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Muslimische Zukünfte in der KunstEin Narrativ mitgestalten

Die Berliner Ausstellung „Muslim Futures“ gleicht einem Raum aus Wünschen, Ideen und Hoffnungen. Erinnert wird auch an das, was war.

Be­su­che­r*in­nen betrachten eines der Werke bei „Muslim Futures“ Foto: Muslim Futures

E s ist Freitagabend und ich zieh mich aus der U-Bahn ins Acud. Ich gehe in eine Austellung. Schon beim Eingang riecht es nach geräucherten Kräutern und Chai. Gleich hinter der Tür begegnet mir ein Textblock mit dem Titel „Muslim Futures“. Es ist der zweite Tag der Veranstaltungsreihe der Futurist*innen.

„‚Muslim Futures‘ ist eine Angelegenheit. Ein Prozess. Eine Vorstellung, die im Vergangenen geboren wurde und sich ins Heute übersetzt. Was passiert also morgen, in zehn Jahren, in 100 Jahren, wenn du heute wagst, dir vorzustellen, was unvorstellbar scheint“, steht auf einer schwarz bedruckten Tafel. Um mich herum sehe ich VR-Brillen, die in bestehende und alternative Räume führen, sehe Videos, Teppiche und Bilder. Ich bewege mich in einem Raum aus zusammengetragenen Wünschen, Ideen und Hoffnungen. Es ist ein Raum, der inmitten von Krisen, faschistischer Gewalt und offen ausgesprochenem antimuslimischem Rassismus lebendig wurde.

Vor Kader Baglis KI-generiertem Video fange ich an zu weinen. „A message to your heart“ ist der Titel des Kurzfilms – ich sehe Bilder von Menschen, die sich halten, warmen Farben, die in sich zusammenfließen und eine Geschichte der Selbstreflexion und Güte erzählen. Eine Geschichte, die zwar von einem Computer geschrieben, doch mithilfe der VFX-Künstlerin (um)programmiert wurde. Statt in einer sich summierenden Berechnung zu verschwinden, malt Bagli aus Nullen und Einsen ein Bild, das zu und nicht über uns spricht.

Was ist ein KI-Apparat mit muslimischen Werten? Wie geht eigentlich ethisches Programmieren und was heißt das überhaupt? Wie beeinflussen Diskriminierungsformen, aber auch unser Zugang zu Glauben und Spiritualität die Tech-Industrie? Wie können wir die Tech-Industrie beeinflussen?

„Vielleicht“ oder „Möglicherweise“

In der Galerie von „Muslim Futures“ begegne ich einem Spiel aus Hoffnungslosigkeit und Überraschungen, ich denke daran, wie die AfD Tiktok für sich nutzen will. Zeitgleich kommen neue Fragen auf und der Wunsch nach einem „Vielleicht“ oder „Möglicherweise“, an eine Vorstellung, die das Morgen heller aussehen lässt als das Gestern. Utopien gehören eben auch mir, sie gehören jenen, denen im Jetzt die Gegenwart verwehrt wird und die eine Vergangenheit der zerstörten Zukunft bis heute verfolgt. Zukunftsvorstellungen von muslimisch gelesene Menschen bedeuten in erster Linie Visionen zu haben, die neben Gewalt, Überforderung und Angst überdauern, existieren dürfen und werden. Es bedeutet, ein Narrativ mitzugestalten.

Ich gehe an einem Bild von einem Richter im Kaftan vorbei, fiktiven Titelblättern von Ras­sis­mus­kri­ti­ke­r*in­nen auf berühmten Magazinen. Da ist ein Teppich, auf dem der Satz „Intergenerational Dreams“ in Grün quer über den Stoff genäht wurde. Ich lass ihn in mir wirken und spüre mich in eine Welt jenseits der Konsequenz, dem Ergebnis, der logischen Folge einer Berechnung hinein. Ich denke daran, selbst die Formel für das Kommende schrei­ben zu wollen. Ich denke an Wünsche, die seit Jahrzehnten in meiner Familie liegen, sich sammelnde Visionen und Erzählungen des Widerstands.

Eine Forderung nach Platz

„Wenn wir von Zukünften sprechen, negieren wir nicht, was war“, so beschreibt es die Projektleiterin Ouassima Laabich am Podium. Sie spricht von dem „Warum eigentlich nicht?“ bei der Frage nach Utopien und Zukunftsbildung. Ouassima erklärt, wie wir uns zuerst erinnern müssen, bevor wir von dem sprechen können, was möglich ist. Sie erklärt auch, dass unsere Geschichten nicht nur das Ende einer Kette von Erzählungen der Flucht und des Traumas, der rassistischen Gewalt und Hetze sind – sie können der Anfang einer Idee von Zusammenhalt und Solidarität sein, von Freun­d*in­nen­schaft und Liebe.

KI Systeme und andere technische Inventionen unserer Zeit werden meistens von den dominantesten Gruppen unserer Gesellschaft konstruiert und gestaltet. Die „forschrittlchen“ Datensysteme, die für die Verwendung vieler KIs notwenig sind, spiegeln auch ein Archiv der kolonialen und rassistischen Vergangenheit sowie Gegenwart. Menschen, die aus dem Raster fallen sind oft auch jene, die kaum Teil dieser Konstruktionen und (Mit)programmierungen sind. Dabei gehört die Zukunft uns allen.

Die Austellung und Idee von „Muslim Futures“ stellt keine Fragen der Realisierbarkeit, sondern eine Forderung nach Platz, dem Vermächtnis einer Zukunft. Es ist eine Einladung zum Träumen, auch für mich, denn warum eigentlich nicht?

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