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Missbrauch in der evangelischen KircheVerstecken geht nicht mehr

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Lange stand sexualisierte Gewalt in der EKD im Schatten der katholischen Kirche. Nun ist es offiziell: Auch die EKD hat ein Missbrauchsproblem.

Nur die Spitze des Kirchturms? Die Missbrauchsstudie der EKD ist jetzt öffentlich Foto: Julian Stratenschulte / dpa

A ls „rabenschwarzen Tag für die EKD“ bezeichnet Detlev Zander, der in den 60er und 70er Jahren Opfer von sexualisierter Gewalt in einem evangelischen Kinderheim wurde, den Donnerstag in Hannover. In der Stadt, in der die Evangelische Kirche (EKD) ihren Sitz hat, wurde die lang erwartete Studie zum Missbrauch in evangelischen Einrichtungen vorgestellt. Treffender als Zander kann man kaum beschreiben, was die Studie zutage förderte.

Da sind nicht nur die Opfer- und Täterzahlen, die ähnlich hoch sind wie jene in der katholischen Kirche. Die sogenannte MHG-Studie, die 2018 katholische Fälle untersucht hatte, spricht von 1.670 Tä­te­r:in­nen und 3.677 Opfern. Mit den jetzt bekannt gewordenen Zahlen kann sich die EKD nicht mehr hinter der katholischen Kirche verstecken.

Jahrelang hatten sich protestantische Würdenträger herausgeredet, dass Fälle, wie sie seit 2010 in katholischen Einrichtungen offenbar wurden, bei ihr nicht vorkommen können. Weil die evangelische Kirche nicht so autoritär und hierarchisch organisiert sei wie die katholische, weil es bei ihr keinen Zölibat gebe und keine solch strikte Sexual­moral, wie sie Ka­tho­li­k:in­nen auferlegt wird. Außerdem würden viele Pfarrer in Pfarrfamilien ­leben, nicht selten mit vielen Kindern.

Doch das ist, das zeigt die Studie exemplarisch, kein automatischer Schutz. Laut der nun vorgelegten Studie sind zwei Drittel der Täter – es sind tatsächlich fast immer Männer – verheiratet, 45 Prozent sogar Serientäter: Sie haben mehrere Mädchen und Jungen missbraucht, und das nicht nur einmal. Für die Kirche, die für Schutz, Vertrauen und Nähe steht, ist das fatal und beschämend.

Die Täter konnten ihre Rolle als Seelsorger so leicht wie perfide ausnutzen. Bei ihren Übergriffen profitierten sie zudem von ihrer pastoralen Macht. Angesichts dieses Ausmaßes von Machtmissbrauch ist das Bild des grundsätzlich vertrauenswürdigen evangelischen Pfarrers schwer aufrechtzuerhalten.

Das ist für die Kirche und insbesondere für ihre grundanständigen Pastoren, die es trotz allem gibt, dramatisch. Peinlich ist für die Kirche zudem, dass die Aufarbeitung des strukturellen Machtmissbrauchs nicht durch Eigeninitiative der EKD zustande kam, sondern durch das Engagement der Betroffenen. Wie sollen Gläubige ihrer Kirche künftig noch vertrauen können?

Vermutlich wird es in den kommenden Wochen massenweise Austrittserklärungen geben. 38 Prozent der bereits ausgetretenen Pro­tes­tan­t:in­nen gaben bereits im vergangenen Sommer an, wegen der Missbrauchsfälle der Kirche den Rücken gekehrt zu haben. Das hat sich die Kirche selbst zuzuschreiben.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Glaube ist nicht an Intuitionen gebunden !

    Wer seine Kinder schützen will, sollte seinen Nachwuchs in Zukunft, bei Inanspruchnahme der Kirchen und zu deren Veranstaltungen begleiten !

  • Die Fälle müssen schonungslos aufgearbeitet werden und die Täter*innen bestraft und aus dem Dienst entlassen werden.



    Die immer wieder sofort ins Spiel gebrachten und oft hämisch erwarteten Kirchenaustritte halte ich dennoch für problematisch, weil sie aus meiner Sicht die Falschen bestrafen. Da wird unterstellt, die Vielen, die sich persönlich nichts zuschulden kommen lassen haben,und auch im Artikel erwähnt werden, hätten von den Verbrechen ihrer Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen (laut Zeuginnen waren auch Frauen beteiligt) gewusst und nichts dagegen unternommen oder sie gar vertuscht. Dafür habe ich keine Anhaltspunkte, denn ich habe zum Glück noch nie übergriffiges Verhalten (ob in der Kirche oder anderswo) erleiden müssen und in meinem Umfeld diesbezüglich auch nichts gerüchteweise raunen hören, wohl aber von der Art, Pfarrer X betrüge seine Frau mit Frau Y, was mir zeigt, dass Kirche keine heile Welt ist.



    Druck auf die Verantwortlichen auszuüben halte ich durchaus für angebracht, während Kirchenaustritte eher den engagierten Seelsorger*innen schaden als den Täter*innen.



    Nach der Studie ist jede*r dritte (schlimm genug) Täter*in Pfarrperson, was aber nicht heißt, jede*r dritte Pfarrer*in sei Täter*in.

  • Frau Käßmann heute morgen im Dlf. Es lohnt, dass Interview nachzuhören und sich selbst ein Urteil zu bilden über ihre Glaubwürdigkeit beim Vortrag sorgfältig einstudierter Aussagen.



    Wie kann sie überrascht sein über Ergebnisse, die sich über lange Jahre andeuteten, deren wissenschaftliche Evaluierung aber nach Kräften verhindert wurde? In einer Kirche übrigens, die schon lange weiblich dominiert wird und in der wohl viele der Serientäter in den Pfarrgemeinden eine Ehefrau an ihrer Seite hatte.



    Wenigstens bleibt der EKD die Peinlichkeit erspart, Frau Kurschus noch zur Vorsitzenden zu haben.

    • @naichweissnicht:

      Sie nehmen in einem konkreten Fall Dinge als ausgemacht an, die es nicht sind:



      1. Frau Kurschus bestreitet zu unrecht, von den Vorwürfen erfahren zu haben.Dies näher zu erläutern ist nur mit Victimblaming möglich, was sie öffentlich vermeidet.



      2. Sie sei für die (in diesem Falle erwachsenen) Opfer die für Straf- und Disziplinarverfahren richtige Ansprechperson gewesen und, das, was, wenn überhaupt, an sie herangetragen wurde, sei so glaubwürdig gewesen, dass sie hätte tun müssen, was die betroffenen jungen Männer sich, aus welchen Gründen auch immer (gegen den Instrumentenlehrer), nicht getraut haben,in ihrem Falle einen Freund beschuldigen, was selbstverständlich jede*r auf Zuruf hin mal eben so macht.



      Mittlerweile wurde die Freundschaft gekündigt.



      Bleibt abzuwarten, ob Frau Kurschus im weiteren Verfahren noch eine Aussage machen muss und wie diese ausfällt.

  • Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, dass sich nach und nach in allen Institutionen zeigen wird. Von Nord bis Süd, vonWest bis Ost. Unabhängig von der Benennung und Verortung des Vereins, der Partei, oder dem dahinter stehenden Anspruchs. Gut, dass endlich darüber geredet wird.

  • Potz tausend ! Wer hätte damit gerechnet ;-)

  • Das Thema ist in jeder Organisation präsent. Auch die evangelische Kirche hat ein paar hundert Jahre auf dem Buckel. Da wäre es erstaunlich, wenn sich nie jemand übergriffig verhalten hätte. Nach den Maßstäben der entsprechenden Zeit, natürlich.

    Ich selbst habe im Konfirmantenunterricht schon Dinge wahrgenommen, die mir fragwürdig erschienen und heute noch erscheinen. Kontrolle oder Peer-review gab es ja keine, also ...