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Mögliche Koalitionen nach der WahlRote Socken, gelbe Socken

Anna Lehmann
Jan Feddersen
Kommentar von Anna Lehmann und Jan Feddersen

Jamaika war einmal. Zwei Wochen vor der Wahl stehen zwei andere Koalitionsmodelle im Fokus: Rot-Grün-Rot und die Ampel. Welches wäre besser?

In welcher Farbkombination soll Deutschland künftig regiert werden? Die Vielfalt ist groß Foto: AP

Rote Socken, meint Anna Lehmann

W er hat die größte Angst vor roten Socken? Nicht der Pensionär in Lügde oder die Verwaltungsangestellte in Verden, sondern die Parteispitzen von SPD und Grünen. Warum sonst gehen Saskia Esken, Olaf Scholz, Anna­lena Baerbock und Robert Habeck zurzeit fast panisch auf Distanz zur Linken, erklären sie für regierungsuntauglich und verlangen Bekenntnisse zur Nato, als wäre diese die heilige Hüterin der Demokratie?

Dabei übersehen sie geflissentlich, was führende Linke gerade für Verrenkungen machen, um sich als solide Part­ne­r:in­nen zu empfehlen. Sie legen ein Sofortprogramm auf, in dem die Auflösung der Nato noch nicht mal erwähnt wird. Sie zeigen mögliche Kompromisslinien auf, die wie kopierte Textbausteine aus den Wahlprogrammen von Grünen und SPD wirken.

Und sie betonen mantraartig, dass man sich bei Bundeswehreinsätzen schon einigen könne – und das ganz ohne das übliche Störfeuer aus den eigenen Reihen. Die Linken führen gerade einen lupenreinen Mitte-links-Lagerwahlkampf, und sie treten dabei in letzter Zeit so geordnet auf, wie die Kruzianer beim Weihnachtskonzert. Der Wahlkampf und die Furcht vor der Bedeutungslosigkeit disziplinieren auch die radikalsten Anarcholinken, Regierungsverantwortung erst recht.

Wenn eine selbstbewusste Wahlgewinnerin SPD von Grünen und Linken in die Mitte genommen würde, wäre dass die progressivste unter allen derzeit denkbaren Konstellationen. Die Grünen würden einem SPD-Kanzler Olaf Scholz Tempo beim Klimaschutz abverlangen und die Linke Druck machen bei der Sozialpolitik. Nur mit dieser Regierung würde es eine Steuerreform geben, die von Reich nach Arm umverteilt, eine Milliardenoffensive für den öffentlichen Nahverkehr und eine Wohnungspolitik im Interesse von Mie­te­r:in­nen.

Umgekehrt würden Sozialdemokraten und Grüne weder eine echte Verkehrswende zustande bekommen noch eine Steuerreform, wenn sie sich mit der FDP verbünden. Und Hartz-IV-­Emp­fän­ge­r:in­nen könnten dann schon froh sein, wenn ihnen nichts weggenommen wird, weil der Staat nämlich keinen zusätzlichen Cent hätte und ein Finanzminister Christian Lindner die Haushaltskasse schon für die Reichen geplündert hätte.

Mit den Vermögenden müsste sich Mitte-links dagegen anlegen, wenn sie glaubwürdig sein wollen, und nicht nur mit ihnen. Auch mit der Immobilienlobby, mit Auto­fetischis­t:innen, Wirtschaftsliberalen, kurz mit allen Besitzstandswahrer:innen. Rot-Grün-Rot hätte Gegenwind. Die Angst von SPD und Grünen ist also nicht unberechtigt. Ein bisschen Beistand sicher hilfreich. Doch statt auf Glaubensbekenntnisse zu hoffen, sollten sich die verzagten Parteispitzen an einer anderen Botschaft aufrichten: Fürchtet euch nicht!

Gelbe Socken, meint Jan Feddersen

Drei große bundesdeutsche Erzählungen, die Sehnsüchte und Wünsche formulieren, müssen in einer neuen Regierung zur Geltung kommen. Die eine muss die Politiken zur Klimakrise realisierbar machen, die andere Fragen der sozialen Gerechtigkeit spürbar zu beantworten suchen, die dritte muss die liberalen, nichtparteigrünen Mittelschichten mit ihren Ansprüchen nach Freiheit, Digitalisierung und Modernisierung wichtig nehmen. Es kann mithin, soll eine neue, sozialökoliberale Politik mit dem Mief (und dem Modernisierungsversagen) der stumpfen Merkel-Jahre aufräumen, nur eine rot-grün-gelbe Koalition sein.

Persönlich wäre Rot-Grün-Rot in einer Hinsicht besser: Den Zehntausenden verfassungspatriotisch gesinnten Linksparteileuten (gemeint auch: die Politiken, die in Ramelows Thüringen entfaltet werden) zu signalisieren, dass sie inkludiert sind ins grundgesetzlich Ganze, dass sie sich beweisen müssen und womöglich auch können – dass sie Verantwortung für ein ganzes Land zu tragen bereit sind, einschließlich allen Schmutzes, den man eben mitbeschließen muss, also den Kompromissen, die dazugehören.

Also eine Regierung mit Susanne Hennig-Wellsow, René Wilke, Klaus Lederer – aber die Linkspartei trüge bei allen wichtigen Politikfeldern nicht zur gesellschaftlichen Mehrheitsfähigkeit bei, wäre ein Faktor, der Hass auf sich zöge … Nein, das möge nicht riskiert werden, von schillernden Verhältnissen Putin, Maduro und Kuba gegenüber zu schweigen. Die Linkspartei wäre eine Truppe mit viel zu vielen unsicheren Kantonist*innen, Anti-Israel-Leuten, Verabscheuern der Nato und Ka­pi­ta­lis­mus­vulgärkritiker*innen.

Dass Scholz besser als Laschet wäre – klar. Dass außerdem die Grünen sich auf Klimapolitik zu fokussieren haben und regieren müssen – kein Zweifel. Aber eine linke Perspektive erachtet auch die nicht nur blinddarmhafte Teilhabe der FDP an der Regierung als politisch wertvoll. Wer soll denn die Start-ups und Mittelstandsunternehmen sonst repräsentieren, die man ja braucht, um Klimapolitik nicht nur zu fordern, sondern auch durchzusetzen?

Außerdem: Ohne eine Partei, die auf Individualität hält, die auch das So­ziale mitdenkt, aber als Teil einer Freiheitsidee, die wird gebraucht. Die FDP war, aus der Perspektive vieler 68er, eine wichtige freiheitliche Kraft in der antikonservativen Regierung mit der SPD und Kanzler Willy Brandt an der Spitze. Walter Scheel hat gewusst, was Christian Lindner gewiss auch drauf hat: Man setzt auf Kompromiss – und pointiert die liberalen Wünsche, ohne die sozialen und ökologischen Notwendigkeiten zu ignorieren. Scheel, damals, wusste, dass ohne soziale Unterfütterung, also Sozialstaat, keine liberale Gesellschaft funktionieren kann. Rot-Grün mit gelben Socken – hot shit.

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Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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15 Kommentare

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  • Leider haben wir heute morgen die taz nicht bekommen, sonst hätte ich (kurz vorm Kotzen) diese Schwurbelei gleich zurückgewiesen ('Ohne eine Partei, die auf Individualität hält, die auch das So­ziale mitdenkt, aber als Teil einer Freiheitsidee, die wird gebraucht. Die FDP war, aus der Perspektive vieler 68er, eine wichtige freiheitliche Kraft in der antikonservativen Regierung mit der SPD und Kanzler Willy Brandt an der Spitze. Walter Scheel hat gewusst, was Christian Lindner gewiss auch drauf hat') NEIN ! Ich kann aus Erfahrung in Kiel nur deutlich machen: Die FDP ist ein Wurmfortsatz des das Klima brutal zerstörenden Kapitalismus, schlimmer als die dahin vegetierenden 'Volksparteien' : Hier hat eine 'Inlandredakteurin' nicht verstanden, dass man nur gegen diese 'Wirtschaft' den allerletzten Rettungsversuch jeden Überlebens auf diesem Planeten machen kann. Ich bin entsetzt, natürlich schon seit Jamaica und von Robert Habeck (ist es Naivität oder Geltungsdrang ?). Das ist auf jeden Fall nicht MEINE taz !

  • Hab ich mich schon wieder in der Zeitung geirrt?!

    Frau Lehmann, fahren Sie gern Porsche oder besitzt ihre Familie sieben Hotels?

    Ich verstehe nicht...

  • Die Ampel - hot shit? Ja, wenn man die Betonung auf shit legt vielleicht...



    "eine Partei, die auf Individualität hält, die auch das So­ziale mitdenkt" - in welchem Punkt des Parteiprogramms der FDP genau wird denn das Soziale mitgedacht? Bei der Senkung des Spitzensteuersatzes für die geknechteten Spitzenverdiener? Beim Blockieren der Vermögenssteuer? "Höchstens 50 Prozent Sozialausgaben im Bundeshaushalt"? "Veräußerung staatlicher Beteiligungen im Bankensektor", damit die Banken endlich wieder frei drehen können, um dann wieder nach staatlicher Beteiligung an den Verlusten zu schreien?

    Hot shit. Ja nee, ist klar.

  • Es braucht mehr als zwei Kommentare bei den sich ständig ändernden Prognosen:



    Da wäre rot-schwarz, eine Fortsetzung der großen Koalition unter geänderter Reihenfolge mit minimalen Abwandlungen. Ein Weiter-so, bequem für die bisherige Regierung, farblos, verlogen, amnestisch und alle Signale auf GRÜN für Wachstum.



    Wenn das für die Mehrheit nicht reicht: Die "Deutschland-Koalition" nimmt zu rot-schwarz noch gelb hinzu. Da müssen dann die notleidenden Bezieher*innen der höheren und höchsten Einkommen ein wenig mehr gepäppelt werden. Ansonsten wie rot-schwarz.

  • Wer eine linke Regierung will, sollte keinesfalls SPD oder Grüne wählen. Sonst landet am Ende die FDP in der Regierung. Nur eine Stimme für die Linke ist eine Stimme für linke Politik!

  • Hallo Jan Feddersen: FDP und "Individualität und Freiheitsidee", dazu eine kleine Nebenbemerkung: Als 2018 CDU und FDP in NRW die Regierungsmacht übernahmen, war eine der ersten Großtaten die Rücknahme der von Rot-Grün zuvor beschlossenen Jagdreform. Worum ging`s: alle möglichen seltenen Tierarten vom Baummarder bis zur Waldschnepfe wieder für die Jagd freizugeben und die grausame Baubejagung wieder zu ermöglichen.



    Die FDP erklärte: „Das Gesetz gibt den Jägern in NRW ihre Würde zurück.“



    Die damalige Pro-Jagd-Koalition: CDU-FDP-AfD. Wirtschaftspolitisch ist ja die FDP ohnehin oft AfD-light. Vielleicht sollte sich diese "Koalition" wirklich öfter gemeinsam zu erkennen geben, ganz im Sinne von ABDURCHDIEMITTE: damit wir "wissen, wo der Feind steht".

  • Solange die bellizistischen Grünen NATO und US-Führung den sozial und klimapolitischen Fragen voranstellen, ist RGR Utopie.

    Und wer sagt eigentlich, dass unter solchen Bedingungen eine Jamaika-Koalition ausgeschlossen ist?

    Die Linke muss unbedingt in hinreichender Größe im Bundestag vertreten sein, um Jamaika überhaupt verhindern zu können.

  • Also das Argument für die Ampel ist, dass die FDP für die NATO ist???!!

    Echt jetzt? Das ist aber schwach.

  • Ach ja, Scheel. War einmal. Diese FDP gibt es schon lange nicht mehr.

    Blättern Sie mal, Herr Feddersen in den Freiburger Thesen [1], anno 1971. Da steht unter anderem "Liberalismus fordert Reform des Kapitalismus". Ja, mit /dieser/ FDP...

    Aber diese FDP ist nicht mehr. Sie ist zu einer Werbeagentur des ungehemmten Kapitals verkommen. Nicht zufällig hat sich die Assoziation "alle 11 Minuten..." aufgedrängt.

    Mit der FDP hier und heute... thanks, but no, thanks.

    (Und nein, ich persönlich hätte auch damals nicht FDP gewählt).

    [1] de.wikipedia.org/wiki/Freiburger_Thesen

  • "Warum sonst gehen Saskia Esken, Olaf Scholz, Anna­lena Baerbock und Robert Habeck zurzeit fast panisch auf Distanz zur Linken"

    Mein persönlicher Tipp: Um die "Rote Socken" Flanke zu schließen vorm Wahltag. War ja absehbar, dass die Union sich darauf einschießen würde, die sind ja konservativ, auch in ihren Wahlkampfstrategien.

    Ansonsten gebe ich Ihnen vollkommen recht, Fr. Lehmann. Die drei Parteien wären das progressivste, was unsere aktuelle Parteienlandschaft mit Hinblick auf potentiellen Wahlgewinn zu bieten hat.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Hallo, Frau Lehmann: "Außerdem: Ohne eine Partei, die auf Individualität hält, die auch das So­ziale mitdenkt, aber als Teil einer Freiheitsidee, die wird gebraucht. Die FDP war, aus der Perspektive vieler 68er, eine wichtige freiheitliche Kraft...



    Richtig: die FDP "war" ... Genau das ist der springenden Punkt. Heute braucht die kein Mensch mehr. Und dieses populistische Freiheits-Gedöns in der Coronakrise: nur billig, billig, billig.



    Wir hatten schon mal so einen FDP-Hallodri (18%) ... das Ende ist bekannt.

  • Es lohnt nicht, über die vielen Schnittstellen sozialdemokratischer, grüner rund linker Programmatik zu debattieren … solange der Linkspartei das Verdikt der „Kunst der Verstellung“ auch von sozialdemokratischen und grünen R2G-Verweigerern angehaftet wird - welches besagt, dass sich hinter deren quasi traditionell-sozialdemokratischen Positionen lediglich der „Untergang Deutschlands“ verberge.



    Jene Linken-Gegner im linken Spektrum müssen sich gesagt sein lassen, dass derartige Anfeindungen gegen die Linkspartei sich am Ende auch gegen sie selbst, also gegen SPD und Grüne, kehren, werden sie von Liberalkonservativen und AfD in Anschlag gebracht. Und genau das geschieht im Moment … siehe Parteitag der CSU.



    Also etwas plakativ auf den Punkt gebracht: man sollte schon wissen, wo der Feind steht. Da helfen auch alles Transformations-Geschwurbel eines Herrn Habeck und Millionenspenden eines niederländischen Unternehmens an die Grünen nicht.

    • @Abdurchdiemitte:

      Wenn ich mir die Streitereien, Sticheleien und Intrigen der LinkenpolitikerInnen so ansehe muss ich leider feststellen, dass die Linkspartei sich selbst ja wohl der grösste Feind ist. Für mich unwählbar.

      Das gilt allerdings ebenso für den Grünenhasser Lindner. Wenn der am Ende wieder auf die Idee kommt, seine WählerInnen zu verarschen ("es ist besser, nicht zu regieren..."), ist auch das eine verschenkte Stimme!

    • 6G
      65232 (Profil gelöscht)
      @Abdurchdiemitte:

      iwcse

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Wer hat die größte Angst vor roten Socken? Nicht der Pensionär in Lügde oder die Verwaltungsangestellte in Verden.........""



    ==



    Angst? Warum nutzt Anna Lehmann diese schiefe Ebene der Diskussion? Außerdem geht es nicht um die 6% die derzeit die Partei die Linken lt. Meinungsumfragen wählen würden.

    1.. Wer A sagt zu den Transportflügen von Flüchtlingen und Migranten muß auch B sagen - und B meint Zustimmung für diese Aktion der Bundeswehr im Bundestag.



    Jeder gelernte Kriegsdienstverweigerer hätte dafür im Bundestag die Hand gehoben.

    2.. Darüber hinaus stand jahrelang im Fokus der Betrachtung der Linken die Einhaltung des Völkerrechts. Diese Auseinandersetzung lässt die Linke nun plötzlich unter den Tisch fallen - seitdem deutlich und klar geworden ist wer derzeit alles gegen das Völkerrecht verstösst.

    3.. Die EU und die anderen 26 Nationen, welche diesem Bündnis angehören sind die mit Abstand wichtigsten Partner der Bundesrepublik. Das bedeutet: Wer Teile von EU - Gegnern in seiner Partei ein warmes Plätzchen am Ofen freihält hat nichts in einer Regierung zu suchen.

    Die nächste Regierung soll erfolgreich den Wandel einleiten und sozial abfedern & gestalten - und es geht darum den Wandel auf eine feste Grundlage in der EU zu stellen. Sicher kann es in der nächsten Regierung nicht darum gehen über Selbstverständlichkeiten zu streiten.