Missbrauchsvorwürfe gegen Ruhrbischof: Ein Kardinal als Täter

Der Essener Bischof Overbeck macht Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Franz Hengsbach öffentlich. Der Gründer des Ruhrbistums ist 1991 verstorben.

Bischof Franz Hengsbach bei einer Veranstaltung.

Bischof Franz Hengsbach auf einer Veranstaltung in den 1980er Jahren Foto: Arnold Rennemeyer/imago

ESSEN taz/afp | Er ist der erste deutsche Kardinal, gegen den Missbrauchsvorwürfe erhoben werden: Der Gründerbischof des Ruhrbistums Essen, Kardinal Franz Hengsbach, soll in den 1950er bis 1970er Jahren mehreren Personen sexuelle Gewalt angetan haben. Darüber informierte der amtierende Essener Bischof Franz-Josef Overbeck am Dienstag die Öffentlichkeit. „Angesichts der vorliegenden Beschuldigungen ist es mir wichtig, mögliche weitere Betroffene zu ermutigen, sich zu melden: Sollten Sie selbst sexualisierte Gewalt durch Kardinal Hengsbach erlitten haben, dann wenden Sie sich bitte an die beauftragten Ansprechpersonen im Bistum Essen“, appellierte der Bischof.

Gegen den 1991 verstorbenen Hengsbach liegen mindestens drei Vorwürfe der sexuellen Gewalt vor, die jüngste soll im Oktober 2022 vorgebracht worden sein. Bischof Overbeck habe von dieser im März 2023 erfahren und daraufhin Nachforschungen unternommen.

Unter anderem soll Hengsbach zusammen mit seinem Bruder Paul – dieser war auch Priester – in den 50er Jahren eine Minderjährige sexuell missbraucht haben. Zwei Vorwürfe betreffen Hengsbachs Zeit als Bischof von Essen, ein Vorwurf betrifft seine davor liegende Zeit als Weihbischof in Paderborn.

Kardinal Hengsbach gilt als einer der einflussreichsten Theologen der jungen Bundesrepublik. Hengsbach wurde 1958 der erste Bischof des damals neu errichteten Ruhrbistums Essen und stellte sich insbesondere in Zeiten des Strukturwandels an die Seite der Bergleute, was ihn beliebt machte. Er leitete das Bistum bis 1991 insgesamt 33 Jahre lang. Wegen seiner Bedeutung für die deutsche Kirche und die Weltkirche erhob ihn Papst Johannes Paul II. 1988 zum Kardinal.

In Essen, Gladbeck und Bottrop sind Straßen und Plätze nach ihm benannt. In Essen gibt es etwa das Hengsbach-Denkmal und den Kardinal-Hengsbach-Platz in der Innenstadt. Gegenüber dem WDR sagte Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), dass die weiteren Ermittlungen der Kirche noch abgewartet werden müssten, aber sollten sich die Vorwürfe erhärten, über eine Umbenennung des Platzes entschieden werde. Die katholische Reformbewegung Maria 2.0 hat auch bereits gefordert, dass das Hengsbach-Denkmal vor dem Essener Dom entfernt werden sollte.

Overbeck machte Nachforschungen zu den Vorwürfen

Wie Overbeck erst jetzt öffentlich machte, gab es bereits im Jahr 2011 gegen Hengsbach einen Vorwurf. Dieser sei aber 2014 zurückgezogen worden. Im vergangenen Herbst sei dann ein zweiter Vorwurf dazu gekommen, weshalb es nun die Veröffentlichung gebe.

Eine Person habe zu Protokoll gegeben, 1967 einen sexuellen Übergriff durch Hengsbach erlitten zu haben. Wegen dieser Anzeige fragte Overbeck dem Essener Bistum zufolge im Erzbstium Paderborn nach, ob im Aktenbestand weitere Meldungen zu Hengsbach vorlägen. Dies sei bestätigt worden – auch diese Vorwürfe waren aber bisher nicht öffentlich.

Der Vorwurf des Missbrauchs im Jahr 1954 war den Angaben zufolge 2011 erhoben und noch im selben Jahr an den Vatikan weitergeleitet worden. „Aufgrund der Zuständigkeit der Kongregation für die Glaubenslehre sah ich den Vorgang als bearbeitet an“, erklärte Overbeck nun. Die Glaubenskongregation bewertete die Vorwürfe demnach damals als nicht plausibel.

„In Anbetracht des neuen Vorwurfs, der mir erst jüngst bekannt geworden ist, habe ich mich nach Rücksprache mit dem Interventionsstab und unter Berücksichtigung aller Kenntnisse dazu entschieden, die Vorwürfe gegen Franz Hengsbach öffentlich zu machen“, erklärte Overbeck nun. Dabei sei ihm bewusst, „was diese Entscheidung, die ich nach gründlicher Abwägung der gegenwärtig zur Verfügung stehenden Erkenntnisse getroffen habe, bei vielen Menschen auslösen wird.“ Overbeck löste mit diesem Schritt zumindestens das Versprechen ein, dass er sich stärker für die Aufklärung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche einsetzen werde. Das sagte er etwa im Februar dieses Jahres bei der Vorstellung einer Missbrauchsstudie im Bistum Essen.

Dem Bistum Paderborn zufolge liegen gegen Paul Hengsbach, den Bruder des Kardinals, zwei Vorwürfe vor. Der 2018 verstorbene Paderborner Priester sei 2011 mit dem Vorwurf konfrontiert worden, zusammen mit seinem Bruder eine 16-Jährige missbraucht zu haben. Er habe dies vehement bestritten. Obwohl angemerkt wurde, dass die Frau sich genau erinnere, seien ihre Vorwürfe als nicht plausibel bewertet worden.

Das Bistum erklärte, diese Beurteilung müsse heute „leider deutlich in Frage gestellt werden“. So habe 2010 zudem eine andere Frau Paul Hengsbach sexuellen Missbrauch vorgeworfen, was er ebenfalls bestritten habe. Der Fall sei nicht weiter verfolgt und auch nicht nach Rom gemeldet worden. Inzwischen habe die Frau aber einen Antrag auf Anerkennung ihres Leids gestellt, über den positiv entschieden worden sei.

Hengsbachs Name fiel auch bereits im Zusammenhang mit den Vorwürfen der Vertuschung sexueller Gewalt von Erzbischof Kardinal Ratzinger in München – dem spätere Papst Benedikt XVIim Juni dieses Jahres. Bei der skandalösen Versetzung des Mehrfachtäters Priester H., der nach dem Bekanntwerden von sexueller Gewalt mehrfach von Bistümern versetzt wurde – erstmals 1979 von Essen nach München, soll dieser „Deal“ direkt zwischen den beiden zuständigen Bischöfen gemacht worden sein: Bischof Kardinal Franz Hengsbach in Essen und Erzbischof Kardinal Ratzinger in München. Hensgbach soll es auch gewesen sein, der die Eltern des betroffenen Jungen in Essen dazugebracht habe, Priester H. nicht anzuzeigen. Die neuen Vorwürfe gegen den Kardinal, die nun öffentlich gemacht wurden, passen also ins Bild. Sie wiegen aber noch deutlicher schwerer.

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