Mini-Serie „Box 21“: Lisbeth Salander light

Die Serie „Box 21“ erzählt von Zwangsprostitution. Gelungen sind die wehrhaften Frauen, weniger gelungen ist die Glaubwürdigkeit.

Eine von Verletzungen gezeichnete Frau mit rasiertem Schädel steht in einem düsteren Raum

Hauptfigur Lidia (Ioana Ilinca Neascu) Foto: Benjam Orre

Vor über 20 Jahren hat Schweden als erstes Land der Welt ein Gesetz erlassen, das den Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe stellt, nicht aber den Verkauf. Das „Sexkaufverbot“ zieht also Freier, nicht aber die Prostituierten zur Verantwortung. Mit verschiedenen Abwandlungen hat sich dieses „Nordische Modell“ unter anderem in Norwegen, Kanada und Frankreich durchgesetzt, bleibt aber umstritten.

Kri­ti­ke­r*in­nen monieren, dass Sexarbeit nur weiter in den Schatten gedrängt und nicht nur die Tätigkeit selbst, sondern auch ihre An­bie­te­r*in­nen stigmatisiert würden. Be­für­wor­te­r*in­nen wiederum betrachten den Kauf sexueller Dienstleistungen generell als Gewalt gegen Frauen, als etwas, das patriarchalen Denkmustern entspringt und sie gleichsam verfestigt. Studien zu den Auswirkungen des Modells kommen regelmäßig zu widersprüchlichen Ergebnissen – was umso mehr Raum für emotional aufgeladene Debatten lässt. Hierzulande kochten sie kurz vor der Bundestagswahl hoch, als sich unter anderem die Frauen-Union für ein Prostitutionsverbot aussprach.

Handlungsort irrelevant, Entstehungsort nicht

Dass „Box 21“, die Serienadaption des Krimis „Blasse Engel“ des Autoren-Duos Roslund und Hellström, von Zwangsprostitution erzählt und ausgerechnet in Schweden spielt, hätte also eine spannende Möglichkeit geboten, sich zur besonderen Gesetzgebung des Landes zu positionieren. Darauf verzichten die sechs Folgen leider konsequent und wagen sich nicht über die gänzlich unumstrittene Tatsache hinaus, dass unter direktem Zwang erbrachte sexuelle Dienste und Menschenhandel unbedingt bekämpft werden müssen. Dass der Handlungsort Schweden ist, ist damit irrelevant.

Im Fokus steht zunächst Lidia (Ioana Ilinca Neascu), die in Bukarest als Kellnerin arbeitet und dort von einem vermeintlich einfachen Gast dazu überredet wird, ihm nach Stockholm zu folgen. Kurz darauf entpuppt sich Lucian (Christian Bota) als Zuhälter eines Frauenhändlerrings, bereits auf der Fähre wird sie zum ersten Mal von einem Mittäter vergewaltigt.

Wehrhaft gegenüber Peinigern

Während es für die Geschichte keinen Unterschied macht, dass sie in Schweden spielt, macht es sehr wohl einen, dass sie von dort kommt: Als Skandinavienkrimi blickt „Box 21“ nicht nur hinter die Fassade des scheinbar so harmonischen Zusammenlebens im Norden Europas – sondern zeichnet Frauenfiguren, die in der Tradition der Protagonistin einer der bekanntesten Reihen des Genres, der „Millenium“-Trilogie von Stieg Larsson, stehen.

Ebenso wie Freundin und Kollegin Alina (Anda Sârbei), die auch zur Prostitution gezwungen wird, zeigt sich Lidia wehrhaft gegenüber ihren männlichen Peinigern: Gleich bei ihrer Ankunft provoziert sie, indem sie sich kurzerhand einen Buzz Cut verpasst, nachdem Lucian sie darauf hinweist, dass „schwedische Männer auf rasierte Frauen stehen.“ Sie arbeitet auf ihre Flucht hin, indem sie Freier bestiehlt und die Beute in einem Schließfach, der titelgebenden „Box 21“, aufbewahrt.

Wendungen störend überzeichnet

Als ihre Situation ausweglos erscheint, beschließt sie, mit einer Geiselnahme Rache zu üben. Spätestens dann wird Lidia zu einer Lightversion der nicht minder radikal auftretenden Lisbeth Salander. Um ihre Storyline herum entspinnen sich zwei weitere, die illustrieren, wie sehr der Menschenhandel selbst Leben von lediglich indirekt Betroffenen aus den Bahnen wirft: So geht es einerseits um die persönlichen Tragödien, die sich durch die Arbeit im Privatleben von Ermittler Ewert Grens (Leonard Terfelt) abspielen, andererseits wird durch den Handlanger Jochum (Joakim Sällquist) ein vergeblicher Versuch eines Täters beleuchtet, auszusteigen.

Sechs Folgen, ZDF-Mediathek ab 9. Oktober

Gerade hier wirken einige Wendungen störend überzeichnet, und auch die Hochglanzoptik, in der der Horror schwersten sexuellen Missbrauchs dargestellt wird, kratzt bisweilen an der Glaubwürdigkeit von „Box 21“. Solide ist die Serie dennoch – sehenswert ist sie, mehr noch als aufgrund ihrer nüchternen gesellschaftskritischen Anklänge, aber wegen ihrer exzeptionellen Frauenfiguren.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.