Migrationspolitik in den Niederlanden: Von wegen liberal
Die Niederlande haben den Ruf, besonders offen und vorurteilsfrei zu sein. Doch in der Migrationspolitik fährt das Land einen restriktiven Kurs.

So war es ein Niederländer, der sich 2016 dafür starkmachte, afrikanischen Staaten bei der Migrationskontrolle und den Abschiebungen die Pistole auf die Brust zu setzen: Er schlage eine „Mischung aus positiven und negativen Anreizen“ vor – so beschrieb der sozialdemokratische EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans damals die Linie der neuen EU-Afrikapolitik. Drittländer, die „effektiv“ mit der EU zusammenarbeiten, seien zu „belohnen“, für die anderen solle es „Konsequenzen geben“. Zuckerbrot und Peitsche also.
Eins der von Timmermans angedachten Instrumente: Sogenannte Laissez-passers, Passersatzpapiere für Abschiebungen, die die EU-Staaten selber nach vermuteter Staatsangehörigkeit ausstellen können. Für die afrikanischen Staaten war das Teufelszeug, für die EU-Ausländerbehörden wäre es eine Art Blankoscheck für Abschiebungen gewesen. Ein entsprechendes Pilotprojekt handelte die niederländische Regierung 2017 erstmals im Auftrag der EU mit Mali aus – das die Regierung in Bamako nach wütenden Protesten im Inland allerdings gleich wieder stoppte.
Nur ein Jahr später waren es die Niederlande, die gemeinsam mit Deutschland im westafrikanischen Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, eine neue Grenzschutzeinheit bezahlten, ausbildeten und ausrüsteten. Dabei hat Niger eine Nationalpolizei, eine Gendarmerie, eine Nationalgarde und eine Armee, die alle auch mit Grenzschutz befasst sind. Doch die neue Truppe sollte vor allem die Grenze zum bevölkerungsreichen Nigeria im Blick behalten – dem Staat, aus dem die EU für die Zukunft mit besonders vielen irregulären Migrant:innen rechnet.
Kein Mitglied in der „Koalition der Willigen“
Auch bei der jüngsten diplomatischen Offensive, Anfang Juni in Tunis, war es der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens rechtsextreme Ministerpräsidentin Giorgia Meloni begleitete. Gemeinsam wollten sie – flankiert durch fast eine Milliarde Euro Hilfsgelder – Tunesien dazu bringen, beim Grenzschutz wieder der effiziente Außenposten zu werden, der das Land zu Zeiten des 2011 gestürzten Diktators Ben Ali lange war. Bisher allerdings blieben die Anstrengungen ohne Erfolg.
Bei solchen Bemühungen um die Externalisierung des Grenzschutzes waren die Niederlande stets vorn mit dabei. Als jedoch Deutschlands Innenminister Horst Seehofer 2018 eine „Koalition der Willigen“ schmiedete, um Italien und Malta aus Seenot gerettete Flüchtlinge abzunehmen, hielten sich die Niederlande zurück und nahmen niemand auf.
Auch im Inland war die Menschenrechtsbilanz in letzter Zeit düster. Seit 2014 werden Flüchtlinge in einem zentralen Aufnahmezentrum in Ter Apel untergebracht. Das Lager wurde als „effizient“ und „vorbildlich“ gelobt. Die Situation vor Ort verschlechterte sich über die Jahre aber so sehr, dass Ärzte ohne Grenzen (MSF) dort im September 2022 einen Nothilfeeinsatz starten mussten. Hunderte Menschen waren gezwungen, unter offenem Himmel zu schlafen, ein Säugling starb. „Diese Menschen haben eine schreckliche Flucht hinter sich. Sie so zu behandeln gefährdet auch ihre mentale Gesundheit“, sagte die MSF-Geschäftsführerin Judith Sargentini dem Spiegel.
Im vergangenen Jahr registrierte das Land schließlich rund 35.000 Asyl-Erstanträge. Im Verhältnis zur Bevölkerungszahl waren dies etwas weniger als in Deutschland. Die Anerkennungsquote stieg indes auf ein Rekordhoch von über 87 Prozent – deutlich mehr als hierzulande.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin