Musikdoku „Sisters with Transistors“: Freiheit des weißen Rauschens

Der Film „Sisters with Transistors“ stellt Pionierinnen der elektronischen Musik vor. Zu sehen ist er online im Programm des Musikfestivals CTM.

Eine Frau kniet in einem blau gefäbten Raum vor einem Tonbandgerät

Regisseurin Lisa Rovner hat sich der „unbesungenen Heldinnen“ der elektronischen Musik angenommen Foto: Peggy Weil

Elektronische Musik, das waren, dem Klischee nach, bevorzugt Männer an seltsamen Kisten. Anfangs an sehr großen Kisten, in die ohne Ende Kabel gestopft wurden, später dann an kleineren Kisten. Dominierende Bilder, die sich etablierten, waren die roboter­artig inszenierten Popstars von Kraftwerk oder Avantgarde-Ikonen wie der eher hippiesk gewandete Karlheinz Stockhausen.

Frauen tauchen in diesen Geschichten allenfalls am Rand auf. Dass es sie in der elektronischen Musik nicht bloß ziemlich von Anfang an gab, sondern dass sie auch wichtige und bis heute prägende Beiträge geliefert haben, geht meistens unter. Dabei bot die neue Technik für viele dieser Musikerinnen überhaupt erst eine Möglichkeit, am bestehenden Musikbetrieb und seinen Strukturen vorbei eigene ästhetische Strategien zu verfolgen.

Die Regisseurin Lisa Rovner hat sich für ihren ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Sisters with Transistors“ der „unbesungenen Heldinnen“ der elektronischen Musik angenommen. Im Programm des Berliner Musikfestivals CTM ist er derzeit online zu sehen. Rovner konzentriert sich auf Komponistinnen vorwiegend akademischer Musik, wobei die vorgestellten Künstlerinnen oft nicht allein großen Einfluss auf den abenteuerlustigeren Pop hatten, sondern selbst zwischen „ernster“ und „Unterhaltungsmusik“ aktiv waren.

Erzählt wird der Film von der Künstlerin und Musikerin Laurie Anderson. Die meiste Zeit jedoch sprechen die Protagonistinnen selbst, ergänzt durch die Stimmen von Zeitgenossen und Nachfolgern. Musikbeispiele gibt es unterdessen fast die ganze Zeit, sei es im Vorder- oder im Hintergrund.

„Sisters with Transistors“. Regie: Lisa Rovner. Großbritannien 2020, 84 Min. Online bis 31.1.: www.ctm-festival.de

Lisa Rovner vermeidet die in Dokumentarfilmen gern gewählte Lösung, Menschen vor eine Kamera zu setzen und sehr lange hineinsprechen zu lassen, notgedrungen, da die meisten ihrer Protagonistinnen nicht mehr leben. Stattdessen bezieht sie ihre Bilder fast ausschließlich aus Archivmaterial.

Mitgründerin des BBC Radiophonic Workshop

So ist die britische Komponistin Daphne Oram in Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu sehen, wie sie ihr Studio für elektronische Musik bei der BBC präsentiert. Oram war die erste Frau, die in England elektronische Musikinstrumente entwickelte und in England ein Studio für elektronische Musik eingerichtet und geleitet hat.

Als Mitgründerin des 1958 begonnenen BBC Radiophonic Workshop hatte sie enormen Einfluss auf die elektronische Musik, einschließlich eines eigenen Verfahrens zur grafischen Tonerzeugung, den „Oramics“, bei denen Film oder Glasplatten bemalt und in elektronische Signale umgewandelt wurden.

Daphne Oram ermöglichte es auch ihrer Kollegin Delia Derbyshire, in Cambridge ausgebildeter Musikerin und Mathematikerin, in den Sechzigern beim BBC Radiophonic Workshop mitzuarbeiten. Dort konnte Derbyshire mit der Filmmusik zur Fernsehserie „Doctor Who“ oder ihrer Band White Noise auch im Pop-Mainstream Erfolge verbuchen.

In einer Aufnahme von 1965 erklärt Derbyshire mit ruhiger, fast schüchterner Stimme die elektronische Klangbildung an einem Oszilloskop, zeigt ein geometrisch abgezirkeltes Rechteckkurvensignal als Gegenbeispiel zum chaotisch anmutenden komplexen Klangbild des sogenannten „weißen Rauschens“.

Die Komponistin Pauline Oliveros sitzt an einem Tonbandgerät.

„Deep Listening“: Die Komponistin Pauline Oliveros an einem ihrer zahlreichen Tonbänder Foto: Mills College

Befreiende Technologie für Frauen

Andere Musikerinnen sprechen die Hindernisse an, die sie zu überwinden hatten. Die US-Amerikanerin Laurie Spiegel etwa erzählt, wie sie in der Highschool entmutigt wurde, beruflich etwas mit Musik zu machen, weil sie nicht schon von Kindesbeinen an Musikunterricht bekommen hatte. Von Komponistinnen hatte sie ohnehin noch nie gehört, Komponisten waren für sie „weiße tote Männer“.

Stattdessen studierte sie Sozialwissenschaften. Erst als sie in New York den Komponisten Morton Subot­nick und seine Arbeit mit Synthesizern kennenlernte, tat sich für sie eine neue Welt auf. Diese Technologie sei für Frauen wie sie enorm befreiend gewesen: „Man benötigte als Frau nicht die Akzeptanz der männerdominierten Institutionen, der Radiosender, der Plattenfirmen, der Konzerthäuser oder der Fördereinrichtungen“, so Spiegel.

Auch für die französische Komponistin Éliane Radigue war der Weg zur eigenen Musik umwegig. In Paris war sie zunächst Assistentin der Musique-concrète-Pioniere Pierre Schaef­fer und Pierre Henry. Als sie dazu überging, ihre Arbeit an den Tonbändern von zu Hause aus zu erledigen, begann sie mit eigenen Stücken. Sie war seit Langem fasziniert vom Klang der Flugzeuge, entwickelte Tonband-Delays und Feedbacks, um Musik aus lang gehaltenen, sich langsam verändernden Tönen zu erzeugen. Sehr zum Missfallen ihrer Arbeitgeber.

Radigues Ansatz ist, ähnlich dem der US-Amerikanerin Pauline Oliveros, radikal in seiner reduzierten Herangehensweise. So wurden die Töne, oft endlose Drones, von Oliveros weniger gestaltet als erlebt, wie sie erzählt: „Ich begann mich mehr dafür zu interessieren, was die Klänge selbst taten, als was ich mit ihnen tun könnte.“ Dieses von Oliveros entwickelte „Deep Listening“ ist heute Teil einer umfangreichen elektronischen Subkultur, von der Radigue ebenso als eine ihrer Vorläuferinnen verehrt wird.

Und was macht eine Frau, die keinen Plattenvertrag bekommt, weil sie nicht selbst singt? Im Fall der US-Amerikanerin Suzanne Ciani stellte diese ihre Synthesizer fortan in den Dienst der Werbung und erzeugte sogar Sounds, die dem Öffnen einer Coke-Flasche zum Verwechseln ähnlich sind. Auch das Teil dieser Selbstermächtigungsgeschichte, der Lisa Rovner einen würdigen Rahmen bietet.

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