Mittelalter und Popkultur: „Wir sind die Hobbits“

Warum vereinnahmen Rechte gerne Mittelalter-Fantasy? Und warum ist die Epoche für uns so wichtig? Forscherin Theresa Specht über Popkultur im Wandel.

Filmstill aus "Herr der Ringe". Frodo und Sam stehen nah beisammen und schauen schockiert. An den Oberarmen werden sie von Menschen angefasst, die so groß sind, dass man ihre Köpfe ncht sieht.

Triste Klamotten, lange Schwerter und viele weiße Männer: Ob das wohl wirklich alles so war? Foto: United Archives/kpa/imago

taz: Italiens neofaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni ist „Herr der Ringe“-Fan und sagte, sie nehme sich die Hobbits zum Vorbild, um Italien zu befreien. Tolkiens Welt scheint für ihre rechte Ideologie anschlussfähig. Wieso?

Theresa Specht: Das Mittelalter und speziell die Fantasy sind nicht an sich rechtsgerichtet – es ist eher so, dass solche Ideologien diese Welten vereinnahmen. Damit soll eine Botschaft nach außen getragen werden, die alle kennen: Die einen sind gut, die anderen böse. Wir sind die Hobbits, und das da sind die Orks. Für Meloni und ihre Partei bietet das eine anschlussfähige Folie für ihre Ideologie.

Theresa Specht

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Germanistischen Seminar der Universität Siegen sowie im Sonderforschungsbereich „Transformationen des Populären“. Sie promovierte 2021 mit einer Arbeit zur Raumsemantik des höfischen Gartens im Mittelalter.

taz: Ist das ein Einzelfall?

Specht: Nein, ultrarechte Gruppierungen versuchen immer wieder, das Mittelalter und die Fantasy in den Dienst zu nehmen – man erinnere sich nur an das Atréju-Festival, das von Meloni ins Leben gerufen wurde und sich nach einer Figur aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ benannt hat. Meist geht es um ein weißes, dominant männliches Mittelalter, um politische Positionen zu rechtfertigen. Übrigens auch mal so, dass die Hobbits ganz anders dargestellt wurden: AfD-Plakate zeigten das Auenland und Politiker Cem Özdemir und Anton Hofreiter karikiert als Hobbits. Da war zu lesen: „Willkommen im Auenland“ mit Forderungen wie „Keine Autos, keine Kraftwerke, kein Fleisch“. Das Bild wird also umgedreht. Wenn Fantasywelten populär sind, ist die Reichweite der Botschaften größer.

taz: Apropos Reichweite. Wieso ist das Mittelalter so spannend für die Popkultur?

Specht: Weil unsere Gesellschaft einen anderen Bezug zum Mittelalter hat als zu anderen historischen Epochen. Jedes Kind war schon auf einer Burg, kennt Schwerter oder hat ein Fachwerkhaus gesehen. Diese Dinge stammen aus dem Mittelalter und befinden sich dennoch täglich um uns herum. Außerdem haben viele Aspekte unserer gegenwärtigen Kultur ihre Wurzeln im Mittelalter, man denke nur an Universitäten oder Städte als demokratische Gemeinwesen, Armeen oder das Bankenwesen. Diese haben ihren Ursprung im Mittelalter und prägen unsere Gegenwart noch heute. Der italienische Schriftsteller Umberto Eco hat einmal gesagt, das Mittelalter sei so etwas wie unsere kollektive Kindheit. In diesem offenen Raum von Vergangenem lässt sich platzieren, was für uns als Gesellschaft anschlussfähig scheint.

taz: Wie realistisch wollen die popkulturellen Darstellungen des Mittelalters sein?

Specht: Fantasywelten wollen das Mittelalter als historische Epoche nicht wissenschaftlich korrekt darstellen, sondern benutzen das, was man sich unter dem Mittelalter vorstellt, als Raum für das Vergangene und Archaische. Schwerter, Schilde, Drachen, Ritter und Fräulein werden ihrem Ursprungskontext entnommen und mit anderen Dingen in einer neuen Welt zusammengebracht. Einen wissenschaftlichen Anspruch gibt es dabei nicht. Doppeläxte wie in „Herr der Ringe“ beispielsweise waren keine mittelalterlichen Waffen, sondern entstammen der Bronzezeit oder der Antike. Mein Kollege Hans Velten bezeichnet das Mittelalter in diesem Kontext als gefräßig.

taz: Heißt?

Specht: Dass sich das Mittelalter Dinge aus angrenzenden Epochen einverleiben kann, ohne dass sie Irritationen auslösen. Wir nehmen es so hin und es passt zu unseren Erwartungen. Bei „Game of Thrones“ beispielsweise kommen mehrere Herrschaftsformen verschiedener Epochen zusammen – mal auf die Herrscherfigur zugeschnitten, mal an die freien Städte aus Oberitalien erinnernd. Komponenten werden verbunden, ohne dass wir Dissonanzen empfinden. Es wird noch mittelalterlicher, als das Mittelalter eigentlich war.

taz: Also gibt es das Mittelalter in der Popkultur gar nicht?

Specht: So gesehen gibt es viele verschiedene Welten, die manchmal aber große Schnittmengen aufweisen. Wir sprechen deswegen vom Sekundärmittelalter – also einem Mittelalter, das aus Versatzstücken erschaffen wurde.

taz: Was wir in Literatur, Games und Serien beobachten, kann also gar nicht authentisch sein?Specht: Die Welten sollen sich nach Mittelalterlichkeit anfühlen. Ob das eingelöst wird, entscheiden nicht Faktenchecks, sondern die Rezipient:innen. Meist nehmen wir Stereotype als authentisch wahr, also Motive und Figuren, die uns häufig begegnet sind, wie magische Objekte, Hexenverbrennungen und Wikingerhelme. Bei unserer Forschung stellen wir aber weniger die Frage, ob etwas richtig oder falsch dargestellt wurde – sondern eher, welche Objekte aus dem Mittelalter genommen werden und auf welche aktuellen Erzählungen die dargestellten Geschichten Bezug nehmen.

taz: Das Mittelalter ist nicht unbedingt berüchtigt für Frauenrechte. Beobachten Sie Bewegung in Sachen Geschlechtergerechtigkeit?

Specht: Im Gewand des Mittelalters werden in der Popkultur gesellschaftliche Debatten geführt und reflektiert. Bei „House of the Dragon“ verbünden sich weibliche Figuren miteinander und loten ihre Handlungsspielräume aus, also wie sie Macht ausüben können. So lässt sich ein größeres Gewicht für geschlechtsspezifische Handlungsräume feststellen. Ob das schon feministisch-progressiv zu lesen ist, ist eine andere Frage. Beim Cast von „The Rings of Power“ gab es darüber hinaus die Diskussion, ob Zwerge und Elben von Schwarzen Schau­spie­le­r:in­nen gespielt werden sollen. Die einen argumentieren, im Mittelalter habe es angeblich keine Schwarzen Krieger gegeben, während die anderen sagen: Das ist Fantasy, und deswegen können und sollten wir es machen.

taz: Inwiefern verändern die Darstellungen des Mittelalters unser Bild vom Mittelalter?

Specht: Sie prägen uns. Normalerweise stellen wir uns das ­Mittelalter eher düster vor: Es regnet ständig, ist kalt, überall liegen Schlamm und Exkremente und es gibt ständig kriegerische Konflikte. Diese Darstellung durchzieht viele Produktionen und erfüllt wiederum unsere Erwartungen. Spannend wird also sein, wie lange wir solche Stereotype noch vorfinden, aber auch inwiefern ein globales Mittelalter ohne die starke Fixierung auf Mittel- und Nordeuropa eine Rolle spielen könnte. Das wird unsere Vorstellungen weiter beeinflussen.

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