Mythos Superhelden: Helden mit überflüssigen Kräften
Schon im Jahr 1938 landete Superman auf einem Titelcover. Bis heute widmen sich Comics, Graphic Novels, Romane und Ausstellungen dem Superheldenmythos.
Inhaltsverzeichnis
Nanu? Superman steckt zur Hälfte in der Wand, die Beine hängen in der Luft, und ein Rinnsal Blut fließt herab. Diesmal hat er sich in seiner Flugbahn wohl etwas verkalkuliert …
Die Plastik „Superman“ von Patricia Waller entstand im Rahmen ihrer Serie „Broken Heroes“ und ist ganz aus Wolle. Sie ist einer der Höhepunkte der „Superheroes“-Schau im Düsseldorfer NRW-Forum. Die Ausstellung beleuchtet die Geschichte und Vielfalt des Comicgenres, das zuletzt durch die zahlreichen Blockbuster-Verfilmungen aus Hollywood einen neuen Schub an Popularität erfuhr.
1938 erschien mit „Action Comics 1“ das erste Comicheft, in dem Superman auftrat. Es war der Beginn einer neuen Jugendkultur. Übernatürliche Kräfte oder Fähigkeiten sind Kennzeichen der Helden, die meist ein Doppelleben zwischen ihrer öffentlichen Identität als maskierter/kostümierter Kämpfer für das Gute und der „Secret Identity“ ihrer bürgerlichen Existenz führen.
Mehrere Neuerscheinungen nähern sich diesem Phänomen, auf sehr unterschiedliche Weise und mit originellen Ansätzen.
Der italienische Comiczeichner Alessandro Tota („Der Bücherdieb“, 2018) interessiert sich dafür, wie plötzlich in den USA eine Comicindustrie entstand, und legt mit „Die große Illusion“ den ersten Teil seiner zweibändigen Graphic Novel vor. Der Untertitel „New York, 1938“ verweist auf das Geburtsjahr des amerikanischen Superheldenmythos. Erzählt wird die Geschichte von Diana Morgan, einer unscheinbaren jungen Frau aus dem ländlichen Kansas, die gerne Pulp-Romane schreiben möchte, wie ihr Idol, der (fiktive) Schriftsteller Robert Miller.
Das erste Comicheft mit Superman auf dem Cover
Als sie 1938 in New York ankommt, nennt sie sich Roberta Miller, hat aber zunächst Probleme, eine Arbeit zu finden. Sie lernt die linke Boheme kennen, Künstler und Zeitungsleute, doch verdienen kann sie in diesen Kreisen wenig. Einzig der windige Comiczeichner Frank Battarelli macht ihr ein Angebot: Als Autorin könnte sie für ihn Comicszenarios schreiben, die er dann in Bilder umsetzt. Da erscheint das erste Comicheft mit Superman auf dem Cover, das sich viel besser verkauft als andere Hefte! Roberta erfindet eigene Helden wie „Ghostwriter“, ein lebendes Skelett oder die Pin-up-Amazone „Arachna“ und hat plötzlich Erfolg.
Dem 1982 geborenen Zeichner Alessandro Tota gelingt ein stimmungsvoller und glaubwürdiger Auftakt seiner episch angelegten Comichistorie, in der er am Rande bekannte Größen der Szene auftreten lässt wie Batman-Schöpfer Bob Kane oder Will Eisner, den späteren Erfinder der Graphic Novel. Der Schriftsteller Eugene O’Neill und der Fotograf Weegee vervollständigen das Bild einer Kulturmetropole. Die damalige politische Wirklichkeit der USA wird dabei nicht ignoriert: Kommunisten sind verdächtig und gehören bei Demonstrationen niedergeknüppelt!
Alessandro Tota: „Die große Illusion 1: New York, 1938.“ Aus dem Italienischen von Myriam Alfano. Reprodukt Verlag, Berlin 2024, 248 Seiten, 29 Euro
Marc-Uwe Kling, Jan Cronauer, Florian Biege: „Normal und die Zero Heroes. Band 1“. Rowohlt, Hamburg 2024, 208 Seiten, 25 Euro
Pascal Jousselin: „Unschlagbar! – Der Schuber“. Aus dem Französischen von Marcel Le Comte. Carlsen Verlag, Hamburg 2024, 142 Seiten, 59 Euro
Anna Burns: „Größtenteils heldenhaft“. Aus dem Englischen von Anna-Nina Kroll. Tropen Verlag, Stuttgart 2024, 128 Seiten, 20 Euro
Die Ausstellung Superheroes: bis 11. Mai 2025, NRW-Forum Düsseldorf
Die harte, urbane Realität (in oft stimmungsvollen nächtlichen Szenen mit Art-Déco-Touch) und Dianas Traumwelt greifen dabei oft ineinander. Mit der am Anfang unscheinbaren, schüchternen Diana alias Roberta hat Tota zudem eine facettenreiche weibliche Heldin geschaffen, die im Lauf der Geschichte an Selbstbewusstsein gewinnt und bemerkt, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Ein wenig erinnert ihre Figur an die Schriftstellerin Patricia Highsmith, die zu Beginn ihrer Karriere ebenfalls Comicszenarios schrieb.
Die Autoren Marc-Uwe Kling und Jan Cronauer setzen wiederum ganz auf das Genre und haben zusammen mit Comiczeichner Florian Biege eine Parodie auf den Superhelden-Hype geschaffen: „Normal und die Zero Heroes“. Der bei Rowohlt erschienene Band ist ebenfalls Auftakt zu einer zweiteiligen Geschichte. In einer Welt, in der jeder Mensch über Superkräfte verfügt, ist der Protagonist namens „Normal“ der einzige ohne. Er arbeitet in der Notrufzentrale und versucht, Superhelden in Notsituationen zu helfen. Eines Tages taucht ein Superschurke auf, der den Helden die Kräfte entzieht. Nun schlägt die Stunde für Normal und die „Zero Heroes“, Helden mit überflüssigen Kräften, die Welt zu retten.
Die unsichtbare Bürokollegin
Die Autoren zünden ein Feuerwerk an Slapsticks. Auf jeder Seite werden absurde Superkräfte entfaltet, die zum Lachen anregen – etwa wenn eine Bürokollegin Normals sich immer dann unsichtbar macht, wenn Arbeit ansteht. Zeichner Florian Biege packt seine in flottem Cartoonstil gehaltenen Panels obendrein mit vielen Einfällen voll. „Normal und die Superheroes“ ist ein heißer Anwärter auf die „ultimative Superheldenparodie“.
Gäbe es nicht die Konkurrenz von „Unschlagbar“. So nennt sich der Protagonist aus der Feder des Franzosen Pascal Jousselin, der seit 2017 mittlerweile drei Alben gefüllt hat. Die Gesamtausgabe liegt nun im Hamburger Carlsen Verlag vor. Der Titelheld mit schwarzer Maske und gelbem Shirt wirkt wenig heroisch, ist er doch klein und pummelig. In ein- und mehrseitigen Comics trifft Unschlagbar im beschaulichen „Großstadt“ auf Leute, die Hilfe benötigen, oder gewiefte Verbrecher.
Zeichner Jousselin hat ihm eine Gabe ersonnen, die seine Abenteuer zum Metacomic machen: Er kann die ganze Comicseite überblicken und sowohl in kommende wie in zurückliegende Panels springen. Entdeckt er etwa einen kleinen Hund, der einen Bilderstreifen tiefer platt gewalzt zu werden droht, hechtet Unschlagbar einfach in das entsprechende Panel, um den Hund herauszuziehen. In einer anderen Geschichte nutzt ein Opa seine Sprechblasen als Waffe gegen den Bürgermeister, um den Boule-Platz gegen moderne Bauvorhaben zu verteidigen. So begegnen Unschlagbar auch andere Menschen mit überraschenden Superkräften, wie der an Batmans Joker erinnernde „Scherzkeks“, der durch Wände spaziert.
Die unschlagbar komische Reihe ist zwar für Kinder konzipiert, aber durch die lebensnahen, leicht schräg angelegten Charaktere und die Metaebene auch für Erwachsene vergnüglich. Durch die unaufgeregte Erzählweise und den pointiert karikierenden Zeichenstil bietet sie ein erfrischendes Gegengewicht zu den Mainstream-Helden der US-Hefte und Blockbuster-Filme.
Superheldenmythos bis heute
Auch die aus Nordirland stammende Romanautorin Anna Burns, Man-Booker-Preis-Trägerin von 2018 (für ihren Roman „Milchmann“), erweist dem Genre eine hemmungslose Hommage. In ihrem neuen Roman „Größtenteils heldenhaft“ tragen die Personen keine Eigennamen, sie nennen sich „Held“, „Femme“ oder „Tante“. Es geht um Femme (Fatale), die mit Held liiert ist.
Doch der ist immerzu damit beschäftigt, die Welt zu retten. Zudem wurde sie von den „Superschurken von Downtown Eastside“ hypnotisiert, damit sie Mordanschläge auf Held verübt, ohne es selbst mitzubekommen. Held hat aber noch ein weiteres Problem: Hinter der scheinbar harmlos strickenden Fassade von Femmes „Tantchen“ verbirgt sich die gerissenste Superschurkin von allen. Sie hat Helds ganzen Stammbaum auf dem Gewissen.
Anna Burns dekonstruiert durch beißende Ironie den Superheldenmythos und lässt sich zugleich von dessen Topoi inspirieren. Sie nimmt die innere Logik der Super-Erzählkonstrukte ernst und treibt sie auf die Spitze. Auf der zweiten Ebene ist ihre Geschichte auch ein literarisches Spiel mit überlebten Heldenvorstellungen wie auch eine Fabel über Paarbeziehungskomplikationen. „Größtenteils heldenhaft“ lebt zudem von der Sprache, von der Lust an überlangen Schachtelsätzen, die ihre eigene Komik entfalten. Anna-Nina Kroll hat Burns’ rasante Hochgeschwindigkeitsprosa, die angelsächsische Vorstadt-Gangster-Sprache mit verwebt, kongenial ins Deutsche übertragen.
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