Mordprozess zu Idar-Oberstein: Anklage fordert lebenslang
Er sollte Maske tragen und erschoss einen Tankstellenmitarbeiter. Die Staatsanwaltschaft sieht eine besondere Schwere der Schuld.
„Die Tötung von Alexander W. war Mord!“, sagte Staatsanwältin Nicole Frohn in ihrem Plädoyer am Montag. Der Angeklagte habe sein Opfer heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen erschossen. Sie sprach von einem krassen Missverhältnis zwischen Anlass und Tat. „Das Opfer war austauschbar“, sagte Frohn, der Mensch Alexander W. habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt.
Vorangegangen war der Tat nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft die Radikalisierung des Angeklagten. Er habe sein Opfer in den Kopf geschossen, um ein Zeichen gegen die Coronaschutzmaßnahmen zu setzen, von denen er sich belastet gefühlt habe. Der Angeklagte habe den Suizid seines Vaters verkraften müssen, er habe sicher auch wirtschaftlich unter den Auswirkungen der Pandemie gelitten und die Maskenpflicht abgelehnt. Aber: „Wer hat nicht unter Belastungen gelitten?“, fragte die Staatsanwältin Frohn.
Nach der Tat das Opfer verhöhnt
Als Beispiel trug sie Sprachnachrichten aus der Zeit vor der Tat vor, in denen der Angeklagte bereits Gewaltfantasien gegen PolitikerInnen auslebte, die er für die Maßnahmen verantwortlich machte. „Die Deutschen haben für solche Fälle die Gaskammer erfunden, schade, dass sie aus der Mode gekommen sind.“ Die Versuche der Verteidigung, den Angeklagten als schuldunfähig darzustellen, wies Frohn zurück. Er sei voll verantwortlich, trotz der erhebliche Alkoholmengen, die er vor der Tat zu sich genommen hatte. „Das ist nicht im Delirium passiert“, habe er selbst in seiner polizeilichen Vernehmung zu Protokoll gegeben.
Die Staatsanwältin beantragte auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Noch nach dem tödlichen Schuss habe er sein Opfer verhöhnt, etwa wenn er die Bezeichnung „Tankstellenboy“ benutzt habe. Mit seiner Tat habe er sich über die Gesetze und alles Expertenwissen erhoben. Zum Abschluss ihres Plädoyers zitierte sie eine Audionachricht des Angeklagten, die er unmittelbar nach der Tat an seinen Schwager verschickt hatte. „Es ist ein Mord, den ich bitter bereuen, für den ich wahrscheinlich bis zum Ende meines Lebens im Knast sitze“.
Folgt das Gericht ihrem Strafantrag, wird der Angeklagte anders als sonst üblich auch nach einer verbüßten Haftdauer von 15 Jahren nicht in Freiheit kommen. Er wird das Gefängnis frühestens im Rentenalter verlassen können. Das Plädoyer der Verteidigung wird für Freitag erwartet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil