Misstrauensvotum in Frankreich: Die Regierung ist gestürzt
Auf Antrag der linken und rechten Opposition musste sich der französische Premierminister Michel Barnier am Mittwoch einer Vertrauensfrage stellen. Das ist das Ergebnis.
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Die Tage von Michel Barnier als Regierungschef waren bereits gezählt, als am Montag Marine Le Pen bestätigte, dass die Abgeordneten des rechtspopulistischen Rassemblement National (RN), nicht nur für ihren eigenen Misstrauensantrag, sondern auch für denjenigen ihrer linken Gegner von der Neuen Volksfront (Sozialisten, Grüne, Kommunisten und La France insoumise) stimmen würden. Gegen diese „unheilige Allianz“ aller Oppositionsfraktionen hatte der Premierminister keine Chance. Zusammen ergaben die Stimmen der NFP-Abgeordneten und der Rechtspopulisten eine absolute Mehrheit.
Eric Coquerel von der linken France insoumise, der als Erster den Misstrauensantrag der NFP begründete, hielt eine wahre Anklagerede, in der er dem Premierminister unter anderem vorhielt, er habe sich „entehrt“, indem er sich bei der extremen Rechten ständig angebiedert habe, um sich ihre Unterstützung zu sichern und so – freilich vergeblich – einem Sturz zu entgehen.
Die RN-Fraktionschefin Marine Le Pen warf dem Regierungschef im Gegenteil vor, „wegen der Unnachgiebigkeit, wegen des Sektierertums und Dogmatismus der Regierung“ sei er unfähig gewesen, „die Konzessionen zu machen, die es erlaubt hätten, dieses Ende der Geschichte zu vermeiden“. Sie schloss, es sei nun an Staatschef Macron selber, sich zu fragen, „ob er unter diesen Umständen noch Präsident bleiben könne oder nicht“.
„Ich oder das Chaos“
Die letzte Karte, die Barnier bis zuletzt, in seiner Stellungnahme vor dem Votum am Mittwoch am Nachmittagsende, ausspielte, war die Dramatisierung: Ich oder das Chaos! Doch für die Krise sind in der Politik immer andere verantwortlich. Die Sprecher der Opposition geben der scheidenden Regierung, vor allem aber dem Staatspräsidenten alle Schuld für die politische Krise und alle möglichen „Turbulenzen“, die sich laut Barnier mit dem Sturz der Regierung für Frankreich ergaben könnten.
Macron hatte nach der Niederlage seines Lagers bei den EU-Wahlen kurzerhand die Nationalversammlung aufgelöst und im Juli kurz vor dem Beginn der Olympischen Spiel parlamentarische Neuwahlen angesetzt, die seine Parteien aber erneut verloren haben. Sein vermeintlich „klärender“ Schachzug erwies sich als Eigentor: Am stärksten schnitt die vereinte Linke ab, die mehr Abgeordnete zählt als die Macronisten, und die Rechtspopulisten des RN sind stärker denn je in der Nationalversammlung vertreten. Keiner dieser drei Blöcke hat die Aussicht, eine Mehrheit bilden zu können. Barnier Koalition aus Macronisten und Konservativen musste bei jedem Votum bangen.
Seit seiner Nominierung am 5. September musste der konservative Premierminister befürchten, dass sich bei einer Abstimmung, insbesondere in einer Vertrauensfrage, die linke und rechte Opposition gegen ihn verschwören würden. Das war nun der Fall. Die Amtszeit von Barnier ist die kürzeste in der Geschichte der Fünften Republik seit 1958.
Mögliche Nachfolger im Gespräch
Es ist erst das zweite Mal seit 1958, dass ein Premierminister durch ein Misstrauensvotum gestürzt wird: 1962 verlor De Gaulles Regierungschef Georges Pompidou eine Vertrauensabstimmung auf Antrag der Opposition. Wenige Wochen später aber gewannen die Gaullisten die Wahlen und Pompidou blieb Premier. Der ganze Aufwand der damaligen Opposition, die Regierung zu desavouieren, hatte somit nur symbolische Bedeutung. Heute scheint die Ausgangslage doch etwas komplizierter zu sein, und vor allem konfus, denn Neuwahlen wären erst im Juni 2025 möglich.
Noch bevor die Abgeordneten in der Nationalversammlung abgestimmt hatten, zirkulierten in Paris Namen von Barniers eventuellen Nachfolgern. Mehrere bisherige Minister sind im Gespräch, unter ihnen Verteidigungsminister Sébastien Lecornu, aber auch der frühere Innenminister François Baroin, ein ehemaliger Vertrauter von Jacques Chirac. Mehr denn je verlangten dagegen die Politiker der NFP, dass Macron die nötigen Konsequenzen aus dem erfolgreichen Misstrauensantrag ziehen und eine Persönlichkeit aus den Reihen der Linken mit der Regierungsbildung beauftragen müsse. Der Präsident ist völlig frei in seiner Wahl, auch ist ihm für die Nominierung keine Frist gesetzt.
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