Mit Ukraine und Russland gut Freund: Pekings doppeltes Spiel

Chinas Positionierung im Ukraine-Konflikt wird immer undurchsichtiger. Die Führung in Peking möchte sich alle Türen offenhalten.

Vladimir Putin und Xi Jinping

Vladimir Putin und Xi Jinping bei ihrem letzten offiziellen Treffen in Peking am 04.02.2022 Foto: Alexei Druzhinin/ap

PEKING taz | Es mag eine Binsenweisheit sein, doch im Falle Chinas ist sie doppelt wahr: Man muss das Land an seinen Taten messen, die Worte der Staatsführung hingegen lassen sich getrost als rhetorische Nebelgranaten abtun. Die Entwicklungen der laufenden Woche belegen dies eindrücklich: Erst am Montag versicherte Fan Xianrong, Pekings Botschafter in Kiew, dass man der ukrainischen Bevölkerung „freundlich“ gesinnt sei, das Land „niemals angreifen“ werde und eine „Kraft des Guten“ sei. Doch nur zwei Tage später, als der Internationale Gerichtshof in Den Haag Russland zum Ende des Krieges aufforderte, stimmte die chinesische Richterin Xue Hanqin dagegen.

Auch mehr als drei Wochen nach dem russischen Einmarsch in Richtung Kiew ist Chinas Position in diesem Konflikt keineswegs in Stein gemeißelt. Im Gegenteil: Xi Jinpings Haltung scheint sich nahezu tagesaktuell an die Gegebenheiten anzupassen. Trotz der offensichtlichen Nähe zu Russland möchte Chinas Führung sich stets ein Hintertürchen offenhalten.

Wie verwirrend die chinesische Kommunikation bisweilen ist, wird an der Berichterstattung des Staatsfernsehens deutlich. Erstmals dulden die Zensoren dort auch Videoaufnahmen der vom Krieg verwüsteten Städte in der Ukraine, ja selbst von den herben Verlusten russischer Streitkräfte wird in den Abendnachrichten mittlerweile berichtet. Gleichzeitig verbreitet CCTV zur besten Sendezeit weiterhin Verschwörungstheorien über angebliche US-Biowaffenlabore auf ukrainischem Boden. Die Botschaft, die innerhalb der Bevölkerung verfängt, ist widersprüchlich. Nur ein Narrativ bleibt konstant: Hinter den Kulissen sind die USA der eigentliche Aggressor.

Wo China wirklich steht, lässt sich anhand der eigenen Propaganda jedoch nicht ablesen. Wird Peking vollends auf Russland setzen, um eine neue Weltordnung der Autokraten heraufzubeschwören? Oder wird es dem Westen gelingen, Xi Jinping dazu zu bringen, mit seinem „alten Freund“ Wladimir Putin zu brechen? Beide Szenarien sind Extrempole, die mit Sicherheit nicht in dieser Form eintreffen werden. Stattdessen agiert Pekings Führung inmitten dieses Spannungsfelds.

Wenn zwei kämpfen, sieht am besten zu

„Ein System wie China kennt per Definition keine Freundschaft“, sagte unlängst ein hochrangiger, europäischer Diplomat in Peking. Damit spielt er auf die interessengeleitete Außenpolitik der Volksrepublik an, die ausschließlich auf den eigenen Nutzen ausgerichtet sei. Auf welcher Seite dieser liegt, lässt sich jedoch nicht eindeutig beantworten.

Im Westen wird zwar stets angenommen, dass man der Volksrepublik deutlich mehr zu bieten hat als ein wenig kaufkräftiges Russland mit einer schwächelnden Wirtschaft. Doch aus der Vogelperspektive ergibt sich ein anderes Bild.

Von den direkten Folgen des Krieges wird China nämlich unter allen großen Volkswirtschaften am wenigsten Schaden nehmen. Laut einer Modellrechnung der New Yorker Denkfabrik The Conference Board hat das robuste Reich der Mitte maximal einen Einbruch von 0,5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts zu befürchten. Bei Deutschland wären es im schlimmsten Fall 2,4 Prozent. Dementsprechend lässt sich das derzeitige Herumlavieren auch mit einem traditionellen Sprichwort umschreiben: Wenn zwei Tiger sich bekämpfen, dann schaut man am besten von einem hohen Hügel aus zu.

Zudem hat sich innerhalb der Pekinger Führung längst die Vorstellung durchgesetzt, dass es der Volksrepublik langfristig nichts bringt, wenn sie auf die Beziehungen zu den USA setzt. Washington würde niemals einen Aufstieg Chinas zulassen, glaubt man im Regierungssitz Zhongnanhai. Wieso also sollte man seine Energien an eine Beziehung verschwenden, die ohnehin unweigerlich auf einen Kollisionskurs zusteuert?

China könnte von Spannungen profitieren

Auch spekuliert Peking darauf, dass die derzeitige Geschlossenheit des Westens schon bald Risse zeigen könnte. Dann nämlich, wenn die Energiepreise in ungeahnte Höhen schnellen und die ukrainischen Flüchtlingsströme nicht abreißen. Von den sozialen Spannungen würde ebenfalls vor allem China profitieren.

Russland ist zudem ein verlässlicher Partner auf diplomatischer Ebene, der in fast allen Angelegenheiten Rückendeckung bietet – angefangen von der Nato-Expansion in Osteuropa bis hin zum angelsächsischen Militärbündnis Aukus im Indopazifik.

Xi Jinping hat also durchaus ein starkes Interesse daran, dass Putin weiterhin an der Macht bleibt. Dabei spielt es keine Rolle, ob er künftig stark angeschlagen sein wird. Im Gegenteil, ein schwaches Russland käme China durchaus recht: Moskau würde dann nämlich vollkommen von Pekings Wirtschaft abhängig und würde dementsprechend günstiges Öl liefern.

Wenn China allerdings bemerkt, dass die europäische Geschlossenheit gegen Putin keine Eintagsfliege ist und diesem vielleicht sogar droht, den militärischen Konflikt gegen Kiew zu verlieren, wird Xi Jinping seine Position grundsätzlich überdenken. Denn die russisch-chinesische Freundschaft ist vor allem ein pragmatisches Zweckbündnis. Auf der Seite der Verlierer möchte Peking nicht landen.

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