Musikfestival in Berlin: Rettet Pop die Welt?

International, divers und immer gut gemeint: Das Musikfestival Pop-Kultur 2019 will Maßstäbe setzen – und damit auf die ganze Welt ausstrahlen.

Der Sänger Roosevelt steht auf einer Bühne, wird von Scheinwerfern angestrahlt

2016 war Roosewelt zu Gast beim Festival Pop-Kultur, dieses Jahr ist unter anderem Mona Mur da Foto: dpa

Die Probleme sind bekannt: Eine Gesellschaft in einem Epochenwechsel, der nahezu alle Lebensbereiche erfasst und unter den Umständen einer zähen ökonomischen Stagnation abläuft, fordert eine vitale Kulturproduktion heraus, die Fragen stellt und Antworten vorbereitet. Der Berliner Senat setzt dabei auf Einhegung gesellschaftlicher Ero­sions­tendenzen und die Stärkung liberaler Diversität: Das Pop-Kultur-Festival soll in diesem Sinn auch für Menschen jenseits der etablierten Kultur- und Off-Schickeria inte­ressant sein.

Die Verwendung der Frakturschrift und die ostentativ zur Schau gestellte Kombination der Begriffe „Pop“ und „Kultur“ lief in den vergangenen Jahren nicht unkritisiert ab. Irgendwie volksnah sollte es sein. Und das in der deutschen Hauptstadt. Selbstverständlich eine Provokation.

Denn: „Popkultur will die Zustände neu verhandeln, weil sie diese nicht hinnehmen will“, erklärt Katja Lucker, Programmleiterin der Pop-Kultur 2019, gegenüber der taz. „Viele kulturelle Identitäten werden aufeinandertreffen, und niemand wird von unserem Programm ausgeschlossen.“

Das soll nicht nur in rund 100 Konzerten, darunter das der Künstlerin Mona Mur (Interview Seite 46–47), seinen Ausdruck finden, sondern auch im Anschluss an wissenschaftliche Diskurse. Vom 21. bis 23. August sollen die Gäste in der Berliner Kulturbrauerei eine „sensible und sichere Umgebung“ vorfinden, um Kunst, Klang und existenzielle Ambivalenzen (er)leben zu können.

Zitronen sind Zugpferde

Als Zugpferde, wenn mensch denn solche hervorheben mag, fungieren diesmal Die Goldenen Zitronen, die mit ihrem neuen Album Anfang des Jahres ein postpunkiges Resümee der Bundesrepublik vorlegten. „Das war unsere BRD“, singt darauf der Sänger und Theaterregisseur Schorsch Kamerun.

The times they are a-changin’? Etwas wird ganz anders, die Republik ändert sich, die EU kämpft ums Ganze, und die Pop-Kultur soll die Umrisse der neuen Zeit skizzieren. Progressiv, divers, und zumindest nicht direkt autoritär. Man rekurriert dabei auch auf Goethe und eine poppig-kritische Richard-Wagner-Performance, die die Haus­mu­si­ker*innen des Ramba­Zamba-Theaters unter Mitwirkung des früheren Dramaturgen am Berliner Ensemble, Steffen Sünkel, aufführen werden. Schon wieder Wagner und Goethe? Alle müssen mit, auch die Widersprüche.

Das alles ist der Senatsverwaltung für Kultur 330.000 Euro Kofinanzierung wert, hinzu kommen EU-Mittel in gleicher Höhe sowie eine halbe Million Euro vom Bund, wie Festivalmacher und Senatsverwaltung auf taz-Anfrage darlegen. Das Musicboard Berlin, federführende Trägergesellschaft des Festivals, verfügt über einen Jahresetat von über 3 Millionen Euro.

Kultursenator Klaus Lederer (Linke) lässt auf Nachfrage ausrichten, dass insbesondere der ergebnisoffene Dialog innerhalb der Berliner Szene förderungswürdig sei. Lederer ist auch Vorstandsvorsitzender der Musicboard GmbH.

Konstruktiver Pop

Man schätze an der Pop-Kultur den Versuch, „an konstruktiven Lösungen zu arbeiten“, so seine Sprecherin Anja Scholtyssek. „250 Nachwuchskünstler*innen aus Berlin, Deutschland, Europa und der ganzen Welt treffen hier aufeinander und lernen von jenen, die ihren Weg schon gefunden haben.“ Das weise weit über popkulturelle Kontexte hinaus, setze „Maßstäbe“.

Womöglich doch ein versteckter hegemonialer Anspruch? Seht her, wie weit wir hier schon sind, zumindest was Fragen der Gleichberechtigung und sozialen Alltagsnivellierung historisch benachteiligter Menschengruppen angeht? Der Senat ist der Ansicht, „das Festival hat mittlerweile eine Vorbildfunktion“. Ein Pädagogium also.

Und wer wollte das zum Vorwurf machen: Wenn die Festivalmacher*innen das arg strapazierte Wörtchen „Diversität“ voranstellen, wollen sie nicht allein an angelsächsischen Diskursfronten mitkämpfen. Denn die sicher notwendigen Gefechte, die Linksliberale in den USA auszutragen haben, wirken in Berlin und anderen westeuropäischen Metropolen nicht selten überhitzt. Und fast etwas rückständig.

Sehnsuchtsort Berlin

Tatsächlich scheinen die Bundesrepublik und gerade ihre Hauptstadt mit ihren liberalen Errungenschaften gegenwärtig ein Sehnsuchtsort für Kulturschaffende zu sein, die ihre Arbeit mit einem Aufbruch aus alten Abhängigkeitsverhältnissen verbinden wollen. Dafür stehen beim Festival interna­tio­nale, queere und experimentelle Acts wie alyona alyona, BNNT oder Repititor, die zudem eine Anbindung an Osteuropa andeuten sollen.

Ob diese Gruppen in ihren Ländern den Hebel ansetzen können, um als Bot­schaf­te­r*in­nen westeuropäischer Liberalität zu dienen, steht auf einem anderen Blatt. Zu wünschen wäre denen, die hier wie andernorts tatsächliche Schwierigkeiten haben, ihre Bedürfnisse erfüllen zu können.

Aber wie sieht es mit dem Publikum in der Stadt aus? Der junge Berliner Kulturwissenschaftler und Punkmusiker, Sänger und Texter der Band „We will fly“, Paul Herden, ordnet das Ganze so ein: „Beim letzten Mal war einer meiner Bandkollegen Bühnenassistent bei der Pop-Kultur. Ich konnte deshalb umsonst rein. Das war ganz nett. Halt schön divers, bunt und tolerant, wie Berlin eben so sein muss, um den Hauptstadtkulturfonds nicht zu verlieren.“

Dieses Jahr will er sich ein reguläres Ticket besorgen, ist aber noch nicht sicher, ob er Zeit hat. Arbeiten, um die Miete aufzutreiben, Promotion und dann noch selber proben: damit sei schon viel zu tun.

Ob die Pop-Kultur in diesem Jahr ein Angebot erarbeitet hat, das die Aufgabe erfüllt, die notwendigen neuen Maßstäbe auch mit der Autonomie der Kunst auszustatten – und den damit verbundenen ­Schmerzen für die Mächtigen in Staat und Wirtschaft –, wird sich zeigen. Allein um dies zu untersuchen, wird sich der Besuch lohnen. Die Hoffnung auf Harmonie in einer atonalen Welt würde dabei sowieso unerfüllt bleiben.

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