Milliardäre im All: Ich bleibe ruhig – und arm

Millionäre gibt es immer mehr, Milliardäre fliegen ins All. Und ich? Hoffe, dass die Biobananen an der Kasse als Chiquitas durchgehen.

Eine Rakete mit Feuerschweif.

Mehr Millionäre in Deutschland und mehr Milliardäre im All Foto: Virgin Galactic/reuters

Ehrlich gesagt, dachte ich, dass ich mal Geld haben würde. Hat nicht geklappt. Ich habe Kulturwissenschaften studiert, eine Ausbildung gemacht für eine systemrelevante Branche, die im Sterben liegt – und heute arbeite ich bei der taz. Das heißt: Ich werde höchstwahrscheinlich kein Haus besitzen, keine Wohnung, vielleicht nicht mal ein Auto. Altersarmut scheint unausweichlich, deshalb verdränge ich das Thema Rente. Ich bin eine von sehr vielen – und wir sind alle ziemlich entspannt.

Es ist Sommer, die schönste Zeit im Jahr! Ein paar Tage habe ich noch für die Steuererklärung. Ich werde meine popeligen Texthonorare ordentlich eintragen in die absolut nutzerfreundlichen Felder der elektronischen Steuererklärung. Ich werde den Tag fürchten, an dem sich das Finanzamt zurückmeldet, aber ich werde versuchen, ruhig zu bleiben. Ich werde mich freuen, wenn die Hafermilch reduziert ist und die Biobananen an der Supermarktkasse als Chiquitas durchgehen.

Ich lese Zeitung. „Deutsche sind reicher denn je“, „Deutsche haben sieben Billionen“, steht da. Schön für die Deutschen, denke ich und wundere mich, weil doch Wirtschaftskrise war. Oder sind mit „die Deutschen“ etwa nur eine Handvoll Leute gemeint, und der Rest hat eher weniger als mehr? Für diese Info fehlte wahrscheinlich der Platz. Kein Grund sich aufzuregen!

Und wenn man aus den 7 Billionen einen komplett sinnlosen Durchschnittswert berechnet, der nichts über die Verteilung des Geldes aussagt, sieht das Ganze auch hübsch aus. Das Handelsblatt sagt: „Steigende Zahl von Millionären in Deutschland: Für eine Neid­debatte gibt es keinen Grund“. Das beruhigt mich.

Gigantischer Penis

Ausgeglichen, wie ich bin, schaue ich abends Nachrichten. Milliardäre fliegen jetzt ins Weltall. Einer sogar in einem gigantischen Penis. Toll! Ich finde es richtig, dass die gebührenfinanzierten „Tagesthemen“ zweieinhalb Minuten ihrer Sendung dafür hernehmen, das Werbematerial aus dem All von Richard Branson zu zeigen.

Die sogenannten kleinen Leute (vom All aus noch kleiner) wollen wissen, wie er sich fühlt. Branson richtet sich im Video an die nächste Generation, einfach nett, der Typ: „Wenn wir das hier können, was werdet ihr dann erst schaffen?“, fragt er. Und ich glaube, so könnte es klappen mit dem 1,5-Grad-Ziel.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Und Jeffrey Bezos? Bedankt sich nach seinem Flug ins All bei den Amazon-Mitarbeiter*innen und -Kund*innen, die haben schließlich dafür bezahlt. Bei so einem coolen Arbeitgeber braucht es keine Gewerkschaft. Und wer ihn nicht mag, kann ja eine lustige Petition im Internet unterschreiben, die fordert, dass Bezos im All bleibt.

Ich lese: Während das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland durch die Pandemie sank, stieg das Vermögen der Milliardär*innen. Das Privatvermögen von Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland) stieg zwischen Februar 2019 und Februar 2021 zum Beispiel um 15 Milliarden. Ich find’s gut, dass niemand ein Problem damit zu haben scheint. Zum Glück ist die Wiedereinführung der Vermögensteuer kein Thema im Wahlkampf, obwohl sie im Programm der SPD, der Linken und der Grünen steht.

Ich bleibe ruhig, wie wir alle. Habt ihr vom Bündnis „Superreiche zur Kasse für die Kosten der Krise“ gehört? Ist eine Aktion aus München, von Verdi, der dortigen SPD, den Linken und anderen Organisationen. Die Idee: Die, die extrem viel haben, sollen vergleichsweise mehr für die Kosten der Pandemie bezahlen als die, die eh schon wenig haben. Bisschen krass. Bleibt dann noch genug für den Weltraumtourismus? Zur Demo auf der Münchner Theresienwiese kamen laut Verdi 600 Leute. Aber das Wetter war ja auch schlecht.

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war bis Dezember 2021 Redakteurin, Reporterin und Kolumnistin der taz am wochenende

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