Migrationspolitik in der EU: Tödliche Außengrenze
Neue Berichte machen Grenzschützer für den Tod von Migranten mitverantwortlich. Dieses Jahr sind bereits 1.018 Menschen im Mittelmeer gestorben.
Ebenfalls am Montag meldete die NGO Alarm Phone, dass 120 Seemeilen südlich von Italien ein Boot mit etwa 70 Menschen an Bord kenterte. Nur 12 Menschen konnten gerettet werden. Bei einem weiteren Unglück, ebenfalls am Montag, wurden zehn Leichen in dem mit Wasser vollgelaufenen Unterdeck eines Holzbootes vor Lampedusa gefunden. „Es ist eine Qual“, kommentierte Filippo Mannino, der Bürgermeister von Lampedusa. 95 Tote im Mittelmeer zählt die UN-Migrationsorganisation IOM im Mittelmeer in der ersten Junihälfte, 1.018 in diesem Jahr.
Derweil präsentierte die NGO Border Forensics einen Bericht über einen mittlerweile zwei Jahre zurückliegenden Vorfall, der als „Massaker von Melilla“ bekannt geworden war. Am 24. Juni 2022 hatten rund 2.000 überwiegend aus dem Südsudan stammende Menschen versucht, die Grenzanlagen der spanischen Exklave Melilla zu überwinden. Mindestens 27 Menschen starben dabei, es war die bis heute höchste Zahl von Toten an einem einzigen Tag an einer EU-Landgrenze. Zudem werden seither rund 70 Menschen vermisst, insgesamt dürfte die Zahl der Getöteten höher liegen.
Der Bericht zeigt nun: „Die meisten Todesfälle ereigneten sich zwar unter der Kontrolle marokkanischer Grenzschützer, aber auf spanischem Gebiet“, schreiben die Autor:innen des Berichts. Bisher war davon ausgegangen worden, dass die Menschen auf der marokkanischen Seite zu Tode kamen.
Videoaufnahmen von dem Tag zeigen, wie marokkanische Soldaten Steine auf Flüchtlinge werfen, die die Zäune zu überklettern versuchen. Die Migranten wurden „festgesetzt und unter den Schlägen der Knüppel in ein von den Behörden abgesperrtes, kaum 200 Quadratmeter großes Areal geschleppt“, heißt es in einem Bericht der marokkanischen Menschenrechtsliga AMDH. Videoaufnahmen zeigen auch dies. Dort wurden die Verletzten auf dem Boden übereinandergelegt, weiterhin mit Schlagstöcken geschlagen und getreten.
Verweigerung medizinischer Versorgung
Die NGO Caminando Fronteras hatte Zeugenaussagen der Betroffenen gesammelt und geht von diversen Ursachen für die Verletzungen aus, die teils tödlich endeten: Atemnot durch exzessiven Einsatz von Tränengas im Innern der Grenzanlage, Herabstürzen, Totgetrampeltwerden, Schläge mit einfachen und mit elektrischen Schlagstöcken, scharfe Munition, verweigerte Hilfe sowie Abtransport Verwundeter ohne medizinische Versorgung.
In der Folge des 24. Juni wurden 65 Migranten strafrechtlich verfolgt. Mindestens 11 von ihnen wurden zu drei Jahren Haft verurteilt. Ermittlungen der spanischen Staatsanwaltschaft wurden 2022 eingestellt. Der Report wurde unter anderem von Pro Asyl, der Robert Bosch Stiftung, medico und der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziert. Es handele sich um „eines der schwersten Verbrechen der vergangenen Jahrzehnte an den europäischen Grenzen“, sagte Kerem Schamberger von medico international. „Die Verantwortlichen für den staatlichen Gewaltexzess müssen endlich auf beiden Seiten der Grenze zur Rechenschaft gezogen werden. Die Straflosigkeit muss ein Ende haben“, so Karl Kopp, Geschäftsführer von Pro Asyl.
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