Militäreinsatz im Sahel: Das zweite Afghanistan?
In Sahelstaaten wie Mali und Niger ist die Regierung vielerorts abwesend. Um jungen Menschen Perspektiven aufzuzeigen, braucht es langfristige Strategien.
E s ist unklar, wie viele Menschen täglich in den Sahelstaaten Mali, Burkina Faso und Niger durch Angriffe und Überfälle ums Leben kommen. An manchen dürften es Dutzende sein. In die internationalen Nachrichten schaffen es nur die ganz großen Attacken wie jene in Burkina Faso von Mitte August, als mehr als 80 Menschen bei dem Anschlag auf einen Konvoi aus Militär, Zivilist*innen und Selbstverteidigungsmilizen ermordet wurden.
Mutmaßlich Dschihadisten überfielen ihn 25 Kilometer entfernt von der Stadt Gorgadji, die im Norden und in der Nähe der Grenzen zu Niger und Mali liegt. Präsident Roch Marc Christian Kaboré ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit bis zum nächsten Anschlag.
Eine Staatstrauer ist zwar ein wichtiges Symbol. Doch sie hilft weder, den Konflikt zu lösen, noch den Opfern und deren Familien. Deshalb ist es höchste Zeit, langfristige Strategien zu entwickeln, damit die Region nicht komplett verloren geht.
Wie rasend schnell die Kontrolle entgleiten kann, zeigt ein kurzer Blick zurück: Noch vor sechs Jahren war es kein Problem, Burkina Faso mit dem Bus zu bereisen. Heute birgt jede Überlandfahrt ein enormes Risiko. Nach dem Putsch in Mali 2012 war man in Mopti, im Zentrum des Landes, sicher. Heute leben besonders dort die Menschen in Angst und beschreiben, wie Dschihadisten in den umliegenden Dörfern auf sie lauern.
Die abwesende Staatsmacht
Einer der Gründe: Die Staatsmacht ist in ländlichen Regionen de facto abwesend – und genau das muss sich dringend ändern, so schwer es auch sein mag. Weit weg von den Hauptstädten, häufig in Grenznähe, haben die Angriffe einst begonnen. Hier staatliche Präsenz zu zeigen, verhindert nicht jeden Anschlag, setzt aber für die Bevölkerung ein Zeichen: Wir sind da und auf eurer Seite, gegen den Terror.
Vielerorts versucht die örtliche Bevölkerung, sich ohne Unterstützung – meist erfolglos – gegen Terroristen zu wehren. Aus der Region Tillabéri im Südwesten des Niger wird berichtet, dass es den Dörfern mitunter gelinge, eine kleine Zahl von Terroristen und Banditen zu vertreiben, wenn diese Vieh, Nahrungsmittel oder Benzin stehlen wollen. Doch die Angreifer kommen zurück und verüben aus Rache oft Massaker.
Doch staatliche Präsenz allein reicht nicht. Vor allem auf dem Land braucht es Infrastruktur wie Straßen, Gesundheitseinrichtungen und Schulen sowie Perspektiven für die junge Generation. Letztere zu schaffen, wird die größte Herausforderung sein. Auch in weitaus stabileren Nachbarländern südlich des Sahels gelingt das häufig nicht. Sehr viele Menschen fühlen sich abgehängt. Mali, wo die Sahel-Krise vor knapp zehn Jahren begann, ist das Paradebeispiel dafür, dass eine rein militärische Lösung nicht funktioniert.
Dschihadisten dringen immer weiter in den Süden vor
Seit 2013 sind dort Zehntausende internationale Soldat*innen stationiert, auch deutsche, die das Land stabilisieren, die malischen Streitkräfte (FAMa) ausbilden und die Terroristen bekämpfen sollen. Aus Gao und Timbuktu heißt es zwar, dass die Städte sicherer geworden sind, nicht aber das Umland. Andernorts hat sich die Lage sogar verschlechtert.
Bewaffnete dringen immer weiter nach Süden vor. Gut möglich, dass die Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime (Jnim) weniger Kämpfer hat als die französische Antiterrorismuseinheit Barkhane. Trotzdem ist Jnim derzeit für die Mehrzahl der Anschläge in Mali und Burkina Faso verantwortlich.
Aus all diesen Gründen ist Mali in den vergangenen Wochen häufig als neues Afghanistan bezeichnet worden. Der Vergleich klingt plausibel und trifft doch nicht zu. In Mali operieren zwar Terroristen, die Dörfer besetzen, Männern das Rauchen verbieten und Frauen dazu zwingen, sich zu verschleiern. Doch in der ganzen Region sind viele Mitglieder der Bewegungen eher Söldner, die weniger ideologische und religiöse, sondern starke finanzielle Motive haben. Alle drei Länder liegen auf den untersten zehn Plätzen des Entwicklungsindexes der Vereinten Nationen.
Anders ist außerdem die religiöse Komponente. International bekannt geworden ist im vergangenen Jahr Imam Mahmoud Dicko, der zu Protesten gegen Malis Regierung unter Ibrahim Boubacar Keïta aufgerufen und Tausende Menschen mobilisiert hatte. Sie sind seinem Ruf allerdings nicht unbedingt deshalb gefolgt, weil er Imam ist, sondern aus der Frustration über ein korruptes System, steigende Unsicherheit und weil Dicko sich als starke Führungspersönlichkeit präsentieren kann.
Eine andere islamische Tradition als in Afghanistan
Der konservative Dicko studierte in Saudi-Arabien und kam dort mit dem Wahhabismus in Kontakt. Das Interesse des Landes, seine Auslegung des Islam nach Westafrika zu exportieren, ist groß. Doch in Mali bekennt sich die große Mehrheit der Muslime*innen, die zwischen 85 bis 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen, zum Sufismus und betont eine Trennung zwischen Staat und Religion. Der Islam existiert seit vielen hundert Jahren neben Animismus und Christentum und ist regional gefärbt.
Noch deutlicher wird es in Burkina Faso, wo sich anders als in den übrigen Sahelstaaten nur knapp zwei Drittel der Bewohner*innen zum Islam bekennen. Familien sind fast ausnahmslos gemischt. So spricht der katholische Erzbischof von Ouagadougou, Kardinal Philippe Ouédraogo, etwa völlig selbstverständlich darüber, dass eine seiner Schwestern Muslimin sei. Durch gezielte Anschläge auf Kirchen, aber auch durch geschürte ethnische Konflikte, wird der Zusammenhalt zwar brüchiger. Doch er ist noch nicht verloren.
Genau diesen gilt es nun zu stärken, um Dörfer und Gemeinschaften widerstandsfähiger zu machen. Dafür muss der Staat Präsenz zeigen und glaubwürdig sein. Ebenso ist es notwendig, Terroristen zu bekämpfen und nicht wie bei der Serval-Mission der Franzosen bloß zu verscheuchen. Das wird den malischen Streitkräften alleine nicht gelingen, weshalb der Einsatz internationaler Streitkräfte weiterhin wichtig ist. So könnte sich ein neues Afghanistan vermeiden lassen.
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