Mutmaßliche 9/11-Terroristen: Lloyd Austin kassiert Abkommen ein

Ein Schuldeingeständnis hätte ihnen die Todesstrafe erspart. Doch der US-Verteidigungsminister widerrief den Deal mit drei Guantánamo-Häftlingen.

Stacheldraht auf einem Zaun, dahinter weht eine US-Flagge

Im umstrittenen US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba sind noch immer knapp 30 Personen inhaftiert Foto: Maren Hennemuth/dpa

WASHINGTON taz | US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat ein vorgerichtliches Abkommen, welches die Militärkommission am Mittwoch mit drei mutmaßlichen 9/11-Terroristen getroffen hatte, wieder aufgelöst. Dies verkündete der 70-Jährige am Freitagabend (Ortszeit) in einer Notiz an die Vorsitzende der Kommission, Susan Escallier.

„Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass angesichts ihrer Bedeutung die Entscheidung, mit den Angeklagten […] eine vorprozessuale Vereinbarung zu treffen, gemäß dem Military Commissions Act von 2009, bei mir liegen sollte“, erklärte Lloyd in einem kurzen Schreiben an Escallier.

Die drei Abkommen, die von Militärstaatsanwälten ausgehandelt und von Escallier abgesegnet wurden, sind laut Lloyd somit unwirksam. Gleichzeitig entzog er Escallier die Autorität, im Fall gegen die fünf mutmaßlichen Architekten der Terror-Anschläge vom 11. September 2001 weitere vorgerichtliche Vereinbarungen zu treffen. Diese Möglichkeit liege in Zukunft allein bei ihm.

Die Entscheidung, das Abkommen nur etwas mehr als 48 Stunden nach dessen offizieller Bekanntgabe zurückzuziehen, kam völlig überraschend und zeigt, wie heikel das Thema in den USA auch fast 24 Jahre nach den Anschlägen noch immer ist.

Unter der zunächst vereinbarten Abmachung wäre den drei Angeklagten die Todesstrafe erspart geblieben. Laut US-Medien hätten sie allerdings ein Schuldeingeständnis unterzeichnen müssen.

Die drei Angeklagten befinden sich seit 2006 im Gefangenenlager auf dem US-Militärstützpunkt Guantánamo Bay. Sie wurden zusammen mit Ali Abdul Aziz Ali und Ramzi Bin al Shibh, zwei weiteren angeblichen Al-Qaida Terroristen, 2008 zum ersten Mal angeklagt. Eine zweite Anklage folgte dann 2012. Doch unzählige weitere Gerichtsverfahren haben den Prozessbeginn immer wieder verzögert. Bis heute gibt es keinen genauen Termin für einen Prozessauftakt.

Allen fünf Angeklagten wird vorgeworfen, für den Tod von knapp 3.000 Menschen verantwortlich zu sein. Diese starben bei den Anschlägen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon vor den Toren Washingtons sowie bei einem Flugzeugabsturz in Pennsylvania.

US-Präsident Joe Biden lehnte bereits im vergangenen Jahr einen möglichen Deal mit allen fünf Angeklagten ab. Er und Austin waren sich damals einig, dass die Forderungen der Häftlinge zu weit gingen. Ein Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates erklärte gegenüber der taz am Mittwoch, dass Biden bei den Verhandlungen zum aktuellen Deal mit drei der fünf Angeklagten nicht involviert war.

„Der Präsident und das Weiße Haus spielten bei diesem Prozess keine Rolle. Der Präsident hat sein Team angewiesen, sich in dieser Angelegenheit gegebenenfalls mit Beamten und Anwälten des Verteidigungsministeriums zu beraten“, sagte der Sprecher.

Opferangehörige haben Abkommen heftig kritisiert

Vor allem die Familienangehörigen der Opfer des 11. Septembers sowie zahlreiche Demokraten und Republikaner haben das jüngste Abkommen heftig kritisiert. Für viele kommt für die mutmaßlichen Attentäter nur die Todesstrafe infrage.

Senator Lindsey Graham, ein Republikaner aus South Carolina, warnte, dass der Deal ein „schlechtes Signal“ senden würde. „Die Welt steht in Flammen, der Terrorismus ist weit verbreitet, und wir machen einen Deal mit dem Drahtzieher des 11. September? Das ermutigt nur zu weiteren Anschlägen“, sagte er.

Scott Roehm, Direktor für globale Politik und Interessenvertretung am Center for Victims of Torture, erklärte in einem Gespräch mit der taz, dass aber eine vorgerichtliche Vereinbarung die vermutlich beste Lösung sei, um zumindest ein bisschen Gerechtigkeit für die Familien der 9/11 Opfer zu erzielen.

Der Grund dafür ist die Folter, die die Beschuldigten während ihrer Zeit in US-amerikanischer Gefangenschaft erfahren haben. „Die Vorstellung, dass Männer, die von der US-Regierung drei Jahre lang gefoltert wurden, zu Tode verurteilt werden könnten und dass dies vor einem US-Bundesgericht Bestand hätte, halte ich für einfach unrealistisch“, sagte Roehm.

Vor seiner Ankunft in Guantánamo wurde Khalid Shaikh Mohammad, der laut US-Regierung der Drahtzieher hinter den Anschlägen des 11. September ist, in CIA-Gewahrsam 183-mal dem Waterboarding unterzogen. Auch andere Formen der Folter seien zum Einsatz gekommen. Wie es im 9/11-Fall jetzt weiter geht, ist ungewiss.

Insgesamt sind in Guantánamo, dem umstrittenen US-Gefangenenlager auf Kuba, noch immer knapp 30 Personen inhaftiert. Bemühungen das Gefangenenlager zu schließen, wurden über die Jahre immer wieder blockiert.

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