationszentren gearbeitet. Thüringen hatte schon 2017 eine Erinnerungsstätte für die Terroropfer beschlossen, später auch ein NSU-Archiv. Bezüglich einer Zusammenarbeit mit dem Bund befinde man sich „aktiv“ in Beratungen, so eine Sprecherin der Thüringer Landesregierung.
In Sachsen wiederum veröffentlichte der Verein Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) im Mai eine Machbarkeitsstudie für ein NSU-Dokumentationszentrum, gefördert vom sächsischen Justizministerium. Das RAA schlägt dafür zwei Standorte vor, in Chemnitz und Zwickau, beides Untertauchorte des NSU. Mit Ausstellungen, Veranstaltungen und ebenfalls einem Archiv soll dort Wissen über den NSU-Komplex vermittelt werden. Der Fokus soll auf den Betroffenen des Terrors liegen. Der Verein veranschlagt für das Projekt 42 Stellen und Baukosten von bis zu 36 Millionen Euro.
Das Bundesinnenministerium ließ offen, ob dieser Vorschlag auch für das Bundes-Dokumentationszentrum infrage kommt. Eine Sprecherin verwies nur auf die noch ausstehende Entscheidung zur Standortwahl.
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