NRW-Innenminister zu Hambach: „Es läuft besser als gedacht“
NRW-Innenminister Herbert Reul bilanziert die Räumung des Waldes. Es geht um Fäkalienwürfe, Tunnelsysteme und die Frage, wie gewaltfrei der Protest ist.
taz: Herr Reul, die Räumung des Hambacher Walds läuft weitgehend friedlich…
Herbert Reul: Wenn man friedlich nennt, dass Steine fliegen, dass Polizisten mit Fäkalien übergossen werden! Friedlich ist das für mich nicht, aber der Einsatz läuft besser als gedacht.
Dabei haben Sie immer wieder gewarnt, die Waldbesetzer in ihren Baumhäusern seien ‚Kriminelle‘ oder ‚Linksterroristen‘. Warum lagen Sie so falsch?
Ich habe seit Wochen deutlich gemacht, dass es in Hambach drei Gruppen gibt: Erstens die, die ernsthaft diskutieren und sich an Recht und Gesetz halten. Das ist die größte Gruppe. Und um es klar zu sagen: Diese Menschen haben jedes Recht, für ihr politisches Anliegen zu demonstrieren. Derartige Versammlungen werden von der Polizei nicht verhindert, sondern sogar geschützt. Dann gibt es aber auch Leute aus dem linksradikalen Spektrum, die Sachbeschädigungen in Kauf nehmen – und eine kleine Gruppe, etwa 70 bis 100 Leute, die gewalttätig, die kriminell sind. Daran halte ich fest.
Klimaschützer halten dagegen Sie für einen radikalen Braunkohle-Unterstützer, der mit unsauberen Argumenten arbeitet: Sie haben Waffen wie Messer und Äxte präsentiert, die aus dem Hambacher Wald stammen sollen – ohne klar zu machen, dass der Großteil davon schon seit Jahren in den Asservatenkammern der Polizei lag. Warum?
Das ist nicht richtig. Wir haben bei diesem Pressetermin eindeutig darauf hingewiesen, dass es sich um Waffen aus der Vergangenheit handelt. Wir wollten zeigen, was im Hambacher Forst alles eingesetzt wurde und wird. Die bei der letzten Durchsuchung beschlagnahmten Waffen konnten wir gar nicht zeigen – denn die waren natürlich noch bei der Staatsanwaltschaft. Und was das Tunnelsystem angeht…
…aus den Sicherheitsbehörden wurde das Gerücht geleakt, unter dem Hambacher Wald gebe es ein Tunnelsystem wie im Vietnamkrieg.
Ich weiß nicht, wer das gesagt hat. Die Quelle ist ja auch nur anonym zitiert worden. Es war jedenfalls kein offizieller Sprecher der Polizei oder meines Ministeriums. Das mit dem System wie im Vietnamkrieg ist im Übrigen auch großer Unfug. Damals gab es aber normale Tunnel. Und da habe ich doch die Pflicht, dafür zu sorgen, dass meine Polizisten wissen, welchen Gefahren sie ausgesetzt sein können. Deshalb haben wir Fakten und Informationen aus der Vergangenheit benutzt, um die Beamten zu schulen.
ist Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.
Es gab also diese Warnungen vor einem Tunnelsystem nach Art des Vietcong?
Nein. Wir haben lediglich darauf hingewiesen, dass die Polizei bei früheren Einsätzen im Hambacher Forst auf Tunnel gestoßen ist. Und bei der laufenden Räumung sind tatsächlich auch größere Erdlöcher mit seitlichen Abzweigungen entdeckt worden. Wenn Sie so wollen, also auch Tunnel. Die waren teilweise mannshoch. Allerdings: Die Presse hat daraus ein weit verzweigtes Tunnelsystem gemacht – und das gab es nicht.
Über dieses angebliche ‚Tunnelsystem wie in Vietnam‘ hat zuerst die konservative, seriöse Rheinische Post berichtet. Wer von Ihren Mitarbeitern hat ein Interesse daran, mit falschen Gerüchten Hass und Wut zu schüren?
Niemand von uns hat von einem Tunnelsystem gesprochen. Aber: Auf dem besetzten Gelände hingen Plakate mit der Aufschrift ‚Kill the cop‘ – also ‚Tötet Polizisten‘. Das ist doch nicht normal! Nach dem tödlichen Sturz eines Journalisten aus großer Höhe habe ich die Räumung unterbrechen lassen, weil ich hoffte, dass die Baumhausbewohner nachdenklich werden und ihren Widerstand aufgeben. Leider hat das nur ein Teil getan. Andere haben stattdessen Barrikadengebaut, sogar auf Rettungswegen. Selbst Demonstranten aus dem bürgerlichen Spektrum haben sich zu tausenden nicht an die Anweisungen der Polizei gehalten und sind in den Wald gelaufen. Und manche von ihnen haben sich sogar am Barrikadenbau der Linksradikalen beteiligt. Das ist doch wohl nicht angemessen!
Zeigt das nicht, wie wichtig vielen Menschen gewaltfreier Protest ist?
Gewaltfrei? Allein die Angriffe auf Polizisten mit Fäkalien sind eine Ungeheuerlichkeit! Natürlich sterben die Beamten davon nicht, trotzdem spricht daraus eine unglaubliche Menschenverachtung. Reden Sie einmal mit den Beamten vor Ort. Und da soll ich mich rechtfertigen, wenn ich die eingesetzten Kräfte vor Gefahren warne?
Ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, die Abholzung sei unzulässig, weil für den Weiterbetrieb des Braunkohle-Tagebaus Hambach nicht unerlässlich. Macht Sie das nicht nachdenklich?
Das müssen die Gerichte klären. Ich entscheide nicht darüber, ob der Wald abgeholzt wird oder nicht. Ich sorge nur dafür, dass bei der Räumung der Häuser, die widerrechtlich errichtet wurden und gefährlich sind, Recht und Gesetz eingehalten wird.
Und dazu benutzen Sie das Argument, bei den vor Jahren gebauten Baumhäusern seien plötzlich Brandschutz-Mängel entdeckt worden?
Nicht erst der Tod des Journalisten in der vergangenen Woche hat gezeigt: Ja, die Häuser sind gefährlich und das schon seit Jahren. Deshalb hat das Oberverwaltungsgericht Münster die Räumung der Häuser auch für rechtmäßig erklärt. Schon die bis 2017 regierende rot-grüne Vorgängerregierung hätte die Räumung veranlassen müssen. Die hatten einfach Glück, dass nichts passiert ist. Übrigens: Nicht ich, sondern SPD und Grüne haben den geltenden Braunkohle-Rahmenplan beschlossen, der die Rodung des Hambacher Forsts vorsieht. Ich war zu dieser Zeit überhaupt nicht Mitglied des Landtags.
Aber Sie machen mit der Räumung den Weg für die Rodung frei. Deshalb haben viele den Eindruck, der Gewinn von RWE sei wichtiger als der von ihrer Kanzlerin versprochene Klimaschutz.
Ich kenne den Vorwurf, verstehe ihn aber nicht. Aktuell wird doch überhaupt nicht gerodet! Gegenfrage: Wenn ich beim Besuch des türkischen Präsidenten Erdoğan Polizisten nach Köln schicke, vertrete ich dann die Interessen der türkischen Regierung? Oder die der kurdischen Gegendemonstranten? Der Staat hat nun einmal die Aufgabe, Recht und Gesetz durchzusetzen und für Sicherheit zu sorgen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut