Ministerin über Haasenburg-Entscheidung: „Das darf sich nicht wiederholen“
Jugendministerin Münch (SPD) begründet ihre Ablehnung eines Vergleichs mit der Haasenburg. Das Kindeswohl wäre auch mit neuem Konzept nicht gesichtert.
taz: Frau Münch, Sie haben heute den Vergleichsvorschlag des Oberverwaltungsgerichts zur Haasenburg abgelehnt. Was bedeutet das in der Konsequenz?
Martina Münch: Wir haben den Vergleichsvorschlag des Gerichts intensiv geprüft und lehnen ihn im Ergebnis ab. Wir können einer Wiedereröffnung der Haasenburg-Heime nicht zustimmen, auch nicht mit einer veränderten Konzeption. Jetzt muss das Oberverwaltungsgericht eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz-Verfahren treffen. Danach sehen wir weiter.
taz: Die Richter haben nach unseren Informationen vorgeschlagen, dass das Heim im Juni mit neuem Konzept wieder öffnet. Unter anderem mit der Auflage, dass körperliche Zwangsmaßnahmen nicht erlaubt sind. Warum war das für Sie keine Lösung?
Zentraler Bestandteil des Vergleichsvorschlags ist die Wiedereröffnung auf der Grundlage einer neuen Konzeption. Das pädagogische Selbstverständnis und der Alltag in den Heimen der Haasenburg waren aus unserer Sicht von überzogenen, schematischen und drangsalierenden Erziehungsmaßnahmen auf Kosten der dort untergebrachten Jugendlichen geprägt. Dass alles stand in deutlichem Gegensatz zu der Konzeption. Diese Diskrepanz zwischen Konzeption und gelebter Realität belegt auch der Bericht der unabhängigen Expertenkommission. Eine neue Konzeption würde an diesem grundlegenden Defizit nichts ändern. Vor diesem Hintergrund können wir auch nicht davon ausgehen, dass mit einer neuen Konzeption das Kindeswohl dort untergebrachter Jugendliche in Zukunft durchgängig verlässlich gesichert wäre.
taz: Es sollte ja ein Vergleich sein. Der sähe ja aber für den Betreiber sehr gut aus. Welche Zugeständnisse hätte die Haasenburg GmbH in Kauf genommen?
Im Vergleichsvorschlag stand unter anderem, dass die Haasenburg künftig auf körperliche Zwangsmaßnahmen – außer bei Selbst- oder Fremdgefährdung – verzichten sollte. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wir wissen aber aus den Berichten der Untersuchungskommission, dass genau das in der Vergangenheit nicht passiert ist. Jugendliche mussten in der Haasenburg immer damit rechnen, Opfer von übergriffigen Erziehungsmaßnahmen zu werden.
taz: Rechnen Sie mit Schadensersatz-Forderungen der Haasenburg?
Die Frage stellt sich derzeit nicht. Zunächst muss eine Entscheidung in der Hauptsache fallen – und dass kann sich über mehrere Jahre hinziehen.
Jahrgang 1961, ist seit 2009 Mitglied der Landesregierung Brandenburgs, seit Februar 2011 als Ministerin für Bildung, Jugend und Sport.
taz: Steht das rot-rote Kabinett an Ihrer Seite?
Ja. Die Landesregierung ist sich einig: Die Geschichte der Haasenburg darf sich in Brandenburg nicht wiederholen.
taz: Die Hürden für eine Schließung sind juristisch offenbar hoch. Muss das Gesetzbuch geändert werden? Werden Sie eine Bundesratsinitiative starten?
Die Hürden für eine Schließung sind in der Tat sehr hoch. Hier sehen wir deutlichen Änderungsbedarf. Ein Träger, der trotz vieler Auflagen die ihm anvertrauten Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend schützen kann, darf künftig nicht mehr damit rechnen, seinen Betrieb durch Änderungen der Konzeption vor der Schließung retten zu können. Hier werde ich auf eine Änderung der bundesrechtlichen Regelungen drängen.
taz: Zuletzt hat sich die ehemalige Heimkind Christina Witt mit einer Online-Petition gegen die mögliche Wiedereröffnung gewehrt. Werden Sie mit der Jugendlichen sprechen? Wird es den im November angekündigten Aufarbeitungs-Workshop geben?
Ich werde mich am Mittwoch mit Christina Witt treffen und ihre Petition entgegen nehmen. Ich werde mit ihr auch über ihre Erlebnisse sprechen – und darüber, welche Unterstützung sie und andere Heimkinder sich wünschen.
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