Millionen Deutsche offline: Viele Alte ohne Netz
Das Statistische Bundesamt gab bekannt, dass fast vier Millionen Deutsche noch nie das Internet nutzten. Wie bekommen sie ihr Leben auf die Kette?
O hne mein Smartphone funktioniere ich nicht. Und das ist keinesfalls übertrieben. Wenn ich nicht meinen digitalen Kalender bei mir habe, kann ich keine Aussagen über morgen oder nächste Woche treffen.
Um im Supermarkt das Richtige zu kaufen, muss ich auf meine digitale Einkaufsliste schauen, und ohne meinen digitalen Impfausweis wäre es ohnehin schwierig geworden in den vergangenen Monaten. Hinzu kommen natürlich noch Mails, Kontakt zu Freund:innen, lesen, Musik hören.
Kurzum: Ich benutze mein Smartphone ständig. Jetzt teilte das Statistische Bundesamt mit, dass 6 Prozent der Menschen in Deutschland zwischen 16 und 74 Jahren noch nie das Internet genutzt haben. Klingt erst einmal nicht so viel? Das entspricht rund 3,8 Millionen Menschen. Die Zahlen stammen aus dem vergangenen Jahr.
Und seit dieser Nachricht frage ich mich ganz ernsthaft: Wie bekommen diese Menschen ihr Leben auf die Kette? Schon wenn ich aus dem Haus gehe, brauche ich mein Handy, um mir ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr zu kaufen. Außerdem bin ich auf langen Strecken vollkommen orientierungslos und würde ohne ein Navigationsprogramm niemals dort ankommen, wo ich hinmöchte. Bin ich also einfach nur extrem abhängig vom Internet oder ist ein Teil Deutschlands extrem abgeschnitten?
Keine Überraschung bei den erhobenen Daten ist: Je älter die Menschen, desto höher der Anteil der sogenannten Offliner: Mit rund 21 Prozent ist der Anteil der Menschen, die noch nie das Internet genutzt haben, bei den 65- bis 74-Jährigen am höchsten. Bei den 55- bis 64-Jährigen beträgt der Anteil 8 Prozent, bei den Bürgern unter 55 Jahren noch höchstens 3 Prozent.
Versuche ich es mal mit Digital Detox?
Auch der europäische Vergleich überrascht nicht: In den skandinavischen Ländern lag der Anteil der 16- bis 74-Jährigen, die noch nie das Internet genutzt hatten, demnach unter 5 Prozent. Natürlich, was können die Skandinavier:innen eigentlich nicht?
Was fehlt, sind die Gründe. Fehlt es an Mitteln, an Infrastruktur oder vielleicht an Wissen? Oder handelt es sich schlichtweg um persönliche Entscheidungen, sich von dem digitalen Leben fernzuhalten? Und sind die „Offliner“ damit überhaupt unzufrieden, oder stelle nur ich Internet-Junkie mir dieses Leben als eine einzige Herausforderung vor?
Ich meine, mal von dem vorgeschriebenen digitalen Impfpass abgesehen würde mein Leben, außer mein Job, auch offline funktionieren. Papier und Stift würden das allermeiste regeln, Karten lesen und eine bessere Orientierung würden mir auch weiterhelfen. Meine 92-jährige Oma jedenfalls ist eine Offlinerin. Und sie vermisst nichts und hat die vergangenen Jahre auch jegliche elektronischen Geräte oder Erklärversuche abgelehnt. Vielleicht sollte ich mir ab und zu mal ein Beispiel an ihr nehmen, Stift und Zettel auspacken und ein wenig Digital Detox betreiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos