Mord an Regierungspräsident Lübcke: Doch ein anderer Todesschütze?
Der Verdächtige im Fall Lübcke sagt erneut aus und belastet einen Mitbeschuldigten: Der habe den CDU-Politiker erschossen. Doch es gibt Zweifel.
![Zwei schwarze Vans fahren auf einer Straße, auf dem Bürgersteig daneben eine Frau Zwei schwarze Vans fahren auf einer Straße, auf dem Bürgersteig daneben eine Frau](https://taz.de/picture/3897847/14/24512000-1.jpeg)
Lübcke war am 2. Juni 2019 vor seinem Haus bei Kassel erschossen worden. Ernst, ein vielfach vorbestrafter Kasseler Rechtsextremist, wurde zwei Wochen später verhaftet, nachdem eine DNA-Spur von ihm am Tatort gefunden worden war. Der 45-Jährige gestand zunächst die Tat: Er sei erbost gewesen über eine Kritik von Lübcke an Gegner von Geflüchteten aus dem Jahr 2015. Ernst führte die Polizei auch zur Tatwaffe in einem Erddepot und benannte neben Markus H. einen weiteren Mann, der ihm diese Waffe beschafft habe. Dann aber zog Ernst sein Geständnis zurück.
Schon Ende November hatte Ernsts Anwalt eine erneute Aussage angekündigt, die „nun endlich die Wahrheit über die Tatnacht ans Tageslicht bringen“ werde. Am Mittwoch nun wurde Ernst mehrere Stunden im Kasseler Polizeipräsidium befragt.
Anwalt Hannig gab die Aussage danach auf einer Pressekonferenz wieder. Demnach sei Stephan Ernst in der Tatnacht zusammen mit Markus H. zum Grundstück von Lübcke gefahren, um diesem „eine Abreibung“ zu verpassen. Sie hätten Lübcke auf der Terrasse angetroffen, es sei zum Streit gekommen. Als Lübcke schließlich Hilfe rufen wollte, habe sich der Schuss gelöst.
Angeblich ein Versehen
Der Schuss aber sei von Markus H. abgegeben worden, sagte Hannig. Ernst habe nach eigener Auskunft die Waffe zuvor an seinen Komplizen übergeben. Die Tötung sei nicht geplant und ein Versehen gewesen. Nach der Tat seien die Männer zurück nach Kassel gefahren, Ernst habe die Waffen gereinigt und versteckt. Hannig sagte auch, dass beide Männer schon zuvor das Anwesen von Lübcke ausgekundschaftet hatten.
Zur Frage, warum Ernst die Tat dann zunächst gestanden habe, sagte Hannig, dies sei auf Anraten seines früheren Anwalts geschehen. Es habe die Ansage gegeben, Markus H. außen vor zu lassen. Auch habe sich Ernst damit den Schutz seiner Familie und finanzielle Unterstützung versprochen.
Mit der Aussage liegt nun eine neue Tatversion vor. Denn bisher galt Markus H., ebenfalls ein Rechtsextremist aus Kassel und mit Ernst befreundet, den Ermittlern nur als Vermittler der Tatwaffe. Der 43-Jährige wurde deshalb Ende Juni festgenommen. Ihm wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen.
Kein Hinweis auf zweiten Täter
Björn Clemens, Anwalt von Markus H., wollte am Mittwochabend die neue Aussage von Stephan Ernst nicht kommentieren. Er wies aber darauf hin, dass Ernst inzwischen „verschiedenste Darstellungen“ für die Tat geliefert habe, „die immer voneinander abweichen“. „Nun gibt es eine neue Version.“
Die Bundesanwaltschaft äußerte sich vorerst nicht. Nach taz-Informationen fanden Ermittler aber bisher keine Hinweise, dass Markus H. oder ein anderer Täter beim Mord an Walter Lübcke dabei war. Auch die Aussage eines Nachbarn, er habe am Tatort zwei Autos davonrasen gesehen, konnte bislang nicht erhärtet werden.
Die Ermittler hatten Markus H. aber zuvor schon vorgeworfen, Stephan Ernst zumindest im Mordplan „bestärkt“ zu haben. Beide Männer seien im Oktober 2015 zusammen auf der Bürgerversammlung gewesen, auf der Lübcke Geflüchtetengegner kritisierte. Die Passage habe Markus H. gefilmt und ins Internet gestellt. Zudem habe er Ernst mit zu Schießtrainings genommen und ihm so für dessen Mordplan „Zuspruch und Sicherheit“ vermittelt. Auch wenn Ernst den Plan nicht klar ausgesprochen habe, sei es zu „Andeutungen“ gekommen.
Denker und Macher
Beide Männer habe ihre rechtsextreme Gesinnung zusammengeschweißt. Auch seine frühere Partnerin nannte Markus H. den „Denker“, während Ernst der „Macher“ gewesen sei. Zudem fand sich laut Ermittlern bei Markus H. ein Buch des rechten Skandalautors Akif Pirinçci, in dem der Name von Lübcke mit einem Textmarker angestrichen gewesen sei.
Anwalt Hannig kündigte derweil weitere Aussagen von Stephan Ernst an. Dieser wolle mit der Polizei „weiter zusammenarbeiten“. Zu Nachfragen, welchen Schutz und welches Geld sich Ernst für sein ursprüngliches Geständnis versprochen hatte, das ihn für viele Jahre ins Gefängnis bringen dürfte, äußerte sich Hannig nicht.
So bleiben vorerst Fragen offen. Eigentlich war eine Anklage-Erhebung gegen Ernst in Kürze vorgesehen. Dies könnte sich nun verzögern. Ob die neuerliche Aussage für Ernst zum Befreiungsschlag wird, bleibt aber fraglich. Der Bundesgerichtshof jedenfalls hatte sich schon im August, nach dem Rückzug des ersten Geständnisses, klar positioniert und den Widerruf abgetan: Es gebe „kein Anlass, an dem Wahrheitsgehalt der [ursprünglichen] Einlassung zu zweifeln“, so die Richter damals.
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