Ein Abend mit einem alten Freund: Unfreiwillig in Neukölln

Der Autor wurde gefragt, ob er in Neukölln etwas trinken gehen möchte. Schnell hatte er das Gefühl, mit seiner Zusage einen Fehler gemacht zu haben.

Ein rosafarbener Sessel auf einer regennassen Straße

„Wie immer überkam mich ein komisches Gefühl der Beklemmung, sobald ich mich in Neukölln befand“ Foto: Jürgen Ritter/imago

Ein alter Freund, mit dem ich eigentlich schon lange keinen Kontakt mehr gehabt hatte, schrieb mir, ob ich mit ihm etwas trinken gehen wollte. Er würde gerne mal wieder nach Neukölln gehen, sagte er. Ich war schon sicher seit über zwei Jahren nicht mehr dort gewesen, also zum Trinken, und sagte nur zögerlich zu.

Wie immer überkam mich ein komisches Gefühl der Beklemmung, sobald ich mich in Neukölln befand. Schon auf dem Weg dorthin hatte mir ein Herr in der U6 gleichzeitig Koks verkaufen und zur Intifada aufrufen wollen. Ich kann nicht leugnen, dass ich mich schon zu diesem Zeitpunkt gefragt hatte, ob ich den Bitten meines alten Freundes nicht zu sehr nachgegeben hatte.

Auf dem Weg von der U-Bahn zu der Kneipe, in der wir uns verabredet hatten, ereignete sich die nächste seltsame Begebenheit. Ich lief vorbei an einem Kino und sah eine Person mit wasserstoffblond gefärbtem Haar, die von zwei jungen Männern gejagt wurde. Ich nahm sofort ihre Fährte auf, doch verlor ich sie nach drei oder vier Blöcken. Auf einem Spielplatz sah ich mehrere junge Personen, die Stiefel mit riesigen Schnallen zu tragen schienen.

Etwas verwirrt gelangte ich wieder zu der Straße, die ich eigentlich entlanggehen musste, um zum Peppi Guggenheim zu gelangen. Dort war ich nämlich mit meinem alten Freund verabredet. Als ich die warme, verrauchte Kneipe betrat, überkam mich ich sofort ein heftiger, stechender Kopfschmerz. Die Gäste dort, so schien mir, waren in einer vulgären, aber gleichzeitig ängstlichen Stimmung. Ich verstand nicht, warum man auf diese Weise seinen Samstagabend verbringen würde.

Da mein Freund noch nicht da zu sein schien und es an keinem Tisch einen freien Platz gab, setzte ich mich an die Bar. Und bestellte ein kleines Bier. So würde es nicht schal werden, dachte ich, wenn ich langsam trinken würde, was ich an jenem Abend zu tun gedachte. Während ich an der Bar saß und das Bier trank, erblickte ich an einem mir nahen Tisch eine Frau. Sie war dünn und hatte gepflegtes, glattes Haar. Ihr verschmitztes Grinsen und ihre strahlenden Augen machten mich neugierig.

Ich lächelte ihr zu und da merkte ich, wie sich im Augenwinkel eine fiese, hässliche Fratze in mein Sichtfeld schob. Ein junger Mann mit wuscheliger, wilder Frisur, der sich direkt neben der Frau befand, hatte meinen Blick bemerkt. Er versuchte, so böse zu schauen, wie er nur konnte, womöglich, dachte ich, machte er das aber auch gar nicht mit Absicht. Er sah aus, als ob er mich als tiefe, existentielle Bedrohung betrachten würde.

Ich hatte keine Lust auf Stress, also drehte ich mich wieder um und sah dem Barkeeper dabei zu, wie er seine Drinks mixte. Mein alter Freund ließ noch immer auf sich warten. Es dauerte jedoch nicht lange, da stand die Frau mit dem verschmitzten Grinsen neben mir, um etwas an der Bar zu bestellen. Ich lächelte sie an und auch sie lächelte nun zurück. Doch da schob sich auch schon der junge, wilde Mann zwischen uns.

Ich war so überrascht von seinem Übergriff, dass ich mich kaum abwenden konnte. Ich spürte seinen warmen Atem und seine Bartstoppeln auf meiner Wange. Ich erinnere mich noch an die Verwirrung, dass er mich tatsächlich küssen wollte. Noch im selben Moment griff ich an seinen Pullover und ich merkte, wie ich etwas davon herunterriss. Als ich die Hand öffnete, lag in meiner Handfläche ein Pin. Neben einer Europafahne zeigte er eine andere Fahne, die ich nicht erkennen konnte.

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