NGO-Mitarbeiterin zur Arbeit in Russland: „Sehe alles sehr pessimistisch“
Russland will die Heinrich-Böll-Stiftung für „unerwünscht“ erklären. Das hätte weitreichende Folgen, sagt Stefanie Harter, die das Moskauer Büro leitet.
taz: Frau Harter, der Chef des Duma-Ausschusses zur Bekämpfung der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Russlands, Wassili Piskarjow, will die Heinrich-Böll-Stiftung sowie 13 weitere Nichtregierungsorganisationen für „unerwünscht“ erklären. Wenn die Justiz dem folgt, was bedeutet das?
Stefanie Harter: Das bedeutet den Rauswurf aus Russland. Außerdem machen sich sämtliche russische Staatsbürger*innen, die dann noch mit uns zu tun haben, strafbar. Das gilt auch dann, wenn sie zum Beispiel an einer Konferenz in Berlin teilnehmen würden.
Kam dieser Schritt unerwartet?
Einen entsprechenden Vorstoß von Piskarjow gab es bereits im Mai vergangenen Jahres. Da waren auch andere deutsche Organisationen, wie der Deutsch-Russische Austausch, betroffen. Aber in unserem Fall konnte damals das Schlimmste abgewendet werden. Allerdings wurde von da an in den russischen Staatsmedien diese Forderung mehrmals wiederholt.
54, ist promovierte Volkswirtin und seit September Leiterin des Moskauer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Von 2003 an arbeitete sie mehrere Jahre für die Europäische Kommission.
Wie hat die Heinrich-Böll-Stiftung unter diesen Bedingungen denn überhaupt weiter gearbeitet?
Wir sind praktisch zweigleisig gefahren. Einerseits haben wir unsere inhaltliche Arbeit, wie beispielsweise die Beschäftigung mit Umweltthemen und die Kooperation mit der Menschenrechtsorganisation Memorial, fortgesetzt. Andererseits haben wir in Moskau bereits angefangen aufzuräumen und uns Gedanken über einen Plan B gemacht.
Wie sieht der Plan B denn aus?
Wir wollen mit unseren russischen Partner*innen weiterarbeiten, aber sie selbst müssen entscheiden, ob sie dieses Risiko eingehen wollen. Auch die Kontakte zu denjenigen, die Russland aus politischen Gründen verlassen haben und jetzt im Kaukasus oder den baltischen Staaten leben, wollen wir aufrechterhalten. Wir werden versuchen, auch in Russland weiterzuwirken.
Wie soll das funktionieren?
Es gibt ja unter anderem eine ganze Reihe von digitalen Instrumenten. Da setze ich ganz auf die Kreativität unserer russischen Mitarbeiter*innen.
Derzeit werden in Russland ja fast jeden Tag eine Nichtregierungsorganisation kalt gestellt oder Personen zu „ausländischen Agenten“ erklärt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung generell?
Ich sehe das alles sehr pessimistisch. Je länger der Krieg gegen die Ukraine dauert, desto repressiver agiert das Regime. Wir erleben gerade den Rückfall in einen Glaubensmodus, der von Nationalismus und Militarismus geprägt ist. Der Wertekanon der Gesellschaft verengt sich immer weiter. Und diese Entwicklung verstetigt sich.
Hätten der Westen oder Organisationen wie die Heinrich-Böll-Stiftung etwas anders machen können, um dem etwas entgegenzusetzen?
Ich erinnere mich noch gut, als damals über eine mögliche Visafreiheit für Russland diskutiert wurde. Da wurde bereits klar, wie groß die Missverständnisse auf beiden Seiten waren. Insgesamt hätte die Politik des Westens konsequenter und kohärenter sein müssen, zum Beispiel nach dem georgisch-russischen Krieg 2008. Was uns angeht, so glaube ich nicht, dass wir viel anderes hätten machen können. Die Kraft, um etwas zu verändern, muss aus der russischen Gesellschaft selbst kommen.
Was sollte denn jetzt getan werden?
Die russische Zivilgesellschaft muss weiter unterstützt werden. Da fallen mir auf Anhieb Aufenthaltstitel für russische Aktivist*innen in Deutschland ein, die sich für eine ökologische Modernisierung, Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Diese Entscheidungen müssen schneller getroffen werden. Bislang scheint ja die Angst vor dem Rechnungshof immer noch größer zu sein, als vor dem Kollaps der europäischen Sicherheitsordnung.
Wie geht es Ihnen persönlich mit dieser Situation?
Ich bin wahnsinnig enttäuscht. Ich war 1986 zum ersten Mal in der Sowjetunion, habe dort viele Jahre lang gelebt und gearbeitet. Diesen Niedergang mitzuerleben, ist für mich sehr schmerzhaft.
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